Bürgermeister im Vogtland kümmert sich um Gedenken an Todesmarsch-Opfer

Stölzels Stele

Lokale antifaschistische Initiativen kämpfen mitunter jahrzehntelang gegen kommunalpolitische Widerstände, wenn sie Gedenktafeln an faschistische Gräueltaten durchsetzen möchten. In Bergen, einem Ortsteil der Gemeinde Eichigt im sächsischen Vogtlandkreis, lief das anders. Dort finanzierte der parteilose Eichigter Bürgermeister Christoph Stölzel aus eigener Tasche eine Stele, die an zwei namenlose Opfer eines Todesmarsches erinnert.

Dieser Todesmarsch begann am 4. April 1945 im KZ-Außenkommando Sonneberg, einem Außenlager des KZ Buchenwald. Weniger als die Hälfte der Häftlinge überlebten. Viele starben an den Strapazen oder Misshandlungen, mehr noch wurden von SS-Schergen erschossen. Die ermordeten wohl auch die beiden namenlosen Opfer in Bergen. Zeitzeuge Friedhold Adler sah, wie die Leichen der beiden auf einem Leiterwagen transportiert wurden. Adler ist seit sechs Jahren tot, aber Stölzel erinnert sich noch gut an dessen Erzählungen. „Er hatte gerade seinen 12. Geburtstag hinter sich, als der Todesmarsch am Gehöft seiner Eltern vorbeigezogen ist. Diese Bilder hat er nie vergessen“, erzählt er im Gespräch mit UZ.

Lokale Hobbyhistoriker forschen seit Jahrzehnten über diesen Todesmarsch. Ihre Erkenntnisse halfen Stölzel, sich dem Thema zu nähern. Auf öffentlichen Widerstand stieß er bei seinem Projekt nicht. Das liege wohl daran, dass er seit 14 Jahren Bürgermeister sei. „Ich habe hier einen gewissen Stand. Ich kann das machen, andere nicht.“ Erleichtert stellte er fest, dass bei der Einweihung der Stele am 17. April diesen Jahres keine Nazis in Springerstiefeln am Ortseingang standen. Keine Selbstverständlichkeit in einem Ort, in dem faschistische Parteien immer wieder Wahlsieger werden.

Viele Nächte lang zerbrach sich Stölzel den Kopf über eine würdige Inschrift für die beiden Opfer, über die heute nur das Todesdatum bekannt ist. „Der Großteil der Häftlinge in Sonneberg waren Juden.“ Er entschied sich deshalb für ein Zitat aus dem Talmud: „Anfangs ist der böse Trieb wie ein Vorübergehender, dann wie ein Gast und zuletzt wie ein Hausherr.“ Im Vorfeld habe es kontroverse Auffassungen dazu gegeben, berichtet Stölzel. So befürchtete etwa seine Tochter, die Talmud-Stelle könne unverstanden bleiben. „Die Leute begreifen das sehr wohl“, weiß er heute. „Das ist überhaupt nicht intellektuell aufgeziegelt. Ich habe richtig viel Zuspruch bekommen, gerade wegen dieses Zitats.“ Jeder Betrachter der Stele könne seine eigene Perspektive auf Hass und Hetze hineinlesen.

Bürgermeister Stölzel denkt dabei zuvorderst an das Kriegsgetrommel der deutschen Politik gegen Russland. In seiner Rede zur Einweihung der Stele hatte er an die grausame Blockade Leningrads der Deutschen Wehrmacht im zweiten Weltkrieg erinnert, die eine Million Einwohner der Stadt das Leben kostete. 25 Millionen Russen seien im zweiten Weltkrieg ermordet worden. „Da hab ich schon das Gefühl angesichts der gegenwärtigen Feindbilder: Das wird negiert. Das wird ignoriert.“

Als junger Mensch habe er den Briefwechsel von Romain Rolland mit Stefan Zweig gelesen, in dem es um die Zeit vor dem ersten Weltkrieg geht und um Feindbilder, die in Frankreich und Deutschland aufgebaut wurden. „Wenn ich das in die Gegenwart übersetze, sage ich: Der Lernprozess ist nicht sonderlich fortgeschritten.“ Zur nächsten Bürgermeisterwahl tritt Stölzel altersbedingt nicht mehr an. „Mit dieser Stele habe ich einen Schlusspunkt gesetzt.“

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"Stölzels Stele", UZ vom 28. Mai 2021



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