Kein Marx ohne Klassenkampf • Auszug aus der Rede von Daniel Bratanovic

Die Linke und der Arbeitermief-Marx

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( Thomas Brenner)

Die Genossen der Kommunistischen Partei Großbritanniens (CPB) übergaben ihr aus London mitgebrachtes Transparent dem Vorsitzenden der DKP, Patrik Köbele. Sie übermittelten ein Grußwort des Internationalen Sekretärs der CPB, John Foster: „Die Kommunistische Partei Großbritanniens möchte ihre herzlichsten Grüße an die DKP ausrichten, anlässlich des 200. Geburtstags des Karl Marx. (…) Heute schließen sich die britischen Kommunisten ihren Genossen in Deutschland an, indem sie sich dazu verpflichten, die Arbeit von Karl Marx voranzutreiben, die das ehrenhaftesten Anliegen der Welt verkörpert: die Befreiung der Menschheit.“

Die Landesherrin und der Kommissionspräsident, die SPD-Chefin und ein Quiz-Showmaster, der Bürgermeister und der Bischof – alle sind sie da und alle schützen sie Freude vor. Dabei mochten weder Land noch EU, weder Partei noch Fernsehen, weder Kommune noch Kirche diesen Karl Marx, dessentwegen die Genannten da zusammenkommen, je so recht leiden, und mögen ihn – genauer besehen – auch heute noch nicht. Das Tamtam, das gegenwärtig um den Mann betrieben wird, der sich, seit 135 Jahren tot, nicht dagegen wehren kann, ist nichts als eine einzige PR-Nummer. Der Kritiker der warenproduzierenden Gesellschaft gerät der Bistumsstadt, in der er geboren, zur willkommenen, weil verwertbaren Ikone – mal als Ampel-, mal als Hampelmännchen. Das freut den Kämmerer und ärgert den Lokalideologen.

Fancy ist dieser Karl Marx nur deshalb, weil er die Kommune – nicht den Kommunismus – ins Gespräch bringt. Sowie nämlich die Rede auf Inhalte kommt, ist alles Bekenntnis vergessen. Wer zum Beispiel weiß, dass die Geburtsstätte des lebenslangen Staatsfeindes im Besitz einer Stiftung ist, die sich nach einem Heidelberger Sattler und späteren Staatsmann benannt hat, der kann sich ausmalen, dass im Karl-Marx-Haus eine SPD-nahe Deutung von Vita und Werk geritten wird. Hier verstaubte die längste Zeit ein musealisierter und erstarrter Marx in sozialdemokratischen Vitrinen. Daran wird sich auch wenig geändert haben, wenn heute Kurt Beck als Vorsitzender jener Friedrich-Ebert-Stiftung die Dauerausstellung des Hauses nach erfolgtem „Facelifting“, wie es auf deren Homepage im Jargon der Schönheitsindustrie heißt, mit ein paar harmlosen Poesiealbumweisheiten wieder eröffnet haben wird. Sich ernsthaft mit den Konsequenzen der Gedanken des so verzerrt Geehrten auseinanderzusetzen, käme dem Pfälzer Hartz-Buben mit der Anmut einer Leberwurst nie in den Sinn.

Man hat derweil andere Gewährsmänner. Im Februar, kein Mensch hatte ihn gefragt, befand der Präsident der hiesigen Universität, es sei keine gute Idee, seine namenlose Akademie nach dem Trierer Revolutionär zu benennen. Denn ganz pragmatisch – wie auch sonst, anders können diese Leute ja nicht – ganz pragmatisch sei zu erwägen, was Absolventen einer Karl-Marx-Universität gefragt würden, „wenn sie sich bei einem (internationalen) Unternehmen bewerben“. Wahrscheinlich fingen sie an zu stammeln oder blickten betreten zu Boden, und noch ehe sie eine verschämte Antwort hervorpressen könnten, hätte der wählerische Arbeitgeber den Daumen schon gesenkt – abgelehnt. Warum da nicht eher, fragt also dieser ungefragte Michael Jäckel, den ebenfalls in der Moselstadt geborenen Oswald von Nell-Breuning zum Patron bestimmen? Denn dessen katholische Soziallehre könne, glaubt der Hochschulbürokrat, „weitaus mehr Verbindungen zu einer bedeutenden Trierer Tradition vorweisen […] als der historische und dialektische Materialismus“. (…)

Jede Wette: das Wort Klassenkampf wird bei den übrigen Trierer Feierlichkeiten nicht einmal erwähnt worden sein und falls doch, dann mit dem Hinweis versehen, dass sich die Verhältnisse seit Marxens Zeiten doch beträchtlich verändert hätten und der Gebrauch dieses Begriffs mithin unstatthaft sei. Auch die Gewerkschaften haben den linguistischen Kotau längst eingeübt, sprechen, die tatsächlichen Verhältnisse verkehrend, von „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“, bisweilen von Beschäftigen, kaum mehr von Lohnarbeitern und erst recht nicht von Arbeiterklasse. Jahrzehntelang haben bundesdeutsche Soziologen den Beweis erbringen wollen, dass an die Stelle der Klassen soziale Schichten getreten seien. Unermüdlich haben sie immer neue, scheinbar klassenlose Gesellschaften entdeckt: die nivellierte Mittelstandsgesellschaft, die Dienstleistungsgesellschaft, die Multioptionsgesellschaft, die pluralisierte Gesellschaft, die Verantwortungsgesellschaft, die Wissensgesellschaft oder die Risikogesellschaft. Dabei durfte das beharrliche Bemühen, den Klassenbegriff zu vermeiden, geradezu als Indiz dafür gelten, dass die Basis der Klassengesellschaft alles andere als beseitigt war. (…)

Die Linke, zumindest deren allergrößter Teil, hat sich bereits vor Jahrzehnten vom Proletariat und von der Kritik der politischen Ökonomie verabschiedet. Zur Aufhebung des Widerspruchs zwischen der fortlaufenden Vergrößerung des gesellschaftlichen Reichtums auf der einen und der wachsenden Not derer, die ihn hervorbringen, auf der anderen Seite hatte Marx eine angemessene Lösung parat: die revolutionäre Inbesitznahme dieses Reichtums durch die Produzenten. Davon will heute kaum mehr einer etwas hören. Vom faden Klassenkampf, vom Mief verschwitzter Arbeiter hat man sich erfolgreich verabschiedet und ist auch noch stolz darauf. An die Stelle einer erwarteten Erhebung der Proleten trat die Selbstverwirklichung, die eine postmaterialistische Linke in der Öko- oder der Anti-Atomkraft-Bewegung zu erlangen glaubte. Begeistert warfen sie sich in die ach so fesselnden und kreativen Projekte solcher Ein-Punkt-Bewegungen. Ein weiter, gesamtgesellschaftlicher Blickwinkel war damit nicht mehr zu haben.

Mit ihrer Absage an das Proletariat und ihrer Verabschiedung von einer Beschäftigung mit Ausbeutung und Klassenkampf hat diese Linke das moralisch-ideologische Bündnis mit dem Kapital gewählt und gleichzeitig dem erneuerten Management mit ihrer Litanei von Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung adäquate Stichworte geliefert: Die Arbeit der Lohnabhängigen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Äußerste Flexibilisierung der Betriebsabläufe, regelmäßige Qualitätskontrolle und der Wandel von der Fremdbestimmung zur individuellen Selbstvermarktung des Arbeitskraftbesitzers kennzeichnen die modernisierte kapitalistische Produktion. Damit verschwimmen die einstigen Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer weiter. Nach Feierabend lässt man den Betrieb eben nicht mehr Betrieb sein, sondern setzt sich an den heimischen Rechner, pflegt seine Netzwerke und kümmert sich um irgendwelche superwichtigen Projekte. Vor lauter Selbstentfaltung und Kreativität wird bei solcher Selbstausbeutung der Lohncharakter der Arbeit verdrängt. Wer daran erinnert, dass dies nicht Spaß, sondern Zwang ist, gerät zum Spielverderber. Die totale Mobilmachung des Lohnarbeiters geht so weit, dass Urlaub und Freizeit nur noch aktiv gedacht werden können. Man hängt am Strand nicht mehr einfach nur ab, spielt Skat oder hält Siesta, sondern surft und taucht, was das Zeug hält. Man geht nicht bloß spazieren, sondern walkt wie bescheuert gegen die Uhr durch den Wald. Verdächtig der, der seine Zeit entspannt vertrödelt.

Sicher, diese Veränderungen hat jene akademische Linke, die von Ökonomie nichts mehr wissen möchte, nicht bewirkt. Sie hat bloß die zustimmende ideologische Begleitmusik komponiert. Besäße sie noch einen Begriff von Ökonomie, würde sie das, was sie da feiert, auf gewandelte Formen der Kapitalverwertung zurückführen können. Die Produktivkraftentwicklung hat neue Tätigkeiten entstehen lassen, die Deregulierung des Weltmarkts hat den Export wichtiger werden lassen als den Binnenmarkt, das Kapital wurde unabhängiger von der je nationalen Arbeiterklasse und der Entwicklung der Masseneinkommen. Der reale Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital ist damit aber nicht verschwunden, er ist nur weithin entpersonalisiert und anonymisiert worden. Die unmittelbare und vor allem auch kollektive Erfahrung der Ausbeutung stellt sich nicht mehr so leicht ein.

Diese Unübersichtlichtkeit und Uneinheitlichkeit macht die theoretische Verallgemeinerung noch relevanter, wenn dereinst wieder ein kämpferisches Klassenbewusstsein ausgebildet werden soll. Dafür wird Marx unverzichtbar bleiben. Entgegen dem Gerede kritischer Kritiker, die in esoterischen linksakademischen Nischen fleißig Marx-Exegese betreiben, wonach nämlich aus Theorie nichts folgen dürfe, hat dieser Marx als erster in einem radikalen Sinn begriffen, dass Theorie zur praktischen Kritik hin organisiert werden muss. Und so ist denn auch der Titel dieses Beitrags zu verstehen, dass es keinen Marx ohne Klassenkampf gibt und keinen Klassenkampf ohne Marx geben sollte.

Vielleicht wird man eines nicht so fernen Tages, wenn das, was sich diesem Marx entnehmen lässt, sich ein paar mehr Leute haben einleuchten lassen und angemessen umzusetzen imstande sein werden, in die Richtung der Landesfürsten, Kommissionspräsidenten, der Bischöfe, Bürgermeister und SPD-Funktionäre rufen können: Jagt sie weg, zerschlagt ihre Vitrinen!

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"Die Linke und der Arbeitermief-Marx", UZ vom 18. Mai 2018



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