Innenministerin will „Extremisten“ entlassen

Berufsverbote 2.0

„Wir lassen nicht zu, dass unser demokratischer Rechtsstaat von innen heraus von Extremisten sabotiert wird.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bläst mit dem „Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Disziplinarverfahren in der Bundesverwaltung“ zum Angriff auf „Verfassungsfeinde“ im öffentlichen Dienst. Die Neuregelung, die Disziplinarverfahren straffen soll, betrifft zunächst die circa 200.000 Bundesbeamten. Es ist jedoch absehbar, dass die Innenministerien der Länder, zuständig für circa 1,5 Millionen Landes- und Kommunalbeamte, die vom Bundeskabinett am 15. Februar beschlossen Regelungen übernehmen werden.

Während auf der Ebene des Disziplinarrechts dafür gesorgt werden soll, dass „Verfassungsfeinde deutlich schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden“ (Faeser), arbeiten das Bundesinnenministerium und die Innenminister der Länder seit Jahren daran, kritische Geister flächendeckend gleich beim Einstellungstest auszusieben. Umgesetzt wird der Gesinnungs-TÜV zumeist durch pseudo-freiwillige „Fragebögen“, bei denen die zu ahndende „Unterstützung“ anhand einer Liste „verfassungsfeindlicher Organisationen“ abgefragt wird. Für die Einstufung als verfassungsfeindlich reicht es aus, wenn die Organisation im Verfassungsschutzbericht aufgeführt ist. Wer sich weigert, die Fragen zu beantworten, ist draußen. Wer schwindelt, trägt das Risiko einer stichprobenartig durchgeführten Überprüfung durch den Verfassungsschutz. In zunehmend mehr Bundesländern schenkt man sich die Fragerei und lässt gleich für jeden Bewerber eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz laufen. Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Hessen haben sie für Juristen im Staatsdienst eingeführt; Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen setzen sie bei Polizeibewerbern ein. Bremen und Berlin planen sie gerade für den Polizeidienst, Brandenburg für den gesamten öffentlichen Dienst. Und das, obwohl 1995 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesrepublik Deutschland genau wegen dieser Regelanfragepraxis verurteilt hat. Er sah hierin eine Verletzung der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit und damit einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Schleichend, aber stetig drehen die Innenministerien die Uhr in die 1970er Jahre zurück. Nach bisher geltendem Disziplinarrecht konnte nur ein Verwaltungsgericht die Entlassung aus dem Dienst verfügen, jetzt soll dies der Dienstherr per einfachem Verwaltungsakt vornehmen können. Damit trägt in Zukunft der Beamte und nicht mehr der Staat die Begründungslast, wenn er gegen die Entlassung klagt. Der DGB („Ein schnelleres Verfahren darf nicht auf Kosten elementarer Rechte der Betroffenen gehen“) und der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR) haben sich bereits entschieden gegen die Straffung der Verfahren ausgesprochen. Außerdem geben die Zahlen aus der Disziplinarstatistik nichts für den von Faeser behaupteten Gesetzgebungsdruck her: Im Jahre 2021 wurden 373 Disziplinarverfahren gegen Bundesbeamte eingeleitet, lediglich in neun Fällen ging es um „Zweifel am Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung“. Warum also das Ganze? Der Staat bringt sich für unruhige Zeiten in Stellung, oder, wie es der Deutsche Beamtenbund formuliert hat: Der Gesetzentwurf „sendet eine Botschaft des Misstrauens sowohl an die Beschäftigten als auch an die Bürgerinnen und Bürger“.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Berufsverbote 2.0", UZ vom 24. Februar 2023



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