Die Bremer Räterepublik war nach den Berliner Ereignissen isoliert und militärisch nicht zu halten

Bremen im Belagerungszustand

Von Gerrit Brüning

Bei den revolutionären Ereignisse in Bremen vom November 1918 bis Februar 1919 spielten lokale Besonderheiten insofern eine Rolle, als in Bremen aufgrund der Stärke der linken und linksradikalen Tendenzen innerhalb der Sozialdemokratie die Spaltung der Partei unter umgekehrten Mehrheitsverhältnissen verlief und die Unabhängigen Sozialdemokraten und Kommunisten, gestützt auf ein besonders kämpferisches Industrieproletariat, die Revolution in Bremen erfolgreich über ihre bürgerlich-demokratische Phase hinaustreiben konnten. Sichtbarer Ausdruck dieser Entwicklung war die Bremer Räterepublik, welche jedoch, da im Gegensatz zur Entwicklung des übrigen Reiches stehend, letztlich nicht gegenüber der erstarkten Konterrevolution verteidigt werden konnte.

Ein wesentlicher Teil dieses Kampfes zwischen Revolution und Konterrevolution war die Auseinandersetzung zwischen den Arbeiterparteien, welche in Bremen vor allem zwischen Kommunisten und Unabhängigen Sozialdemokraten einerseits und Mehrheitssozialdemokraten andererseits geführt wurde, da an der Weser die Unabhängigen, im Gegensatz zu ihren Genossen im Reich, von vornherein mit den Kommunisten (auch im Januar/Februar 1919) und nicht mit den Mehrheitssozialdemokraten kooperierten.

Die Vorbehalte der Bremer Linksradikalen gegenüber dem Spartakusbund, die hauptsächlich mit dessen Mitgliedschaft in der USPD zusammenhingen, wurden im Moment des Austritts der Spartakisten aus der Unabhängigen Sozialdemokratie gegenstandslos. Dennoch war es vor allem der Bremer Kommunist Johann Knief, der eine Vereinigung mit den Spartakisten ablehnte. Erst die Intervention des Bolschewiken Karl Radek konnte Knief vom Gegenteil überzeugen und machte den Weg zur Vereinigung der beiden Organisationen möglich, die Ende Dezember 1918 die KPD gründeten.(siehe auch die UZ vom 21.12.2018 sowie 4.1.2019)

Obgleich von einer sich radikalisierenden Massenbewegung im gesamten Reich unterstützt, gelang es der Bremer KPD nicht, bei den Wahlen zum Bremer Arbeiterrat einen durchschlagenden Erfolg zu erzielen. Vielmehr wurde die KPD mit 59 Mandaten nur mit einem Sitz Vorsprung vor der USPD zweitstärkste Kraft, wohingegen die MSPD 104 Mandate erzielte, was gemeinsam mit Stimmen des 30-köpfigen Soldatenrats eine konterrevolutionäre Mehrheit im Arbeiter- und Soldatenrat bedeuten konnte. Um dieses Ergebnis erzielen zu können, hatten die Mehrheitssozialisten das Wahlreglement ausgenutzt – es regelte, dass nur Mitglieder der Freien Gewerkschaften oder der Arbeiterparteien wählen durften – und eine große Menge Angestellter und Beamter in die Partei aufgenommen. Hierin zeigte sich jene taktische Raffinesse, die die Mehrheitssozialisten den Kommunisten gegenüber voraus hatten, die sich in einer ähnlichen Situation, nämlich bezüglich der Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung, auf ihrem Gründungsparteitag zu einem Wahlboykott entschieden hatten. Allerdings wirkte sich der Erfolg der MSPD positiv auf das Verhältnis von Kommunisten und Unabhängigen aus, die beide die Mehrheitssozialdemokraten nicht mehr im bremischen Arbeiterrat akzeptieren wollten.

Für die revolutionären Kräfte in Bremen stellten sich – in Verbindung mit den Januar-Ereignissen im Reich – somit drei Aufgaben: „Erstens sollte die Proklamierung der Räterepublik und die Errichtung der proletarischen Diktatur in Bremen die in Berlin im Januaraufstand kämpfenden Revolutionäre unterstützen. Zweitens sollte der Senat bei dieser Gelegenheit völlig ausgeschaltet werden, um ihm den letzten Rest seiner Macht zu nehmen. […] Drittens sollte […] der neugewählte Arbeiterrat ‚in seiner jetzigen Zusammensetzung’, also mit den Mehrheitssozialisten, nicht zusammentreten, sondern ‚nur aus revolutionären Köpfen’ bestehen. Dominierend aber war der Wille, die Revolutionäre in Berlin zu unterstützen und einen Bremer Beitrag zur Steigerung der November- zur Januarrevolution, zur Umwandlung der bürgerlichen in die proletarische Revolution zu leisten.“ (Siehe Kuckuk, Peter: „Bremen in der Deutschen Revolution 1918/19. S. 165–166)

Die „Sozialistische Republik“ wird ausgerufen

Es waren die Kommunisten, die in dieser Situation die Initiative ergriffen und eine am 10. Januar 1919 stattfindende Demonstration der Bremer Arbeitermassen zur Ausrufung der „Sozialistischen Republik Bremen“ und der Bildung eines nur aus KPD- und USPD-Mitgliedern bestehenden „Rat(s) der Volksbeauftragten“ nutzten. In ihrer Tageszeitung „Der Kommunist“ berichtete die KPD über die Motive ihrer Aktion folgendermaßen: „Arbeiter und Arbeiterinnen! Wollt ihr dem Kampf des Berliner revolutionären Proletariats gegen die Blutregierung Ebert-Scheidemann müßig zusehen? […] Wollt ihr, während die sozialpatriotische Regierung eure Brüder in Berlin dahinmordet, mit ihren Vertretern in den Räten friedlich an einem Tisch verhandeln? […] Vertreibt sie aus allen Räten und aus allen Ämtern, duldet keinen von ihnen mehr unter euch!“(Siehe: „Der Kommunist“. Flugzeitung der Internationalen Kommunisten Deutschlands, vom 10. Januar 1919, Staatsarchiv Bremen) Die Mandate der somit ausgeschlossenen Mehrheitssozialisten wurden nicht vollständig ersetzt, sondern mit jeweils 15 Sitzen der KPD bzw. der USPD zugeschlagen, sodass nunmehr 75 Kommunisten und 74 Unabhängige dem Soldatenrat gegenüberstanden. Bei dieser Zusammensetzung des Arbeiter-und-Soldaten-Rates war aber klar, dass die Kommunisten auf die Zusammenarbeit mit der USPD und eine Neutralisation des Soldatenrates angewiesen waren, weswegen der linke Unabhängige Adam Frasunkiewicz und der Soldatenrat Ecks in die Pläne zur Etablierung der Räterepublik eingeweiht worden waren. Über die Einbeziehung der linken Unabhängigen gelang es dann auch, ihren „gemäßigten“ Flügel um Henke zu integrieren, welcher noch am selben Tag zum Präsidenten der Sozialistischen Republik ernannt wurde. Durch den Beschluss einer Versammlung der Vertrauensmänner und des Soldatenrats wurde dann am 12. Januar 1919 die Etablierung der Räterepublik abgeschlossen und der Bremer Sonderweg von der Ebene der Arbeiterparteien auf die des Staatswesens aufgehoben: „Die Verkündung der sozialistischen Republik Bremen ist eine vollendete Tatsache. Sie bedeutet den logischen Ausbau und die Krönung der Revolution. Die Versammlung stellt sich geschlossen auf den Boden der bestehenden Tatsachen – sie erklärt, sich voll und ganz in den Dienst der sozialistischen Republik zu stellen und sie mit Blut und Leben zu schützen.“(Siehe: „Beschluss der Vollversammlung der Vertrauensmänner und des Soldatenrates der Garnison Bremen vom 12.1.1919“, Staatsarchiv Bremen, 4,65–540)

Nach Niederschlagung der Räterepublik in Bremen wurde vom Militärbefehlshaber eine provisorische Regierung aus Mitgliedern der Mehrheitssozialisten (MSPD) eingesetzt. Eine der ersten Tätigkeiten war die Gründung einer „Regierungsschutztruppe“.

Nach Niederschlagung der Räterepublik in Bremen wurde vom Militärbefehlshaber eine provisorische Regierung aus Mitgliedern der Mehrheitssozialisten (MSPD) eingesetzt. Eine der ersten Tätigkeiten war die Gründung einer „Regierungsschutztruppe“.

( public domain)

Auf ihren Ausschluss aus den Räteorganen reagierten die Bremer Mehrheitssozialisten mit einer ähnlichen Strategie wie ihre Genossen in Berlin. Sie gaben sich nominell weiterhin als Teil der Revolution aus, führten aber gleichzeitig Verhandlungen mit der reaktionären Ebert-Regierung und verbündeten sich zunehmend mit dem „Bürgerausschuss“.

Eine der ersten Handlungen des neuen Arbeiter-und-Soldaten-Rates bestand dann in der Aufhebung der Doppelherrschaft auf der Ebene der Verwaltung, indem die Macht der Senatoren beseitigt und an ihrer Statt Volkskommissariate geschaffen wurden. Dennoch konnte die Räteherrschaft nicht als stabil bezeichnet werden, da es sowohl in der Frage des Belagerungszustandes wie der der Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung zu Streitigkeiten zwischen den beiden revolutionären Arbeiterparteien, aber auch zu militärischen Bedrohungen kam. Während die Unabhängigen Sozialdemokraten sich für eine Beendigung des Belagerungszustands und (zumindest ihre „rechten“ Mitglieder) für die Beteiligung an den Wahlen aussprachen, sahen die Kommunisten darin verräterische Absichten: „Die erste Tat des neuen Arbeiterrates war, den Belagerungszustand zu proklamieren Es war ein selbstverständliches Vorgehen für alle revolutionären Elemente. Aber in der ersten Ratssitzung läuft bereits ein Antrag auf sofortige Aufhebung des Belagerungszustandes ein, ein Mitglied des Arbeiterratsvorstandes, der Genosse Lindau, begründet diesen Antrag und Genosse Henke, der Führer der bremischen Unabhängigen, erklärt, dass auch er für seine möglichst baldige Aufhebung sei [sic!] Dieser Vorfall ist ein bedeutsames Symptom. Er hat die ersten Versuche der Unabhängigen, gegen die Durchführung der proletarischen Diktatur zu wirken, gezeitigt. Und das schon in erster Stunde!“ (Siehe: „Der Kommunist“, Flugzeitung der Internationalen Kommunisten Deutschlands, vom 14. Januar 1919, Staatsarchiv Bremen)

Während sich in der Haltung der Kommunisten zum Belagerungszustand ihre revolutionäre Konsequenz zeigte, erlangte die Haltung der USPD in dem Moment ihre (revolutionäre) Berechtigung, in dem ein alternatives Entwicklungsmodell an der Realität scheitern musste. Die militärische Bedrohung der Räteherrschaft kam jedoch zunächst nicht von außen, sondern ging am 14. Januar 1919 von jener Bremer Garnison aus, deren Vertreter zwei Tage zuvor noch ihre Treue zur Sozialistischen Republik bekundet hatten. Auslöser hierfür waren die Kommunisten gewesen, die den Soldatenrat zur Sicherung der Rätemacht von konterrevolutionären Elementen säubern wollten. Infolgedessen erhob sich die Garnison gegen die revolutionäre Regierung, besetzte strategisch wichtige Punkte des Stadtgebiets und lieferte sich Feuergefechte mit den Arbeitern der AG Weser. Durch den erfolgreichen Widerstand der Werftarbeiter „kam es zu einer Verständigung, nach der die Listen der Arbeiterbataillone durch gemischte Kommissionen geprüft und die Waffen in den Depots gehalten werden sollten.“(Siehe: Kolb, Eberhard: „Die Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik 1918–1919“, S. 343) Doch mit diesem Kompromiss war der ultralinke Flügel der Bremer KPD nicht einverstanden, der, angeführt von Karl Jörn, einen Putsch gegen die Arbeiterregierung organisierte, das Rathaus und die Banken besetzte und forderte, die Kontrolle über die Waffen den revolutionären Arbeitern zu überantworten und die Finanzprobleme der Räterepublik über die Enteignung der Goldvorräte der bremischen Banken zu lösen. Obgleich die Enteignung der Goldvorräte sicherlich eine geeignete Antwort auf die finanziellen Schwierigkeiten gewesen wäre und man sich über die dahingehende Zurückhaltung der revolutionären Regierung wundern kann, scheiterte der Putsch an seiner politischen Isolation und führte zum erzwungenen Rücktritt Jörns von seinem Amt als Kommissar für Volkswohlfahrt und zum Verlassen Bremens. Neben der Führung der KPD wiesen auch die Unabhängigen in Gestalt Alfred Henkes solche Aktionen entschieden zurück. Henke betonte darüber hinaus, dass er die gemeinsame Regierung nur fortsetzen würde, wenn die KPD für die Unterstützung durch die bewaffneten Arbeiter garantieren würde.

Die Entscheidung fiel in Berlin

Letztendlich wurde die Entscheidung darüber, ob der Bremer Sonderweg in Gestalt der Räterepublik fortbestehen konnte aber nicht vor Ort, sondern in Berlin gefällt. Denn es waren weder die finanziellen Engpässe noch die internen Streitigkeiten, die die Sozialistische Republik Bremen in die Knie zwangen. Nachdem in Berlin die Januarkämpfe mit einer Niederlage der revolutionären Arbeiter geendet hatten, blieb die Bremer Räterepublik isoliert und war somit vor allem militärisch nicht zu halten. Denn die Berliner SPD-Regierung hatte „auch auf Bitten der Abgesandten der Bremer Kaufmannschaft – beschlossen, in Bremen wieder ‚Ruhe und Ordnung‘ herzustellen.“ (Vgl.: „Zur Entstehung und Geschichte der Bremer Räterepublik“, in: Bremer Arbeiterbewegung – 75 Jahre Bremer Räterepublik, Bremen 1994, S. 10)

Dies reihte sich in die Strategie der MSPD-Führung ein, die Hochburgen und Institutionen der Arbeiterräte zu beseitigen, und an Bremen als der damals fortgeschrittensten revolutionären Bastion sollte ein Exempel statuiert werden. Obwohl Alfred Henke am 25. Januar gegenüber Gustav Noske noch die Verhandlungsbereitschaft der Bremer Räteregierung deutlich machte, befahl dieser seinen Truppen noch am selben Tag den Angriff auf die Hansestadt. Am 4. Februar griffen die konterrevolutionären Truppen Bremen an. Ihren über 3 000 Soldaten, ausgerüstet mit Artillerie und sogar Panzern, konnten die revolutionären Arbeiter und Soldaten nicht widerstehen. Diese Konterrevolution verhängte noch am Tag ihres Angriffs den Belagerungszustand über Bremen (sie zeigten dabei weniger Skrupel als die Unabhängigen Sozialdemokraten) und verhafteten eine große Anzahl von Revolutionären. Die nun wieder zur Macht gelangten „alten Gewalten“ setzten sogleich eine aus fünf Mehrheitssozialdemokraten bestehende provisorische Regierung ein, die in der Folge die KPD-Zeitung „Der Kommunist“ verbot und den Unabhängigen Sozialdemokraten die „Bremer Bürger-Zeitung“ (erneut) enteignete.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Bremen im Belagerungszustand", UZ vom 1. Februar 2019



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit