Gedenken eines 87-jährigen chinesischen Veteranen an Karl Marx • Von Yang Heng

Der revolutionäre Mentor

Dieses Jahr ist das 200-jährige Jubiläum der Geburt von Karl Marx, der mutig und unerschütterlich nach der wahren Gesetzmäßigkeit der menschlichen Gesellschaftsentwicklung suchte. Ich als alter Veteran der Volksbefreiungsarmee entwickelte im Laufe meines Lebens eine tiefe Verbundenheit mit Marx.

1948, als ich 16 Jahre alt war, wurde mein Heimatort Zhenping in der Provinz Henan vom alten menschenunterdrückenden feudalen System befreit. Um eine Zukunft zu finden, trat ich in die Volksbefreiungsarmee ein und wurde Soldat. Siegreich überquerte unsere Armee den Jangtse, rückte in den Südwesten von China vor und befreite die Provinzen Yunnan, Guizhou, Sichuan und Kangxi. Unsere Division im südlichen Bezirk von Sichuan stellte die Grundversorgung der Bevölkerung und den Frieden sicher.

Am 1. Oktober 1949 wurde dann die Volksrepublik China gegründet. Das chinesische Volk stand endlich auf. Zu dieser Zeit hingen, egal wohin man ging, an großen öffentlichen Plätzen die Porträts von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Zedong, ebenso von Liu Shao­qi, Zhou Enlai und Zhu De. Wenn es an Raum mangelte, hingen dort nur die Porträts von Marx und dem Vorsitzenden Mao. Da begann ich, mich für diesen bärtigen Ausländer Marx zu interessieren und die Bedeutung des Marxismus für die chinesische Revolution zu begreifen. Zu dieser Zeit hatte ich nur eine oberflächliche Wahrnehmung davon.

Sieben Jahre nach meinem Eintritt in die Armee, 1955, als ich 23 Jahre alt war, besuchte ich die Politische Hochschule der Luftwaffe in Nanjing und begann dann systematisch die drei Fundamente des Marxismus zu studieren: Philosophie, politische Ökonomie und den wissenschaftlichen Sozialismus. Allmählich gewann ich ein grundlegendes Verständnis über das Tun von Marx und sein Lebenswerk. Die Veröffentlichung des von Marx und Engels gemeinsam verfassten „Manifests der Kommunistischen Partei“ aus dem Jahr 1848 enthält eine klare und deutliche Vorstellung, wie die menschliche Gesellschaft von der kapitalistischen zur sozialistischen und kommunistischen Gesellschaft übergeht. Damit zeigt es die mögliche Entwicklungsrichtung der menschlichen Gesellschaft. Und die Entwicklung unserer menschlichen Gesellschaft läuft teilweise auch so ab, wie der bärtige Marx und der weniger bärtige Engels es vorausgesagt haben.

Später las ich nach und nach die Biographien von Marx und Engels sowie weitere Literatur, die sich mit diesen beiden großen Persönlichkeiten befasst. Karl Marx suchte unerschütterlich nach der Gesetzmäßigkeit der menschlichen gesellschaftlichen Entwicklung. Er arbeitete einerseits sehr hart und las eine Unmenge von Büchern, z. B. während seiner Doktorarbeit an der Universität Berlin. Anderseits hielt er sich nicht starr an die Theorien in den Lehrbüchern, sondern setzte sich kreativ mit ihnen auseinander – insbesondere nachdem er ins Exil nach London ging, wo er 40 Jahre lang an seinem großen Lebenswerk „Das Kapital“ arbeitete, forschte und Informationen sammelte.

Einer Anekdote gemäß schob er immer, wenn er glücklich war, seine Füße am Boden hin und her. Mit der Zeit bildeten sich unter seinem Sitz deutlich erkennbare Fußabdrücke, die später als „Geistesabdrücke seines Forschungsdrangs“ bezeichnet wurden. Immer wenn die finanzielle Situation seiner Familie schwieriger wurde, half Engels ihm aus. Auch wenn Marx manchmal seine Anzüge verpfändete und deshalb nicht mehr aus dem Haus gehen konnte, ließ er sein Lebenswerk nicht aus den Augen und arbeitete hartnäckig und willensstark am „Kapital“. Dieser bewundernswerte Wille und Kampfgeist von Marx lehrte und in­spirierte uns chinesische Kommunisten später zutiefst.

Bei der Feier zum 30-jährigen Gründungsjubiläum der Kommunistischen Partei Chinas im Jahr 1951 befand sich meine Armeeeinheit gerade in der südlichen Provinz Sichuan. Der Kommandeur im dortigen Polizei-Hauptquartier, Li Tingzuo (ein alter Angehöriger der Roten Armee), sagte in einer Diskussion: „Schon früh in Yan-an hat unsere Partei den 5. Mai jedes Jahres, den Geburtstag von Marx, als ‚Studientag der Kader‘ festgelegt. Es wurden eine Menge Bücher als Pflichtlektüre für die Parteikader verfasst, damit alle Genossen und Genossinnen der Partei den Marxismus verstehen, sich den großen Menschen Marx zum Vorbild nehmen, um unerschütterlich für die vollständige Befreiung der Menschheit zu kämpfen. Der Vorsitzende Mao sagte einmal: ‚Die zentrale Kraft, die unser Tun führt, ist die Kommunistische Partei Chinas. Die theoretische Grundlage, die unser Denken fundiert, ist der Marxismus-Leninismus.‘“. Seit ich die marxistische Theorie in der Politischen Hochschule der Luftwaffe systematisch studiert habe, ist nicht nur meine revolutionäre Sicht auf das Leben und die Welt gestärkt, sondern auch mein Handeln. In meiner langjährigen organisatorischen und politischen Arbeit in der Armee führte ich immer wieder die guten Beispiele von Marx auf, um die Kampfmoral der Soldaten und Offiziere der Armee zu stärken.

Ende der siebziger Jahre wurde ich zum Professor der Politischen Hochschule der Luftwaffe einberufen und hielt verschiedene Vorlesungen über die neuere chinesische Geschichte sowie über die Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas. Der Marxismus mit seinen sozialen Entwicklungsgesetzen spielte durchgehend eine wichtige Rolle in der Gesamtlehre. Nach meiner Pensionierung 1988 fing ich an, für die regulären Studenten an der Tongji- und der Fudan-Universität in Shanghai Pflichtvorlesung in Militärkunde zu halten. Immer in der allerersten Vorlesung jedes Jahrgangs zeige ich den Studenten die Porträts von Karl Marx, Mao Zedong und anderen großen Persönlichkeiten, um sie zu motivieren. 18 Jahre lang hielt ich Vorlesungsstunden für die Studenten der beiden Universitäten, insgesamt waren es über einige tausend. Vermittelt wurde nicht nur die Theorie des antiken chinesischen Philosophen und Militärexperten Sunzi, sondern auch der Einfluss der marxistischen Idee und Philosophie (insbesondere von „Kapital“ und „Manifest“) auf das Denken und die Praxis des chinesischen Militärs.

1997 hielt ich auf Einladung von Professor Bernd Kluge von der Humboldt-Universität auf der 12. internationalen Münzkonferenz in Berlin den Vortrag „Förderung der Kulturverständigung durch Numismatik“. Nach der Tagung fuhr ich extra nach Trier und besuchte das Karl-Marx-Haus. Mit Ehrfurcht vor dem revolutionären Mentor betrachtete ich eingehend die historischen Relikte und trug mich ins Gästebuch ein. Gleich nach meiner Rückkehr in Schanghai zeigte ich meinen Studenten die Souvenirs aus dem Karl-Marx-Haus.

In der Gesamtentwicklung der chinesischen Revolution spielt die marxistische Theorie der internationalen kommunistischen Bewegungen eine sehr wichtige Rolle, insbesondere die Erfahrung aus Russland. 1917 errang Lenin mit der Oktoberrevolution den Sieg und gründete das weltweit erste sozialistische Land. Es gelang die sozialistische Industrialisierung des sowjetischen Staates, und im Zweiten Weltkrieg der Sieg über die barbarische Aggression der Faschisten. Trotz des Zerfalls der Sowjetunion hat sie mit einigen Jahrzehnten teilweise erfolgreicher Praxis bewiesen, dass der Marxismus internationalen Erfolg haben kann.

Der Erfolg des Marxismus ist ebenso in China zu beobachten. Mao Zedong gründete 1921 die Kommunistische Partei Chinas. In Bezug auf Russland sagte der Vorsitzende Mao: „Der Kanonendonner der Oktoberrevolution brachte uns den Marxismus.“ Immer der Idee des Marxismus folgend und durch unzählige Gefahrensituationen während der 28 Jahre harter Kämpfe, errang der Vorsitzende Mao den Sieg und läutete die Entwicklung Chinas zu einem kommunistischen Land ein. Seitdem schreitet das chinesische Volk in vieler Hinsicht auf der breiten Basis des Sozialismus voran. Maos Nachfolger Deng Xiaoping leitete vor 40 Jahren die Reform und Öffnung des Landes ein. Dadurch erreichte das chinesische Volk einen beachtlichen Wohlstand. Insbesondere in den letzten Jahren, unter der Führung von Xi Jinping als Kern des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas, mit seinen Gedanken über den Sozialismus chinesischer Prägung der neuen Ära, streben 1,3 Milliarden Chinesen mit großer Begeisterung, Energie und Zuversicht nach Realisierung des „chinesischen Traums“ von einer wohlhabenden Gesellschaft und einer großen Wiederauferstehung der Nation. In drei Jahren, 2021, ist der 100. Jahrestag der Gründung der kommunistischen Partei Chinas. Die Vision Chinas ist nun, durch die Neue Seidenstraße zu Land und zu Wasser die Weltgemeinschaft enger miteinander zu verbinden – bei gemeinsamem Handeln, Aufbauen und Teilen.

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"Der revolutionäre Mentor", UZ vom 18. Mai 2018



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