Nicaragua: Vorbedingungen der Opposition gefährden Gespräche

Dialog oder Zuspitzung?

Von Enrique Herrera

Oppositionelle Gruppen fordern gleichlautend mit der US-Regierung die Intervention der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), noch ehe der von der Regierung Ortega vorgeschlagene nationale Dialog unter Vermittlung der Bischofskonferenz begonnen hat. Gewaltbereite Gruppen an der privaten Polytechnischen Universität UPOLI in Managua schaffen gesetzlose Zustände und drangsalieren die Anwohner. Die bisherigen Unruhen haben negative Folgen für die Sozial- und Entwicklungspolitik der Regierung.

Treibende Kräfte hinter den Unruhen der letzten Wochen verlangen die Beteiligung der protestierenden „Jugend“ und „Studenten“ am nationalen Dialog, die allerdings keine konsensfähige Vertretung haben. Die in der UPOLI verbarrikadierte Studentische Bewegung 19. April stellte jedoch der Regierung das Ultimatum, bis zum 9. Mai die Interamerikanische Menschenrechtskommission CIDH und Vertreter der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Ereignisse ins Land zu holen. Andernfalls würde es zu neuen Unruhen kommen. Anwohnerinnen der Universität UPOLI beklagen sich über Geld-erpressungen und Willkürakte gegen ihr Privatleben durch Personen, die mit handgefertigten Mörsern und Brandsätzen die Barrikaden bewachen.

US-Vizepräsident Mike Pence forderte in Washington ebenfalls das Eingreifen der dort ansässigen CIDH. Sie ist eine Kommission der OAS und die USA sind ihr größter Geldgeber. Allerdings haben die USA nicht den Vertrag von San José (1969) unterzeichnet, der die Zuständigkeiten der CIDH regelt. Damit verhindern die USA, selbst von der CIDH untersucht werden zu können. Pence bekräftigte die „feste Haltung von US-Präsident Trump gegen die Unterdrücker in Nicaragua, Kuba und Venezuela“. In diesen drei Ländern müssten die USA „noch Arbeit erledigen, um die Freiheit des Kontinents zu garantieren“. Die USA benutzen die OAS zur Durchsetzung ihrer Politik in Lateinamerika und der Karibik. Von 1962 bis 2009 hatte die OAS Kuba ausgeschlossen, weshalb Kuba auf eine Mitarbeit verzichtet.

Laut oppositionellen Angaben seien in den letzten elf Apriltagen 45 Personen bei Unruhen ums Leben gekommen, darunter zwei Polizisten und ein Journalist. 400 Personen seien verletzt worden. Die Staatsanwaltschaft nimmt gegenwärtig Anzeigen zur Untersuchung der Tatumstände entgegen. Die oppositionellen Gruppen bezweifeln die Glaubwürdigkeit der staatlichen Untersuchungen. Tatsächlich ist die Klärung der Ereignisse eine schwierige Aufgabe für die Regierung. Die Zahl etlicher durch Kopf- oder Brustschüsse getöteten Jugendlichen nagt am politischen Selbstverständnis vieler FLSN-Mitglieder, deren ältere Generation als Studenten oder Schüler durch den Kampf gegen die Somoza-Diktatur politisiert worden waren. Waren Heckenschützen am Werk? Waren es Provokateure in den Reihen der Polizei oder von rechten Anti-Sandinisten? Oder hatte die Gewalt seitens der Protestierer zur Eskalation geführt?

Die April-Unruhen haben zu einem starken Rückgang des Tourismus geführt, eine der hoffnungsvollsten Wachstumsbranchen Nicaraguas. Es werden für die nächsten zwei Monate Einnahmeverluste von bis zu 100 Millionen Dollar befürchtet. Seit Amtsantritt der Regierung Ortega im Jahr 2007 hatte Nicaragua sich den Ruf als sicherstes Land in Zentralamerika für Tourismus und Auslandsinvestionen erworben. Durch eine starke Wirtschaftsexpansion von bis zu 5 Prozent pro Jahr mit einer Verdoppelung der sozialversicherten Arbeitsplätze auf heute 913 700 wurden steuerfinanzierte Sozial- und Infrastrukturprogramme durchgeführt. Unterstützt wurden sie durch die solidarischen Wirtschaftsbeziehungen der ALBA-Länder, darunter vor allem Venezuela und Kuba. Ohne Wirtschaftswachstum von über 4 Prozent würde die Jugendarbeitslosigkeit wachsen. Um die 7 Prozent wären notwendig, um einen realen Rückgang zu erreichen. Auf dem Weg dorthin blieb in konzertierter Aktion mit dem Unternehmerverband COSEP und den Gewerkschaften der gesetzliche Mindestlohn einer der geringsten in Zentralamerika. Dafür gab es viel Kritik seitens der Oppositionellen, die jetzt gemeinsame Aktion mit dem COSEP gegen die Regierung machen. Ein Widersinn, denn vor Kurzem hatte die Regierung den Mindestlohn über das Angebot des COSEP hinaus erhöht. Dieser hatte sich von den Mindestlohnverhandlungen zurückgezogen, genau wie von denen zur Sozialversicherungsreform, die er viel drastischer gestalten wollte. Während sich also Risse in der kritisierten konzertierten Aktion zeigten, umarmt die übrige Opposition die Unternehmerschaft als Kampfgefährtin gegen die Regierung.

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"Dialog oder Zuspitzung?", UZ vom 11. Mai 2018



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