Das Bündnis "Duisburg stellt sich quer" organisiert Gegenaktionen zu den sogenannten "Hygiene-Demonstrationen"

„Da braut sich was zusammen“

UZ sprach mit Gizem Kockaya. Sie ist Sprecherin von „Duisburg stellt sich quer“.

UZ: Sie haben am vergangenen Samstag gegen eine Kundgebung von Verschwörungstheoretikern demonstriert und rufen zu weiteren Aktionen auf. Ist es nicht besser, diesen diffusen Haufen zu ignorieren?

Gizem Kockaya: Auf gar keinen Fall. Denn maßgeblich mit dabei sind organisierte extreme Rechte, die die aktuellen staatlichen Pandemiemaßnahmen zum Anlass nehmen, um sich als angebliche Verteidiger von Demokratie und Grundrechten zu inszenieren.

Die wollen sich an die Spitze der sogenannten „Hygiene-Demonstrationen“ stellen, um mit ihrer flachen und widersprüchlichen Propaganda neue Mitglieder zu gewinnen und den öffentlichen Raum zu dominieren. Das sollte keineswegs verharmlost und ignoriert werden. Progressive Kräfte unserer Gesellschaft dürfen jetzt nicht ohnmächtig zusehen, sondern müssen öffentlich sichtbar widersprechen, bevor diese diffuse Gruppierung stärker wird. Da braut sich was zusammen, deswegen ist antifaschistischer Protest genau jetzt sehr wichtig. Wir überlassen denen nicht die Straße für ihre Hetze.

UZ: Was sind das in Duisburg für Leute, die da zusammenkommen?

Gizem Kockaya: Unter ihnen sind sowohl bekannte Gesichter aus dem Neonazi-Spektrum als auch Menschen, die krude Verschwörungsthesen teilen. Wieder andere haben zum Teil vielleicht auch berechtigte Zweifel an den Pandemiemaßnahmen und sind nicht dem Neonazi-Spektrum zu zuordnen. Allerdings haben die dann wiederum kein Problem damit, mit Rechtsextremisten gemeinsam zu demonstrieren. Die extreme Rechte knüpft in diesem Milieu an Ängste und Verunsicherung an. Das macht diese Zusammenkünfte ja so gefährlich. Das es absolut widersinnig ist, dass ausgerechnet Neonazis angeblich für Grund- und Freiheitsrechte demonstrieren, fällt dort nicht auf.

Wer tatsächlich gegen Gesetzesverschärfungen aktiv werden will, ohne rechte Hetze zu verbreiten, kann das mit uns tun. Wir wenden uns seit Jahren gegen repressive Gesetze und waren Teil der Proteste gegen die neuen Polizeigesetze, die ganz real mehr Überwachung und staatliche Strafbefugnisse bedeuten.

UZ: Können solche Bündnisse von Rechten und Verschwörungstheoretikern überhaupt gesellschaftliche Relevanz erlangen oder ist das ein kurzlebiges Phänomen?

Gizem Kockaya: Wenn Menschen durch den Umgang der staatlichen Behörden mit der Pandemie verunsichert sind, sich in ihren Grund- und Freiheitsrechten bevormundet fühlen und die organisierte Rechte diesen psychologischen Zustand der Menschen geschickt für ihre Zwecke instrumentalisieren, können solche Bündnisse von Rechten und Verschwörungstheoretikern eine gesellschaftliche Relevanz erlangen. Damit es nicht soweit kommt und das Ganze ein kurzlebiges Phänomen bleibt, müssen Linke und Antifaschisten endlich aus ihrer Corona-Starre erwachen und mit allen möglichen Mitteln in die Offensive gehen.

UZ: Was halten Sie diesen Aufmärschen inhaltlich entgegen?

Gizem Kockaya: Bei den Pandemiemaßnahmen der Bundesregierung geht es um viel mehr als um eine vermeintliche „Impfpflicht“ oder den Mund-Nasen-Schutz. Während auf der einen Seite die Bevölkerung mit Arbeitslosigkeit, Entlassungen, Kurzarbeit, weniger Arbeitsrechten und mit dem Scheitern des Gesundheits- und Bildungssystem zu kämpfen hat, werden auf der anderen Seite die profitgierigen Konzerne mit milliardenschweren Rettungsschirmen untertänig beschenkt. Als antifaschistisches und antikapitalistisches Bündnis thematisieren wir auf unseren Gegenkundgebungen genau dieses Missverhältnis. Die Corona-Krise ist auch eine Krise des Kapitalismus und die Bevölkerung soll sie ausbaden am Ende noch bezahlen. Genau dagegen ist es sinnvoll zu protestieren und mit vielen Menschen zu überlegen, wie wir uns gemeinsam dagegen wehren können. Wer auch nur einen Moment glaubt, dafür könnte es ein Bündnis mit Rechten geben macht sich komplett unglaubwürdig.

Ein Blick nach Bornheim genügt, wo grade im Moment Spargelbauern aus Rumänien um ihren Lohn geprellt werden, keinen Gesundheitsschutz erhalten und von Obdachlosigkeit bedroht sind. Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist in sich ungerecht und vielfach grausam. Dafür braucht es keine Verschwörung.

Das Gespräch führte Henning von Stoltzenberg



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