80 Jahre nach Hiroshima: Das nukleare Inferno verhindern!

Sadakos Botschaft an die Welt

Vor 80 Jahren stieg der atomare Pilz über der japanischen Stadt Hiroshima in den Himmel. Am 6. August 1945 hatte der US-Bombenschütze Tom Ferbee die erste Atombombe ausgeklinkt, die gegen menschliche Ziele zum Einsatz kam. Keiner weiß genau, wie viele Todesopfer – vor allem Zivilisten und nach Japan verschleppte Zwangsarbeiter – es sofort gegeben hatte. Die Berichte gehen von mindestens 100.000 aus. Hinzu kam eine größere Zahl von verstrahlten Opfern, die in späteren Jahren zu beklagen waren. Und noch bis in jüngere Zeit wurden Babys mit genetischen Schäden geboren. Japanische Schüler, die überlebten, berichteten, womit sie im Moment des Bombenabwurfs beschäftigt waren: Mit der Mütze eine Libelle fangen, den Rock flicken, sich an das Knie des Vaters lehnen … Kleine Glücksmomente einer Geborgenheit, die in der nächsten Sekunde ins Inferno gerissen wurde. Mitsuo Matsushige hat uns die einzigen Fotos überliefert, die das menschliche Leid und die Verwüstung der Stadt zur Tatzeit festhalten. Er sagte, Tränen hätten die Bilder im Sucher verschwimmen lassen. Doch sie gingen in aller Klarheit um die Welt – als erschütternde Mahnung. Und so wurde auch das Zeitzeichen des Mädchens Sadako Sasaki gelesen. Durch die Strahlungen an Leukämie erkrankt, hatte es nach einer alten japanischen Weissagung in vergeblicher Hoffnung auf Heilung über eintausend Origami-Kraniche gefaltet. Sadakos Botschaft hat die Jahrzehnte überdauert und bringt sich, denken wir an das berühmte „Kraniche“-Lied, in akuter Brandgefahr wieder eindringlich in Erinnerung.

Den Befehl zum Atomschlag gegen japanische Städte erteilte US-Präsident Truman während der Potsdamer Konferenz, die vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 im Schloss Cecilienhof stattfand. Nazideutschland hatte bereits am 8. Mai bedingungslos kapituliert. Die faschistische Achsenmacht Japan befand sich noch im Krieg. Als Truman am 21. Juli die detaillierte Nachricht vom erfolgreichen Atombombentest in der Wüste von Nevada erhielt, informierte er tags darauf zuerst nur Winston Churchill. In dem Irrtum, in der So­wjet­union wisse man nichts vom Test dieser neuen Waffe mit der ins Vielfache gesteigerten Zerstörungskraft, hielt Truman die Nachricht bis zum 24. Juli zurück. Dann erst informierte er Stalin. An diesem Tag war ihm mitgeteilt worden, dass die Bombe ab dem 1. August einsatzbereit sei, und unverzüglich gab er im Einvernehmen mit Churchill den Befehl zum Abwurf. Der sollte aber erst nach dem 3. August, dem Ende der Potsdamer Konferenz, stattfinden. Die beiden Abwurfziele, Hiroshima am 6. und Nagasaki am 9. August, wurden nach der lokalen Wetterlage anvisiert. Das politische Ziel indes richtete sich auf künftige geostrategische Vorteile, vor allem die Dämpfung des sowjetischen Einflusses im heraufziehenden Kalten Krieg.

Dass Truman und im Gefolge Churchill den Einsatz von Kernwaffen einer eigentlich geplanten groß angelegten Invasion vorzogen, hatte mit dem von Stalin zugesagten Eintritt der UdSSR in den Krieg gegen Japan zu tun. Was eben noch als Entlastung des Westens im konventionell geführten Krieg bis hin zu einem Friedensvertrag mit Nippon angestrebt war, schien nun hinfällig. Bei einem gemeinsamen Sieg, so meinten Truman und Churchill, wäre der in Europa bereits errungene sowjetische Einfluss zu ihren Ungunsten auf den asiatischen Raum ausgedehnt worden. Die Bomben schufen schnellere, vor allem genehmere Tatsachen. Ihre Entfesselung begründete auf den Ruinen zweier Städte und den Leichnamen ihrer Bewohner die amerikanische Vormachtstellung in diesem Teil der Welt. Die Wirkung der Bombe auf menschliches Leben und die Umwelt war in einem perfiden Feldversuch getestet worden. Die Welt sollte beeindruckt und gewarnt sein. Als Wirkung auf Stalin hatte man sich ein lähmendes Gefühl von Deklassierung erhofft. Aber Stalin wusste längst Bescheid und erteilte den Befehl, das eigene Atomwaffenprojekt zu beschleunigen.

Das Leben im so begonnenen Atomzeitalter kannte stets die Angst vor einem versehentlich oder mutwillig herbeigeführten nuklearen Inferno. Zum Glück blieb es, was die Fähigkeit zur Auslöschung der Menschheit birgt, eine Drohung aus den Arsenalen. Aber der Atomwaffensperrvertrag von 1968 ist löcherig geworden. Der forcierte Drang zu atomarer Drohkulisse und nuklearer Teilhabe ist unübersehbar. Es wurde hoch gepokert, als die US-Army völkerrechtswidrig und aus gefaktem Anlass Angriffe auf iranische Atomanlagen flog. Neuerdings diskutiert man in den USA über einen nuklearen Erstschlag gegen China. Paris will europäische Partner unter einen französischen Nuklearschirm laden. In Deutschland wird auch über einen nationalen Alleingang zur Atombombe spekuliert. „German Foreign Policy“ zitierte einen Bericht des „Spiegel“, wonach dieses Szenario von Diplomaten „hinter vorgehaltener Hand nicht für ausgeschlossen“ gehalten werde. Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Jens Spahn, hatte erklärt, Europa müsse „abschreckungsfähig“ werden, dazu reichten die stationierten US-Atomwaffen nicht aus. Wer nicht nuklear abschrecken könne, werde „zum Spielball der Weltpolitik“.

Es tut weh, sich solchen Wahnsinn anzuhören. Ich war 1985 in Hiroshima, sah Mitsuo Matsushiges Fotos, hörte die Geschichte vom Mädchen Sadako, traf auf Aktivisten der japanischen Anti-Atomwaffen-Bewegung, deren Stirntücher die Aufschrift „Nie wieder!“ trugen. Hiroshima bewegte das Weltgewissen. Vier Jahrzehnte später trampeln Politiker mit großer Klappe und getrübter Weitsicht, aber vor bellizistischer Kraftmeierei strotzend, durch die in Kriegsangst versetzte europäische Landschaft und wollen sich aus der herbeiprovozierten Konfrontation mit Russland ihre Berechtigung zum Zündeln besorgen. Das ist die Zeit, in der eine erstarkende Friedensbewegung dieses „Nie wieder!“ auf die Straße tragen muss. Und lasst uns vor Abgründen die Botschaft des Mädchens Sadako immer wieder hören, damit ihr Schicksal dieser und künftigen Generationen erspart bleibt.

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"Sadakos Botschaft an die Welt", UZ vom 1. August 2025



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