Klassenkampf mit Hurensöhnen

Sehr, sehr dünn

Der Tag war stürmisch. Das war das Beste dran. Unser Vorzelt knallte im Sekundentakt, die Coronaviren tanzten Polka und den medialen Panikopfern auf dem Weg vom Rewe nach Hause flogen die Großeinkäufe davon. Schick. Der Rest war maximal Vier plus. Kein Gartenbro A., keine schöne M. und kein U. ohne Zähne am Tisch. Letzterer hatte sich mal wieder angekündigt, wurde aber anscheinend ob seiner 41 Kilo auf dem Weg zum Gucken vom Winde verweht. Zu dritt sahen wir anderen ein furchtbar maues Spiel, vom Dortmunder Wirbel zeugte nur Müll, der übers Spielfeld segelte. Ein einzige schöne Kombination, Jason Sancho, Tor. Das wars. Sehr, sehr dünn.

Und sonst? In Hoffenheim wurde fast ein Spiel abgebrochen. Wegen eines Transparentes im bayrischen Fanblock. Wegen Rassismus? Oh nein, ich bitte euch. Wegen Dietmar Hopp! Wo war die Solidarität und kollektive Betroffenheit von Spielern und Verantwortlichen bei rassistischen Vorfällen, zum Beispiel jüngst bei den Beleidigungen gegen den Berliner Jordan Torunarigha? Wo waren die Spieltagsverschiebungen wegen der neun Opfer von Rassenhass in Hanau? Wo die „klare Kante“ im Fall Tönnies? Das gab es alles nicht. Die Herren vom FC Bayern und dem DFB aber zeigen ihre Solidarität, wenn ein armer Milliardär als Sohn einer Dame aus dem horizontalen Gewerbe bezeichnet wird. Drama! Gesellschaftlicher Ausnahmezustand! Spielabbruch! Ganz ehrlich? Ein Witz. Hier scharen sich alte, weiße Männer, die nichts als Macht und Geld kennen, um einen der Ihren. Friede den Logen, Kampf den Kurven. In dem ganzen Kuddelmuddel schien selbst Christian Streich nicht die Linie zu finden: „Wenn du siehst, wie das politisch von einer gewissen Partei in diesem Land instrumentalisiert wird, dann muss ich sagen: Wehret den Anfängen!“, sagte Streich: „Ich bin der Erste, der vom Platz runtergeht.“ Recht hat er, denn er meint die AfD und ihren Rassismus. Aber mit Schmähungen gegen Dietmar Hopp hat das nun mal rein überhaupt nichts zu tun. Nichts! Insofern, leider: Sehr, sehr dünn.

Mein Abend endete belanglos. Coronapanik, Sturm und allgemeine altersbedingte Gebrechen schienen das Wirken meines Freundeskreises auf die Zubereitung veganer Vollkornnudeln reduziert zu haben, selbstverständlich laktosefrei und vielseitig geschmacksneutral, zu Hause natürlich, wo es doch am schönsten ist. Ich streckte meine Käse-Lauch-Suppe mit Wasser und Weißwein und sah einen Film, der so inhaltsfern war, dass ich ihn am nächsten Tag komplett vergessen hatte. Film, Essen und Samstag waren somit eher so: Sehr, sehr dünn.

Ebenso war wohl der Auftritt des DFB-Präsidenten Keller im Aktuellen Sportstudio, den ich mir vorsichtshalber geschenkt hatte – neue Fernseher kosten Geld. Ein Fußballfan fasste die Aussagen des „Erneuerers“ in drei Worten zusammen: „Inhaltlich schwarzes Loch“. Dem DFB jedenfalls stehen stürmische Zeiten bevor. Diverse Spiele in Liga eins und zwei wurden unterbrochen. So in Bochum, weil ein Transparent verkündete: „Ein Hurensohn wird beleidigt – ganz Deutschland schockiert. Rassismus an der Tagesordnung – nichts passiert!“ Deshalb wird ein Fußballspiel unterbrochen? Wegen der Wahrheit? Euer Ernst?! Jetzt stehen die Fans aller Vereine – außer natürlich Hoffenheim und Leipzig – auf den Barrikaden. Und dieses ganze widerlich falsche, moralinsaure Gebilde DFB steht auf Eis im Frühling. Und das ist nun, Gott sei Dank und endlich: Sehr, sehr dünn.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Sehr, sehr dünn", UZ vom 6. März 2020



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol LKW.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit