Niemand hat gesagt, Antifaschismus sei einfach

Deutschland, dein Rassismus

Kolumne

Die AfD liegt in Umfragen gleichauf mit der Union. Das kann uns weder mit Blick auf notwendige Kämpfe gegen Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Kapitalismus und Krieg noch im Ringen um Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung kalt lassen. Denn ein gesellschaftlicher Rechtsruck schwächt uns alle. Gleichzeitig fällt dieser Rechtsruck nicht vom Himmel.

Ich merke, wie ich zunehmend die Geduld verliere mit Leuten, die das Hohelied der Demokratie singen und gleichzeitig an Doppelmoral kaum zu überbieten sind. Das betrifft einerseits die realen materiellen Widersprüche, mit denen wir in unserem Alltag konfrontiert sind. Politiker fast aller Parteien präsentieren uns gerne Geflüchtete oder faulenzende Bürgergeldempfänger statt erbschaftsteuerbefreite Millionäre als Sündenböcke. Doch es berührt auch die Frage, welcher Menschenschlag es mit Blick auf Palästina allen Ernstes immer noch fertig bringt, eine indifferente Haltung einzunehmen. Es ist der weltweiten Solidaritätsbewegung und den himmelschreienden Grausamkeiten der israelischen Regierung in Gaza geschuldet, dass auch hierzulande immer mehr Menschen von Völkermord sprechen. Aber wie verrückt ist es, dass wir uns in diesem demokratischen Wohlfühlland beinahe daran gewöhnt hatten, diese Meinungsäußerung aus Angst vor den Konsequenzen zu meiden?

Jahrzehntelang wurden Naziaufmärsche mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit, die angeblich auch für Faschisten gelte, erlaubt. Nazipropaganda auf deutschen Straßen und Marktplätzen wurde notfalls gerichtlich mit Verweis auf die Versammlungsfreiheit durchgesetzt. Beim Thema Palästina hingegen ist es möglich, Menschen ihrer Grundrechte zu berauben, im großen Stil Meinungsäußerungen zu diskreditieren und Rednerinnen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer gewissen Gruppe, Glaubensrichtung oder Kultur unter den Generalverdacht des Antisemitismus zu stellen. Wo bleibt die lautstark erhobene Forderung, sich erst von der rechts-faschistoiden Regierung Israels zu distanzieren, bevor weiter Fördermittel vergeben, Mietverträge verlängert und Aufenthaltstitel gewährt werden? So wie Frauen im vorletzten Jahrhundert von Männern bescheinigt wurde, zu „Hysterie“ zu neigen, wird heute einer ganzen Community unterstellt, „kulturell bedingt“ beim Thema Palästina potenziell „aufgeregter“ zu sein. Das Wort dafür, wenn von der kulturellen Herkunft von Menschen auf ihr Wesen oder ihre (potenziellen) Handlungen geschlossen wird, heißt Rassismus.

Der strukturelle Rassismus in Polizei und Behörden ist ein bekanntes Problem. In Nürnberg brachte es ein USK-Beamter jüngst bei einem Einsatz gegen antifaschistische Demonstranten, die „Faschos raus!“ riefen, auf die griffige Formel: „Die Faschos sind nicht die da hinten, die Faschisten sind wir!“ Auch so sorgt man für klare Verhältnisse.

Ebenfalls in Nürnberg – und weit darüber hinaus – wird mit Spannung auf das Urteil gegen Hanna S. geblickt. Neun Jahre Haft hat die Bundesanwaltschaft wegen Hannas antifaschistischem Engagement gegen das SS-Wehrmachtsgedenken in Budapest gefordert. Neun Jahre Knast für den Vorwurf, „den Rechtsstaat“ und „das staatliche Gewaltmonopol“ in Frage gestellt zu haben. Es ist an Hohn nicht zu überbieten, dass die Bundesanwaltschaft von Rechtsstaatlichkeit spricht, obwohl dieser Staat im Rahmen des sogenannten „Budapest-Komplexes“ alle durch ihn selbst aufgestellten Regeln über Bord geworfen und Hannas Mit­angeklagte Maja illegal nach Ungarn ausgeliefert hat.

Es ist bisweilen nur schwer zu ertragen, mit möglichst vielen Menschen, auch Anhängern diverser bürgerlicher Parteien, gegen den real stattfindenden Rechtsruck auf die Straße zu gehen und gleichzeitig den Klassencharakter dieser „Demokratie“ mit jedem Polizeiknüppel und jedem Gerichtsbescheid zu spüren zu bekommen. Aber niemand hat gesagt, Antifaschismus sei einfach. Für Kommunisten war er das selten. Das macht ihn nicht weniger notwendig.

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"Deutschland, dein Rassismus", UZ vom 26. September 2025



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