Über die öffentlich-rechtliche Meinungsmonopolisierung

Das Sterben der anderen

Was anderswo als staatliche Propaganda oder – etwas freundlicher – einfach als „Staatsmedien“ bezeichnet wird, heißt in Deutschland „öffentlich-rechtliche Medien“. Diese sind laut grundgesetzlichem Auftrag dazu gehalten, „die Bedürfnisse von Mehrheiten und Minderheiten zu berücksichtigen“.

Das klingt gut, und wenn es um Minderheiten in anderen, vor allem nicht gut gelittenen Staaten geht, klappt die Berücksichtigung auch meist. Mit den Minderheiten im eigenen Land tun sich die Intendanten und Chefredakteure mit ihrem Auftrag dagegen schon schwerer. Seit jeher werden die innenpolitischen Gegner von links aus Debatten im medialen Raum weitgehend ausgegrenzt; nachdem die DDR aufhörte zu existieren, hörten Stimmen, die eine andere Gesellschaftsform als den Kapitalismus befürworten, medial gänzlich auf zu existieren. Nach 1990 gab man im Gefühl des Siegs großmütig vor, sich nach den intellektuellen Zumutungen der Bonner Republik und des Kalten Kriegs zu bessern und die Berichterstattung ein wenig offener zu gestalten – Linie war aber, dass sich 1990 nicht die Fehler von 1945 wiederholen sollten und genau deshalb DDR-Staatsdiener nicht wie ehedem die Nazi-Leute an den Schaltstellen bleiben durften: Begünstigte man 1945 die Rechten, bestrafte man 1990 zum Ausgleich die Linken.

Folgerichtig gaben die öffentlich-rechtlichen Medien der „Anti-Euro-Partei“ AfD zielgerichtet so viel Raum, dass man die sich daraus flink entwickelnde profaschistische AfD hernach gar nicht mehr aus der Berichterstattung herausnehmen konnte, selbst wenn man es noch gewollt hätte. Dass auch private Medien zur AfD-Popularität beigetragen haben, ist richtig – dass Rechtsextreme als integraler Bestandteil der kapitalistischen Realität ideologisch gar nicht glaubhaft bekämpfbar sind, auch.

Die angebliche Hilflosigkeit der hiesigen Medien beim Blick auf eine gedeihende Frucht, die man selbst gesät hat, hat ihr Pendant in der internationalen Politik. Taliban, IS und Hamas wurden von westlichen Ländern aufgebaut, um dann ihre Machtübernahme zu beklagen, sie später zum Schein und für andere Zwecke bekämpfen zu können und sie am Ende wieder zu instrumentalisieren. Bei den Faschisten, die aus vielen Ländern in die Ukraine gegangen sind, um das Kriegshandwerk zu lernen, ist man derzeit in der ersten Phase. Später wird man sich sehr erschrocken geben.

Eigentlich lernt man spätestens in der sechsten Schulklasse vom Sinn, den gegnerischen Standpunkt einzubeziehen. Aber hiesige Medien bewerben einen Waffenstillstand in der Ukraine erst, seit die US-Regierung den Krieg verloren gibt. Und nach mehr als neunzehn Monaten Flächenbombardierungen auf Gaza, aus dem man im Gegensatz zu den ukrainischen Schlachtfeldern nicht fliehen kann, ist so plötzlich, als hätte man nie über etwas anderes berichtet, das Leid der Zivilbevölkerung in den Blick geraten. In Gaza liegt das Verhältnis getöteter Zivilisten zu getöteten Bewaffneten bei wenigstens 10:1. Im Ukraine-Krieg liegt es bei 1:40 bis 1:50, aber jedes ukrainische zivile Opfer wird beleuchtet wie der unsinnige Mord an den beiden israelischen Diplomaten in Washington. Da sind die täglich Dutzende von toten Palästinensern doch wieder schnell aus dem Blick – so wie die zu Hunderttausenden gefallenen ukrainischen Soldaten mal keine Erwähnung wert sind, mal heruntergerechnet werden.

Die eingangs zitierten ARD-Grundsätze vom September 2013 versprechen, „die internationale Verständigung zu fördern“. Ginge es darum, würden Widerspruch und Kritik nicht ausgegrenzt – Kriegsmedien reicht jedoch die Verständigung untereinander. Beim Gegner wird das als Gleichschaltung bezeichnet.

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"Das Sterben der anderen", UZ vom 30. Mai 2025



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