Frontalangriff auf das Bankensystem? Facebook führt eigene Kryptowährung ein

Digitales Geld

Von Stefan Kühner

Die Macht der Internetkonzerne

Man nennt sie GAFA oder AGFA; gebildet aus den Anfangsbuchstaben von Amazon, Google, Facebook und Apple. Sie gehören zu den größten Unternehmen der Welt. Ihr Wert liegt 2019 nach dem Statistik-Dienstleistungsunternehmen statista bei ungefähr 1 300 Milliarden Euro. Dies verleiht ihnen eine ungemein große wirtschaftliche und politische Macht. Diese Macht besteht nicht in materiellen Werten wie Maschinen, Fabrikgebäuden oder Bodenschätzen. Die Macht von Facebook und der anderen Internetkonzerne besteht in den Daten, die sie über Firmen, Regierungen, Organisationen und Einzelpersonen gesammelt haben. Die Produktionsmittel von GAFA sind Daten, Datenbanken, in denen diese Daten gespeichert werden, und Rechnerleistungen, um sie wirtschaftlich zu vermarkten. Facebook verfügte 2018 über 12 Rechenzentren, darunter neun in den USA und drei in Europa und Asien. In jedem dieser Rechenzentren stehen Zehntausende von einzelnen Hochleistungsrechnern.

Die Internetkonzerne sind im Besitz von privaten Personen, Banken sowie Fondsgesellschaften. Sie sind außerdem zusätzlich miteinander durch Aktienanteile verwoben. So besitzt zum Beispiel Bill Gates (ehemals Chef von Microsoft) Anteile von 1,3 Milliarden an Facebook. Staaten und nahezu alle Unternehmen, vor allem diejenigen der sogenannten Realwirtschaft, sind von diesen Konzernen in hohem Maße abhängig. Facebook und Google sind die wichtigsten Werbemedien und damit für den Vertrieb von Waren und Dienstleistungen unabdingbar. Am krassesten ist dies bei Google. Wenn ein Unternehmen mit seinen Waren nicht bei Google gefunden wird, ist es weitgehend chancenlos im Markt. Auch kleine und mittelständische Unternehmen zahlen hohe Werbebeiträge, um bei Google weit oben gefunden werden. Nicht zuletzt haben sich Facebook und Google zum wichtigsten Nachrichtenmedium herausgebildet. Das Internet liegt vor allem bei den Altersgruppen der unter 50-Jährigen weit vor Fernsehen, Radio und Zeitungen.

Der Chef von Facebook, Mark Zuckerberg, hat angekündigt, eine eigene Währung mit dem Namen ‚Libra‘ zu generieren. Nein, eine Bank zu gründen wäre zu wenig – es muss gleich eine eigene Währung sein. Geplant ist eine sogenannte Kryptowährung, also ein digitales Zahlungsmittel ganz ohne Geldscheine und Münzen. Was will eine Social-Media-Plattform mit einer eigenen Währung? Diese Frage wurde bislang kaum gestellt, weder in den deutschsprachigen noch in den englischen Medien. Gibt man „Why Facebook wants to launch its own currency“ (Warum Facebook eine eigene Währung starten will) in Google ein, findet man eigentlich nur einen Artikel der renommierten „Financial Times“, der allerdings x-fach publiziert wurde. Dort heißt es in verniedlichender Weise: „Mehr als 2 Milliarden Menschen aus der Facebook-Familie wollen zunehmend Dinge kaufen und sich gegenseitig Geld schicken.“ Das ist deshalb mehrfach irreführend, weil Facebook schon lange nicht mehr bloß eine Plattform ist, über die sich eine „Familie mit Millionen Angehörigen“ durch das Teilen von Informationen, Katzenvideos und böswilligen Kommentaren vernetzt. Facebook ist einer der wirkungsstärksten Medienkonzerne und Meinungsmacher, es ist der zweitstärkste Konzern im weltweiten digitalen Werbemarkt und ein gigantischer Internetkonzern, dem außer Facebook auch Whatsapp, Instagram und andere Dienste gehören.

Facebook will aber mehr, nämlich in den weltweiten Zahlungsverkehr einsteigen, das heißt die Finanzströme „anzapfen“ und schließlich beherrschen. Dazu braucht es eine gewisse Masse an Nutzern – und die hat Facebook. Die großen Kreditkartenfirmen und Zahlungsdienstleister wie Mastercard, Visa und Paypal gehen schnurstracks auf Schulterschluss. Auch Uber, Ebay und die Booking Holding (der weltweit führende Anbieter von Online-Reisen und Hotelbuchungen) wittern Geschäfte und machen mit. Sie haben sich in einer Libra-Association zusammengeschlossen. Bislang sind sich verschiedene Fraktionen des Finanzkapitals allerdings noch uneins. „Das klassische Finanzsystem“ ist skeptisch. „Die Banken und Zentralbanken befürchten, die Facebook-Währung könnte das Finanzsystem auf den Kopf stellen“, berichtete die „Tagesschau“. Das kann nicht verwundern, denn sie machen mit den Finanztransaktionen hohe Profite. „Würde Libra demnächst als Hauptkanal zum Transfer von Geld benutzt, wäre das ein Frontalangriff auf dieses wichtige Standbein“, wird Banken-Experte Hackethal von der „Tagesschau“ zitiert. Wie dem auch sei, die „Player“ werden sich vermutlich einigen – auf Kosten der Beschäftigten im Bankensektor und des Verbrauchers.

Außer Kontrolle

Wird über digitale Währungen berichtet, wird in den Mainstream-Medien und Informationsplattformen des Internets sehr schnell auf Technik abgehoben, über die dies umgesetzt werden soll: Blockchains. Es gibt langatmige und zumeist wenig verständliche Diskussionen, wie das funktionieren soll. Über der Technik wabert ein Dunst von Kompliziertheit, Geheimniskrämerei sowie Heilsversprechungen. Das wichtigste Versprechen ist, dass die Technik Geldüberweisungen sicher macht und Cyberkriminelle Geldüberweisungen nicht mehr hacken können. Selten wird beschrieben, um was es tatsächlich geht: Finanztransaktionen vollends aus der Kontrolle oder gar der Beeinflussung von Staaten, Kontrollbehörden und demokratisch legitimierten Institutionen herauszulösen. „Die Befürworter von Libra jubeln, weil Drittinstanzen überflüssig werden und (…) Behörden in Dubai wollen nach Medienberichten bis 2020 sämtliche Handelstransaktionen über Blockchain abwickeln. Damit möchte sich das Emirat Logistik- und Zollbürokratie ersparen“, heißt es in einem Whitepaper von T-Systems.

Vorgegaukelt wird, dass alles nur „zu Gunsten der Menschen geschieht“, quasi als philanthropische Geste. Wie die Nutzung von Facebook soll der Dienst kostenfrei oder sehr kostengünstig sein. Mit Libra soll der direkte Zahlungsverkehr zwischen zwei Menschen ermöglicht werden, ohne dass sie ein Konto bei einer Bank haben. Es sei nun endlich möglich, Geldtransaktionen zu tätigen, ohne dass sich die Banken und der Staat einmischen, zum Beispiel, wenn man einer armen Hartz-IV-Empfängerin mal einen Hunderter zukommen lassen will. Auch für Afrika, wo so viele Menschen sich ein Konto nicht leisten können, sei es ein Segen. An Scheinheiligkeit kaum mehr zu überbieten ist das Argument‚ der Staat sei – ähnlich wie die Banken – nicht mehr vertrauenswürdig; man müsse deshalb ohne ihn agieren können.

Die Konzerne, die beim Libra mitmachen, haben ihre Profite im Sinn. Ihr Ziel ist es, diese vollends im „vertrauten Kreis“ abzuwickeln. Ein weiterer Nutzen entsteht für das Kapital dadurch, dass Unternehmen neben Verträgen und Abmachungen „sicher“ zwischen mehreren Partnern ohne zentrale Vermittlungsstelle (Intermediär) speichern, verarbeiten und übermitteln können. Davon versprechen sie sich bessere Profitraten, da dies alles vollautomatisch erfolgen wird. Der Mensch wird nicht mehr gebraucht.

Bitcoin und Co.

Die Währung wird nicht durch staatliche Institutionen (Zentralbanken) generiert, weil die digitale Währung keine Scheine und Münzen mehr kennt. Sie hat keine Golddeckung mehr. Geld ist hier eine Information in einem Computernetzwerk. Eine Zahlungsanweisung läuft über dezentrale Onlinedienste, die von Privatfirmen bereitgestellt werden.

Buchungen werden über Ketten von digitalen Anweisungen („Blockchains“ genannt) abgearbeitet, auch Konten gibt es nicht mehr. Guthaben oder Schulden sind virtuelle Werte, die einem Besitzer zugeordnet sind. Das neue Objekt zur Geldverwaltung heißt „Wallet“, was nichts anderes als Geldbeutel bedeutet, auch wenn dieser nicht mehr aus Leder ist, sondern in einer Smartphone-App steckt.

Als die fünf wichtigsten Kryptowährungen gelten derzeit Bitcoin, Ethereum, Ripple, Litecoin und demnächst wohl Libra. Wem sie gehören und wer sie beherrscht ist in hohem Maße intransparent.

Bitcoin ist die am weitesten verbreitete Kryptowährung. Da man Dank der Anonymität von Bitcoin nicht auf die Vermögenswerte bestimmter Personen schließen kann, hat keine Finanzbehörde die Möglichkeit, die Geldtransaktionen nachzuvollziehen. „Bitcoin ist kein Geld im Rechtssinne und da es nicht als Sache (nach § 90 BGB) beschrieben werden kann, greifen die anerkannten Zuordnungsregelungen von Eigentum und Besitz des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht“, schreibt das Magazin „Fintech-Insider“. Jeder Ansatz, der einst mit der Forderung nach Transaktionssteuern gemacht wurde, ist mit den neuen Währungen vollends ad absurdum geführt. Das Kapital hat freie Bahn.

Spekulation oder realistisch?

Noch ist dies alles ein Hype, von dem keiner weiß, ob er Realität wird. Es gibt derzeit technologische Grenzen, die eine breite Anwendung eher unwahrscheinlich machen. Die Rechnerleistungen, die für die den Kryptowährungen zugrunde liegenden Blockchain-Technologien notwendig sind, sind so exorbitant hoch, dass sie für normale Anwender nicht erschwinglich sind. Nur milliardenschwere Konzerne können da mitmischen. Blockchains und Kryptowährungen sind außerdem Energie-Dinosaurier. Eine Studie des „Bitcoin Energy Consumption Index“ prognostiziert, dass allein für die Währung Bitcoin so viel Strom benötigt wird wie für die gesamten USA. Dafür sind Server-Farmen extra für diesen Zweck erforderlich.

Die „Libra Association“ forscht aber intensiv an der Weiterentwicklung und Skalierung von IT-Netzwerken, um diesen „Mangel“ zu beseitigen. Dafür arbeite sie „eng mit politischen Entscheidungsträgern zusammen, um die Mission von Libra voranzutreiben“, heißt es auf der Homepage der „Libra Association“. Einmal mehr kann aus solchen Aussagen herausgelesen werden, wie Entwicklungskosten und Investitionen für Infrastrukturen aus Steuermitteln abgezweigt werden, um wahnwitzige Projekte des Finanzkapitals zu bezahlen.

Ob Facebook und die verbündeten Konzerne ihre Pläne tatsächlich verwirklichen können, ist derzeit offen. Widerstand kommt von den Notenbanken und von Regierungen. Um dem entgegenzuwirken, hat die „Libra Association“ ihren Sitz im „neutralen Genf“ aufgebaut und stellt sich unter den Schirm der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht. Frankreichs Regierung hat den Plänen von Facebook eine Absage erteilt und die Bundesregierung hat bekanntgegeben, sie wolle nicht mitmachen. „Die Große Koalition“ will lieber einen „Euro auf Krypto-Basis“, schreibt die „Die Welt“.

Rundum schädlich?

Die Idee, durch die Blockchain-Technologie Transaktionen jedweder Art zwischen zwei Partnern lückenlos und sicher zu machen, ist nicht per se schlecht. Bislang sind die Ideen zum menschenfreundlichen Einsatz bescheiden. Sie könnten eingesetzt werden, um sensible Daten im Gesundheitsbereich sicher zu versenden. Ob dafür ausgerechnet Blockchains gebraucht werden, steht auf einem anderen Blatt. Ohne gesetzliche Regelungen kann und darf dies nicht passieren. Die bisher in die Diskussion gebrachten möglichen Anwendungen laufen alle in eine Richtung, die der großen Masse der Menschheit und vor allem den Interessen der Arbeiterklasse zuwiderlaufen. Sie haben das Ziel, den „man in the middle“, das heißt Menschen, die Abläufe steuern und dokumentieren, überflüssig zu machen. Viele Anwendungsfälle laufen außerdem humanen und ethischen Prinzipien der Menschheit zuwider, wie zum Beispiel derjenige, den die Tageszeitung „Die Welt“ ausplauderte: „Die öffentliche Hand sollte den Mut haben, neue Wege zu gehen: Warum nicht (…) ein blockchainbasiertes europaweites Flüchtlingsregister schaffen?“

Für Sozialisten und Kommunisten bleibt die Frage, (wie) kann man diese Technik gestalten? Unter den kapitalistischen Bedingungen schwerlich. Trotzdem müssen wir uns mit den Techniken befassen, allein schon deshalb, um die Interessen der Masse der Menschen zu formulieren und Regulierungen durchzusetzen.

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"Digitales Geld", UZ vom 27. September 2019



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