Was der Terror im Nahen Osten mit Neoliberalismus zu tun hat

Der Islamische Staat

Von Stefan Kühner

Werner Ruf: Islamischer Staat & Co: Profit, Religion und globaler Terror, PapyRossa-Verlag, Köln, 2017

Werner Ruf: Islamischer Staat & Co: Profit, Religion und globaler Terror, PapyRossa-Verlag, Köln, 2017

Allein der Begriff „Islamischer Staat“ (IS) jagt vielen bereits Schauer über den Rücken. Verbunden wird der IS hier nicht nur mit dem Grauen, das sich im fernen Morgenland (der Levante) abspielt. Er wird bei uns verbunden mit der Angst vor islamischen Anschlägen und einer allgemeinen Furcht vor dem Islam und allem, was so aussieht, als könne es mit dem Islam zu tun haben. Viele Menschen in Deutschland (wahrscheinlich nicht nur hier) blicken mit hoffnungsfrohen Erwartungen auf eine Zeit, in der der IS besiegt und zerschlagen ist und dann endlich wieder Frieden herrscht.

In seinem zweiten Buch zum Thema Islam setzt sich der Friedens- und Konfliktforscher Prof. Dr. Werner Ruf mit den Kräften auseinander, die den IS finanzieren und ihn in die Welt gesetzt haben. Dass der Islam dabei eine Rolle spielt, ist für Ruf unbestritten. Ebenso unbestritten, dass globalisierter Terror von ihm ausgeht. Im Gegensatz zu vielen Kommentatoren in den Hauptmedien gräbt Ruf allerdings tiefer und sucht nach historischen und vor allem wirtschaftlichen und sozialen Gründen, warum es möglich ist, die Religion des Islam so schonungslos für politische Zwecke zu instrumentalisieren.

Im ersten Kapitel befasst sich der Autor mit dem Niedergang des Osmanischen Reichs und den Interessenkonflikten, die im ersten und zweiten Weltkrieg auch diese Region ins Chaos stürzten. Er zeigt außerdem auf, dass die ökonomischen und strategischen Interessen des Westens in dieser ölreichen Region die regionalen Konflikte enorm verschärften.

Zum Verständnis der Bedeutung des Islam in diesem Konflikt beleuchtet Ruf im zweiten Kapitel die politischen Auseinandersetzungen zwischen den Ländern der Region. Er zeigt auf, dass religiöse Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten instrumentalisiert wurden und werden, um von den sozialen Konflikten innerhalb der einzelnen Länder und den Machtansprüchen zwischen den konkurrierenden Ländern des Nahen Ostens abzulenken. Eine besonders schlimme Rolle spielt dabei der saudische Wahhabismus. Diese extreme Form der islamischen Auslegung erweist sich unter dem Blickwinkel der Menschenrechte als besonders erschreckend. Ökonomisch verfolgt der Wahhabismus neoliberale Lösungen und steht deshalb auch mit den USA und den meisten EU-Staaten in guter Kooperation.

Das dritte Kapitel erklärt, wie der „Islamische Staat“ entstand und welche Zielvorstellungen diesen „Gewaltakteur“ antreiben. Hier macht Ruf deutlich, dass der Islam, oder richtiger, „seine fundamentalistische wörtliche Auslegung“ tatsächlich als Basis der Macht der dschihadistischen Gruppen angesehen werden muss. Diese „schlichte“ Auslegung des Islam ist nach Rufs Einschätzung, neben der üppigen Bezahlung der Kämpfer, auch einer der Gründe, warum Jugendliche aus vielen Teilen der Welt sich der dschihadistischen Bewegung anschließen. Im vierten Kapitel beleuchtet Ruf die aktuellen Auseinandersetzungen im „nahöstlichen Hexenkessel“ und stellt im Kapitel „Fazit“ die Frage, wie der Dschihadismus nun bekämpft werden könne.

Wer dieses Buch zu Ende gelesen hat, bleibt desillusioniert zurück. Man ahnt, dass der religiös verbrämte Terror nicht aufhören wird – weder durch militärische Aktionen, noch durch Friedensgespräche, in die immer nur ein Teil der Akteure eingebunden ist. Selbst wenn die sozialen Ursachen des Dschihadismus beseitigt würden, bliebe nach dem Gemetzel und der Entwürdigung der Menschen in der Levante eine riesige Wut auf diejenigen zurück, die den Krieg dorthin getragen haben. Ruf fordert im Fazit Maßnahmen zur Befriedung, unter anderem Waffenlieferstopps und ein Ende der Einmischung von außen. Schließlich verweist er auf die Notwendigkeit „die neoliberale Weltordnung zu bekämpfen und Freihandelsabkommen abzuschaffen, in denen die Staaten der „Dritten Welt“ unter die Knute der Profitmaximierung der Konzerne gezwungen werden. Diese Forderung mag utopisch erscheinen“, schreibt Ruf auf der letzten Seite seines Buchs, „weil sie der neoliberalen Religion der absoluten Freiheit der Märkte widersprechen“.

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"Der Islamische Staat", UZ vom 22. Dezember 2017



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