Zu frei erfundenen Polizeimeldungen

Richter und Henker

„Mehrere Gewalttäter in der Menge des Versammlungsgeschehens griffen gezielt einen Polizeibeamten an, brachten ihn zu Boden und traten massiv auf ihn ein“, behauptete die Berliner Polizei in einer Pressemitteilung nach einer Kundgebung zum Nakba-Tag am 15. Mai. Bürgerliche Medien übernahmen die Behauptung ungeprüft. Die „B.Z.“ titelte: „Judenhasser treten Polizist in Klinik“. Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) fabulierte von einem „Mordversuch“. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) stellte sich im Bundestag hinter seine Schergen: „Die Polizei braucht keine Skepsis, sondern Rückendeckung durch die Politik.“

Wie falsch das ist, zeigt eine Recherche von „Süddeutscher Zeitung“ und NDR. Gestützt auf eine Videoanalyse der Rechercheagentur Forensis belegt diese, dass der besagte Polizeibeamte keineswegs „in die Menge“ gezogen, nicht „zu Boden gebracht“ und auch nicht angegriffen wurde. Der Polizist soll sich bei dem Einsatz die rechte Hand gebrochen und eine Wirbelsäulenprellung zugezogen haben. Die Recherche legt den Schluss nahe, dass er dafür selbst verantwortlich ist.

Seit dem 7. Oktober 2023 ist das Demonstrationsrecht in Berlin de facto abgeschafft. Wer sich öffentlich gegen den Genozid der israelischen Regierung an den Palästinensern aussprechen will, kann bestenfalls auf eine stationäre Kundgebung hoffen. Die Kundgebung zum Nakba-Tag war als Demo angemeldet. Zwei gerichtliche Eilentscheidungen zwangen die Teilnehmer zum Stillstand.

Die Polizei ist dabei nicht nur Werkzeug der Politik, um die juristisch durch nichts gedeckte „Staatsräson“ in die Köpfe zu prügeln. Sie ist selbst politischer Akteur. Sie interpretiert Recht und verhindert Demonstrationen und Versammlungen, wenn sie das möchte – gerne mit dem Hinweis versehen, man könne ja klagen, wenn einem ihre Einschätzung nicht passe. Entscheiden Gerichte später zugunsten demokratisch gesinnter Versammlungsteilnehmer, bleibt deren Recht auf Versammlungsfreiheit beschädigt. Praktische Konsequenzen daraus haben Polizisten ohnehin nicht zu befürchten.

Für die Presse muss daraus folgen: Das Konzept der „privilegierten Quelle“, demzufolge Pressemitteilungen der Polizei besonders vertrauenswürdig seien, ist endlich zu beerdigen. Die Polizei hat kein Inte­resse daran, ihre Arbeit ehrlich darzustellen.

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"Richter und Henker", UZ vom 18. Juli 2025



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