Französische Abgeordnete lehnen Referendum über geplante Rentenreform ab

Angst vor der Volksmeinung

Es war der zehnte landesweite Aktionstag innerhalb von rund zehn Wochen, den die französischen Gewerkschaften gegen die von Staatschef Macron gewollte „Rentenreform“ veranstaltet haben. Wieder sind Hunderttausende den Aufrufen der Gewerkschaften gefolgt, die Arbeit niederzulegen und sich zu örtlichen und regionalen Kundgebungen und Demonstrationen in mehreren Dutzend Orten im ganzen Land zu versammeln. Es gibt wohl kein anderes Beispiel einer so lang anhaltenden. gewerkschaftlich initiierten sozialen Bewegung in den letzten zehn Jahren in ganz Europa.

Die „intersyndicale“, die Aktionsgemeinschaft der beteiligten Gewerkschaften, hat in ihrem gemeinsamen Kommuniqué am Abend des 20. Februar zu Recht die „Entschlossenheit“ hervorgehoben, mit der sich die französischen Lohnabhängigen dem unsozialen „Reformvorhaben“ ihrer Staatsspitze entgegenstellen. Dieses Projekt eines Rentensystems nach Punkten sei „ein Rückschritt für das Rentenrecht aller Generationen und besonders der Jugend“, wurde in dem Kommuniqué erneut betont. Doch die Ablehnung dieses Projekts sei nunmehr bei den Beschäftigten der Privatwirtschaft wie der öffentlichen Dienste fest verankert, hieß es weiter.

„Die Arbeitenden werden so lange nicht aufgeben, wie die Regierung ihr Vorhaben nicht zurückzieht“, ging es weiter in dem Text. Er ruft dazu auf, die Aktionen ohne Pause fortzusetzen „in allen Formen, die örtlich beschlossen werden“. Zu zwei weiteren landesweiten Höhepunkten sollen der Internationale Frauentag am 8.  März und der 30.  März (nach den Kommunalwahlen am 15. und 23. März) gemacht werden.

Die Beteiligung an diesem 10.  Aktionstag war allerdings deutlich geringer. Als ein Grund dafür wurden die zum gleichen Zeitpunkt stattfindenden Winterferien genannt. CGT‑ Chef Martinez verwies zusätzlich darauf, dass es bei solchen Aktionen immer ein Auf und Ab gebe. Aber auch die Erklärung, dass sich bei einer so lang anhaltenden Bewegung bei Teilen der Aktiven auch eine gewisse „Demonstrationsmüdigkeit“ einstellen kann, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Die bürgerlichen Medien versuchen, daraus den Eindruck eines generellen Ablaufens herbeizuschreiben und die Stimmung zu fördern, dass die ganze Demonstriererei sowieso nichts nütze.

Parallel zu dem Aktionstag begann in der letzten Woche die erste Lesung der Gesetzentwürfe zu dem Rentenprojekt der Regierung in der französischen Nationalversammlung.

Gleich zu Beginn gab es einen sehr bezeichnenden Vorgang. Zum Auftakt der Debatte wurde von den Abgeordneten von Macrons Partei „La Republique en Marche“, die im Parlament die absolute Mehrheit stellen, ein Antrag von 61 vorwiegend linken Abgeordneten abgeschmettert, der ein Referendum, also eine Volksabstimmung, über das Rentenreformprojekt verlangte. Deutlicher konnte kaum gezeigt werden, dass Staatspräsident Macron und seine Regierung sehr wohl wissen, dass es ihnen nicht gelungen ist, ihrem Vorhaben eine mehrheitliche Unterstützung in der Bevölkerung zu verschaffen. Deshalb ließen sie mit der Ablehnung eines Referendums lieber ihre Angst vor der Volksmeinung sichtbar werden, als das Wagnis eines direkten Volksentscheids einzugehen.

Die Durchsetzung des neuen Systems, das im Namen der Kostenbegrenzung bei der Rentenversicherung das Renteneintrittsalter auf später verlegt, also den Zwang zu arbeiten verlängert und zugleich eine allgemeine Absenkung der Rentenhöhe vorsieht, war der Regierungsmehrheit wichtiger. Zugleich soll damit den Versicherungskonzernen ein neues und für sie günstiges Betätigungsfeld für die Einwerbung von mehr privaten Zusatzversicherungen eröffnet werden.

Es zeichnet sich ab, dass diese autoritäre Regierungspraxis, die elementare demokratische Grundsätze mit Füßen tritt, um ein unsoziales und deshalb unpopuläres Projekt der Verschlechterung des Rentensystems durchzusetzen, nach den Kommunalwahlen Mitte März noch rigorosere Formen annehmen könnte. Macron und Co. wollen ihre neoliberale Rentenpolitik mit aller Gewalt noch vor der Sommerpause durchsetzen.

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"Angst vor der Volksmeinung", UZ vom 28. Februar 2020



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