ver.di-Bundeskongress tagt in Leipzig

Zukunftsgerecht?

Von Herbert Schedlbauer

Auf dem 5. Ordentlichen ver.di-Bundeskongress, der vom 22. bis 28. September in Leipzig stattfindet, steht eine arbeitsreiche Woche bevor. Das gesellschaftspolitische Umfeld ist alles andere als gut. So hat sich seit dem letzten Kongress vor vier Jahren nicht nur die Klassenauseinandersetzung in allen Bereichen verschärft, auch die Angriffe von Seiten des Kapitals auf die Gewerkschaft ver.di haben zugenommen.

Den rund 1 000 Delegierten liegen über 1 100 Anträge vor. Die Vertreter der zweitgrößten Einzelgewerkschaft wollen sich in den nächsten Jahren für Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, Bildungs-, Sozial- und Rentenpolitik, Jugend und Friedenspolitik einsetzen. Kritisch wird einzuschätzen sein, was in den letzten vier Jahren nicht erreicht wurde.

Seit 2015 hat die Gewerkschaft mehrere neue Kampffelder aufmachen müssen. Es ist gelungen, besonders in Dienstleistungsberufen mit hohem Frauenanteil – zum Beispiel bei Erzieherinnen und in der Pflege – höhere Gehälter und bessere Lohngruppen durchzusetzen. Dies gelang auch und gerade, weil ver.di die Bevölkerung für die Arbeitsbedingungen in den Kitas, Pflegeheimen und Krankenhäusern sensibilisieren konnte. Trotz antigewerkschaftlicher Medienkampagnen und Störfeuer der bürgerlichen Parteien erhielt dieser gewerkschaftliche Kampf viel Solidarität und Unterstützung von der Straße durch Bürgerinitiativen.

Mit Hilfe einer breit angelegten Kampagne und durch die Unterstützung des Deutschen Gewerkschaftsbundes und seiner Einzelgewerkschaften konnte erstmalig ein gesetzlicher Mindestlohn erreicht werden. In Leipzig werden die Delegierten sich auch mit den Angriffen des Kapitals und seiner Parteien auf die Änderungen des Arbeitszeitgesetzes und die noch immer wachsende Zahl von Leiharbeitern beschäftigen.

Am Dienstag wird ein neuer Bundesvorsitzender gewählt. Frank Bsirske (67) wird nicht mehr kandidieren. Bsirske führte ver.di seit deren Gründung 2001. Vorgeschlagen ist als Nachfolger Frank Werneke, bisheriger Bundesfachbereichsleiter des Fachbereichs Medien, Kunst und Industrie. Werneke ist seit 2001 Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes, seit 2003 Stellvertretender Vorsitzender. Von 1998 bis 2001 war er Leiter des Fachbereichs 8 und Mitglied des Geschäftsführenden Hauptvorstandes der IG Medien.

Außerdem entscheiden die Delegierten über die Zusammensetzung eines 84-köpfigen Gewerkschaftsrates und wählen einen neuen Bundesvorstand. Der wird aus neun Kolleginnen und Kollegen bestehen.

Ob und wie weit es gelingt, die unüberbrückbaren Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit mit einer offensiveren Gangart zu beantworten, könnte der Bundeskongress maßgeblich entscheiden. Setzt man weiter auf Sozialpartnerschaft und Lobbyismus wie bisher? Oder besinnt man sich wieder mehr auf die eigene Kraft? Dazu benötigt man einheitliche Konzepte und Analysen, welche Rolle Gewerkschaften im Kapitalismus einnehmen müssen. Entscheidende Fragen, deren Antworten maßgeblich dazu beitragen werden, ob die Dienstleistungsgewerkschaft wirklich zukunftsgerecht aufgestellt ist.

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"Zukunftsgerecht?", UZ vom 20. September 2019



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