Cum-Ex: Es wird eng für Olaf Scholz

Die Erinnerung anderer

Der Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft zur „Cum-Ex-Steuergeldaffäre“ erwartet Bundeskanzler Olaf Scholz am Freitag, den 19. August, um 14 Uhr zur Zeugenvernehmung. Es ist das zweite Mal, dass der frühere Hamburger Bürgermeister zu den betrügerischen Steuertricks der Warburg-Bank und ihrer Deckung durch die höchsten Stellen der Hamburger Finanzverwaltung gehört wird. Es ist zu klären, ob die politische Führung der Hansestadt, namentlich Olaf Scholz und sein früherer Finanzsenator Peter Tschentscher, Einfluss auf die Entscheidung der Finanzverwaltung genommen haben, im Herbst 2016 auf eine Steuerrückforderung in Höhe von 47 Millionen Euro gegen die in den „Cum-Ex-Skandal“ verwickelte Warburg-Bank zu verzichten. Das Finanzamt ließ sie sehenden Auges verjähren.

Scholz will von alldem nichts gewusst haben, an die zahlreichen Kontakte mit den Abgesandten der Warburg-Bank erinnert er sich nicht mehr. Auch Tschentscher bestritt bisher jede Beteiligung. Seit Kurzem liegen dem 12-köpfigen Untersuchungsausschuss die Akten der ermittelnden Staatsanwaltschaft Köln vor. Teile des brisanten Materials gelangten in der vergangenen Woche ans Licht der Öffentlichkeit: Eine am 28. September letzten Jahres beim ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten und Scholz-Vertrauten Johannes Kahrs vollzogene Durchsuchung ergab Hinweise auf ein Konto und ein Wertschließfach bei der Hamburger Sparkasse. Im Schließfach befanden sich 214.800 Euro sowie 2.400 US-Dollar Bargeld. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt auch in Richtung Olaf Scholz. Am 30. März erwirkte sie beim Landgericht Köln einen Durchsuchungsbeschluss auf seinen früheren E-Mail-Account „olaf.scholz@sk.hamburg.de“. Zahlreiche E-Mails und Outlook-Kalendereinträge seit Jahresbeginn 2015 wurden bisher ausgewertet. Ein Abgleich zeige „ein auffälliges Ungleichgewicht“, stellt die Staatsanwaltschaft fest. Während vor 2020 „kaum noch Mails zu den Themen Cum-Ex oder Warburg aufzufinden sind, fanden sich zahlreiche Hinweise in den Kalendereinträgen“. Dies deute „auf eine gezielte Löschung zu den Themen Cum-Ex und M. M. Warburg hin“. Und dann sind da noch die Auswertungen des Handys der Hamburger Finanzsachbearbeiterin Daniela P., die mit der Abwicklung des bankenfreundlichen Steuerverzichts unmittelbar betraut war. Wenige Stunden nachdem der Verzicht des Fiskus auf 47 Millionen Euro hausintern beschlossen war, informierte sie am 17. November 2016 eine Kollegin: Der „teuflische Plan“ sei aufgegangen, man lasse die Forderung verjähren – sofern nichts mehr dazwischenkomme. „5“ sei hochzufrieden. In den Augen der Fahnder steht „5“ für das Amt 5, die Hamburger Steuerverwaltung. Diese unterstand direkt Finanzsenator Tschentscher.

Man darf gespannt sein, wie Tschen­tscher Letzteres kommentieren wird. Bisher übte er sich darin, den Verdacht der politischen Einflussnahme als „völlig haltlos“ zurückzuweisen. Die Einschläge für Scholz kommen folglich näher. Dabei ist der Bargeldfund in Sachen Kahrs das schwächste Indiz. Dass der Betrag für die Vermittlung des Kontakts zwischen Bankhaus Warburg und Scholz geflossen sein soll, ist bislang nur eine Vermutung. Geld in Schließfächern ist nicht illegal und kann aus vielen Quellen stammen. Laut der Plattform „Abgeordnetenwatch“ meldete Kahrs für das Jahr 2020 17 Nebentätigkeiten. 2005 geriet er bereits wegen fünfstelliger Wahlkampfspenden der Rüstungsunternehmen Rheinmetall und Krauss-Maffei-Wegmann ins Gerede. Noch schweigt Kahrs.

Die Scholzsche Taktik der „fehlenden Erinnerungen“ gleicht dem Ritt auf der Rasierklinge. Seine Flucht ins Vergessen scheitert an der Erinnerung anderer. Der Mitinhaber der Warburg-Bank Christian Olearius führte Tagebuch über alle Kontakte mit Scholz. Am 7. Oktober 2016 notierte er nach einem Telefonat mit dem Finanzamt, man lehne ein steuerliches Entgegenkommen kategorisch ab. Am 26. Oktober trafen sich der Bankerbe Max Warburg und Olearius im Büro des Bürgermeisters Olaf Scholz. Sie übergaben ein 7-seitiges „Argumentationspaper“, in dem sie darlegten, weshalb eine Steuerrückforderung die Existenz der Bank gefährden würde. Am 9. November schrieb Olearius in sein Tagebuch, Scholz habe sich persönlich gemeldet: „Schicken Sie das Schreiben ohne weitere Bemerkung an den Finanzsenator.“ Olearius sorgte für die Übergabe des Papiers an Tschen­tscher. Acht Tage später ist die Steuerschuld Vergangenheit. Noch Zweifel?

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Die Erinnerung anderer", UZ vom 19. August 2022



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