Bundestagsresolution gegen „Antisemitismus“: Palästina-Solidarität im Visier

Zum Abschuss freigegeben

Pünktlich zum 9. November stand der Text. Schließlich wollten die Ampel-Parteien und die Unionsfraktion im Bundestag die Gelegenheit nutzen, um das Gedenken an die Reichspogromnacht für einen umfassenden Angriff auf die Meinungs-, Versammlungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit zu missbrauchen. Nichts anderes steckt hinter der Resolution mit dem irreführenden Titel „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“.

Mit dem Kampf gegen Antisemitismus hat das Pamphlet, das an diesem Donnerstag im Bundestag beschlossen werden soll, nichts zu tun. Denn was nutzt es Jüdinnen und Juden, wenn sich der Bundestag zwar wortreich über die „Vielfalt jüdischen Lebens“ freut, sie aber zugleich absichtsvoll mit der dümmstmöglichen Verdrehung drangsaliert: mit der Gleichsetzung des Staates Israel und ihrer Religionsgemeinschaft. Genau das passiert in der Resolution, die sich mit Nachdruck auf die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) von Antisemitismus stützt, mit der Kritik an der israelischen Politik als „antisemitisch“ diffamiert wird. Die Ablehnung von Krieg und Völkermord oder der Widerstand gegen die illegale Besatzungspolitik fallen damit aus dem Spektrum der zulässigen Meinungen. Eine tolle „Vielfalt“, die da gefeiert wird.

Hauptziel der Resolution sind aber andere Gruppen. „In den vergangenen Monaten ist nicht zuletzt das erschreckende Ausmaß eines Antisemitismus deutlich geworden, der auf Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens basiert“, heißt es im Text. Dazu habe man es auch noch mit „vermehrt israelbezogenem und links-antiimperialistischem Antisemitismus“ zu tun. Die Lösung dafür? Ampel und CDU rufen dazu auf, „Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen“. Das gelte im „besonderem Maße im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht“.

Die Adressaten dieser Ausführungen marschieren in uniformierten Prügeltrupps, sitzen in den Gerichtssälen und Amtsstuben. Hundepfeifen-Politik nennt man es, wenn verklausuliert Feindbilder benannt und zum Abschuss freigegeben werden. Die Resolution mag keine Gesetzeskraft haben, aber sie ist ein Signal an die Vertreter der „Staatsräson“, nun ohne Hemmungen zuzuschlagen, wenn sie auf vermeintliche „Antisemiten“ mit der falschen Religion, der falschen Herkunft oder der falschen – weil antiimperialistischen – Überzeugung treffen. Zu Recht verspricht sich die Springer-Zeitung „Welt“ davon „eine erhebliche Verschärfung der Gangart gegenüber allen, die gegen Israel oder gegen Juden hetzen“. Wer die jetzt schon stattfindenden brutalen Polizeiüberfälle auf palästinasolidarische Camps und Demonstrationen verfolgt, kann sich leicht ausmalen, wie es weitergehen soll.

Doch nicht nur auf der Straße und in den Ausländerbehörden wird die „Gangart“ verschärft. Die Resolution fordert weitere Vereinsverbote gegen „extremistische Organisationen“. Dabei wird explizit die international aktive BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) genannt. „Antisemitisches Verhalten“ an Universitäten soll durch „entsprechende Möglichkeiten“ abgestraft werden. Dazu zählen: „die Anwendung des Hausrechts, der Ausschluss von Unterricht oder Studium bis hin zur Exmatrikulation“. Fördermittel für Kunst und Kultur soll es nur noch nach einer Gesinnungsprüfung geben. Wer sich hier mit Kritik – etwa zur deutschen Beteiligung am Völkermord in Gaza – zu weit aus dem Fenster lehnt, ist schnell raus.

Geht es nach dem Willen von Ampel und CDU, sollen ohnehin schon stark eingeschränkte Debattenräume bald ganz geschlossen werden. Das ruft auch bürgerliche Kritiker auf den Plan. In der „Berliner Zeitung“ wandte sich Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, „gegen einen Bekenntniszwang, wenn Kultur-Fördermittel beantragt werden“. Der „Deutschlandfunk“ berichtete über vertrauliche Gespräche mit Bundestagsabgeordneten, die „die Arbeit an dieser Resolution mit schweren Bedenken, teilweise Entsetzen verfolgt“ hätten. Sie hätten sich unter anderem von proisraelischen Lobbyorganisationen und der israelischen Botschaft unter Druck gesetzt gefühlt und hätten Angst, „von der Bild-Zeitung als Antisemit und Israelhasser diffamiert zu werden“.

Die Folgen der Resolution dürften also für niemanden überraschend kommen. Schon gar nicht für die, die abgebrüht genug sind, um unter dem Titel „Nie wieder ist jetzt“ den reaktionär-militaristischen Staatsumbau voranzutreiben.

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"Zum Abschuss freigegeben", UZ vom 8. November 2024



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