Über die Neuauflage der Maxime „Lieber tot als rot“

Den Wahnsinn beenden

Er habe, sagte General a. D. Harald Kujat am 27. Februar im „Deutschlandfunk“, seit Monaten die Diskussion befürchtet: „Je näher die militärische Niederlage der Ukraine rückt, desto mehr taucht auch die Frage auf – sollen NATO-Truppen unseren Waffen, westlichen Waffen, in die Ukraine folgen oder nicht?“ Er wisse von mindestens drei Ländern, in denen das ernsthaft diskutiert werde. Russland wisse das auch und treffe operative Vorbereitungen. Bei der „Taurus“-Lieferung gehe es nicht, wie deren Befürworter behaupteten, um Unterbindung der russischen Armeelogistik, sondern „ausschließlich um strategische Ziele“.

Trotz solcher Argumente steigert sich auch hierzulande die Rhetorik der Befürworter von Handlungen, die unmittelbar die Existenz Russlands in Frage stellen können. Sie finden sich in der SPD, bei den Grünen, in der FDP und der CDU/CSU. Was reitet sie?

Die wichtigste Antwort lautet: Sie sind der Auffassung, dass die Rolle der USA und ihrer Verbündeten als „einziger Weltmacht“ und vor allem als Weltpolizist mit allen Mitteln – einschließlich dem Risiko eines Atomkrieges – aufrechterhalten werden muss. Es ist die Neuauflage der Maxime „Lieber tot als rot“.

Sie begleitete als eine Art Staatsideologie die Geschichte der BRD seit 1949. Erst das Erreichen des strategischen Gleichgewichts mit den USA durch die Sowjetunion bei Atomwaffen in den 60er Jahren ermöglichte das, was als „Entspannungspolitik“ bezeichnet wird. Bei dem Versuch, die Sowjetunion und ihre Bündnispartner totzurüsten, blieb es – und es gelang. Gleichzeitig „Kanonen und Butter“ zu produzieren, wie es jetzt erneut etwa von Ifo-Chef Clemens Fuest heißt, gelang nicht. China entzog sich dem Wettrüsten und überlebte.

Mit Chinas Aufstieg und dem „Pivot to Asia“ von 2011, der Verlagerung des gigantischen US-Militärapparats nach Asien und in den Pazifik durch die

Obama-Administration, sind „die Gefahren eines großen und sogar weltweiten Krieges wieder in den Mittelpunkt der politischen und kulturellen Debatten gerückt“, wie Domenico Losurdo in seinem 2022 posthum auf Deutsch erschienenen Buch „Eine Welt ohne Krieg“ festhielt.

Die Forderungen nach Waffen, die das Risiko eines Atomkrieges erhöhen können, sind ein Teil dieser Diskussion: Es geht den Befürwortern um den Erhalt der weltweiten US-Vorherrschaft, um die Aufrechterhaltung der unipolaren Welt. Es scheint so, als ob Washington den Verbündeten auf dem europäischen Schauplatz weitgehend freie Hand lässt – auch für unverantwortliche Debatten. Die US-und NATO-Kriegsideologie brandmarkt dabei Russland und China als Feinde der Demokratie und des Friedens – ein Muster, das schon die US-Politik im Ersten Weltkrieg analog verwendete. Der Potsdamer Militärhistoriker Lothar Schröter drückte es am 11. Februar in einem Gespräch mit „junge Welt“ so aus: „Es geht um die Verewigung der Unipolarität – der Hegemonie des Westens – gegen die Multipolarität, wonach die Mehrheit der globalen Staatengemeinschaft strebt. Der Westen aber kann sich nur durchsetzen, wenn in weiterer Zukunft China bezwungen wird. Dazu aber muss zuerst Russland ausgeschaltet werden, um sich seine unermesslichen Ressourcen anzueignen. Und zwar bevor Russland gänzlich festen wirtschaftlichen Boden unter die Füße bekommt. Einen Zwei-Fronten-Krieg kann der Westen niemals gewinnen, politisch nicht und militärisch erst recht nicht, zumal bei Letzterem auch der eigene Untergang droht. Das erste blutige Schlachtfeld dafür manifestiert sich im NATO-Ukraine-Krieg.“

Mehr denn je seit Beginn dieses Krieges durch Kiew 2014 ist es nötig, ihn zu beenden.

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"Den Wahnsinn beenden", UZ vom 29. März 2024



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