Forderung nach Aufhebung des KPD-Verbots ist unverzichtbar – Wiedergutmachung an politisch Verfolgten jetzt!

Weitreichende Folgen für die Demokratie

Von Willi Hendricks, Duisburg

Veranstaltungen

zum 60. Jahrestag

des KPD-Verbots

Sonnabend, 10. September,

Karlsruhe

15 Uhr, Kundgebung und zentrale Veranstaltung des DKP-Parteivorstands, Kundgebung, Platz der Grundrechte, Karlsruhe

Es spechen: Patrik Köbele, Karin Binder (MdB „Die Linke“) u. a.

Anschließende Veranstaltung: Es sprechen Hans Peter Brenner und Rechtsanwalt Hans E. Schmitt-Lermann, anschließend Podiumsdiskussion

Kultureller Beitrag: Erich Schaffner und Georg Klemp

 
Sonnabend, 17. September,
Nürnberg

Nachbarschaftshaus Gostenhof, Adam-Klein-Straße 6

Veranstaltung der Marx-Engels-Stiftung in Zusammenarbeit mit der DKP Nümberg: mit Beiträgen u. a. von Peter Dürrbeck, Georg Polikeit, Hans E. Schmitt-Lermann

Am 16. November 1988 wurde in Düsseldorf die Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des kalten Krieges ins Leben gerufen. Ihr Zustandekommen war das Ergebnis vorausgegangener Bemühungen zahlreicher politisch Verfolgter aus der Zeit des Kalten Krieges um politische Rehabilitierung und um materielle Wiedergutmachung wegen begangenen Unrechts durch die politische Strafjustiz in der Bundesrepublik Deutschland. In all den Jahren der Hexenjagd gab es vielfache Initiativen von Betroffenen und deren Familienangehörigen, die Öffentlichkeit über das Ausmaß von Willkürakten seitens der politischen Strafverfolgungsbehörden der BRD zu informieren und die Einstellung der Verfolgung von Demokraten zu fordern, die von ihren verfassungsmäßigen Rechten Gebrauch gemacht haben. Das Verbotsurteil gegen die KPD am 17. August 1956 hatte weitreichende Folgen für den Bestand der Demokratie und führte zu empfindlichen Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte, wie sie selbst im Grundgesetz ausgewiesen sind.

Drastische Maßnahmen gegen Kommunisten

Unter Missachtung des Wählerwillens wurden unmittelbar nach Verkündung des Verbotsurteils KPD-Fraktionen in Städten und Gemeinden aufgelöst, u. a. in Bochum und Duisburg. Darüber hinaus wurde Kommunisten das Recht verweigert, sich als Kandidaten zu Parlamentswahlen zur Verfügung zu stellen.

1961 beabsichtigten Max Heitland, Dortmund; Josef Schröder, Bochum; Karl Schabrod, Düsseldorf; Hans Jennes, Düsseldorf; Sebastian Keller, Aachen; Gerda Kahler, Wuppertal; Emil Sander (Oberhausen), Albert Stasch (Essen), Peter Baumöller (Düsseldorf), Heinz Junge (Dortmund) und Karl-Heinz Mahlhofer (Westerholt), in einer Wählergemeinschaft für die bevorstehende Bundestagswahl zu kandidieren. Im Mai 1961 unterrichteten sie den Präsidenten des Landtages von Nordrhein-Westfalen schriftlich von ihrer Absicht. Entgegen allen demokratischen Spielregeln wurde in einem Wahlprüfungsverfahren der Antrag verworfen. Damit nicht genug, erfolgte im Juli 1962 vor der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf ein Prozess. Nicht nur, dass ihnen ihr passives Wahlrecht aberkannt worden war, bekamen sie darüber hinaus empfindlich hohe Gefängnisstrafen auferlegt.

In diesem als Kandidatenprozess bekannt gewordenen Gerichtsverfahren, lauteten die Urteile wie folgt: Max Heitland, 8 Monate Gefängnis; Josef Schröder, 12 Monate; Karl Schabrod, 20 Monate; Hans Jennes, 12 Monate; Sebastian Keller, 12 Monate; Gerda Kahler, 12 Monate; Emil Sander, 12 Monate; Albert Stasch, 12 Monate; Peter Baumöller, 8 Monate; Heinz Junge, 13 Monate und Karl-Heinz Mahlhofer, 12 Monate Gefängnis. Für ihre Entschlossenheit die im GG verbürgten demokratischen Rechte durchzusetzen, nahmen sie große Opfer auf sich. Das dürfen wir niemals vergessen.

Meines Erachtens sollten wir alle Möglichkeiten nutzen um an Parlamentswahlen teilzunehmen, eine gute Gewähr, unsere Politik zu vermitteln und den Bekanntheitsgrad unserer Partei zu erhöhen. Wir haben nicht den geringsten Anlass uns hiervon zu verabschieden.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, 1956

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, 1956

( UZ-Archiv)

Unmenschliches Verhalten politischer Justizbehörden

Anfang Februar 1956 verstarb Karl Jungmann, Herne, im Gefängnis Bochum. Er war 52 Jahre alt. Infolge seiner Steinstaublunge, die er sich in 30-jähriger Bergmannsarbeit unter Tage zugezogen hatte, war er seit langem Invalide und wurde schon krank ins Gefängnis eingeliefert. Dort zog er sich ein Nierenleiden zu, woran er starb, weil er nicht rechtzeitig ärztliche Hilfe erhielt. Gegenüber der Gefängnisleitung hatte er wiederholt auf seinen angeschlagenen Gesundheitszustand und unerträglichen Schmerzen aufmerksam gemacht und um ärztlichen Beistand gebeten. Die Anstaltsleitung nahm keine Notiz. Es war ihm nicht vergönnt, seine Frau und seine vier Kinder wiederzusehen. Er starb in der Gefängniszelle, in die ihn die Adenauerjustiz aus politischen Gründen für zwei Jahre verbannt hatte. Offensichtlich war Karl Jungmann haftunfähig.

Die Duisburger Kommunistin Martha Hadinsky, die als 25-Jährige von den Nazis zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, stand 1959 erneut vor einer politischen Strafkammer des Landgerichts Dortmund und wurde wiederum, diesmal zu 14 Monaten Gefängnis, verurteilt. Sie hatte sich nach dem KPD-Verbot 1956 im Sinne ihrer Weltanschauung weiterhin politisch betätigt. In beiden Fällen hieß die Straftat: Staatsgefährdung. Während ihrer Haftzeit wurde sie als Zeugin in einem Ermittlungsverfahren vorgeführt. Weil sie keinen Verrat an Gesinnungsgenossen beging, erhielt sie weitere sechs Monate Beugehaft. Durch ihre lange Einkerkerung während der Naziherrschaft erlitt sie schwere gesundheitliche Schäden. Das Gesuch des Anwalts auf Haftentlassung, nachdem sie zwei Drittel ihrer Strafe hinter sich hatte, wurde mit folgender Begründung abgelehnt: „… den Entlassungsantrag des Verteidigers abzulehnen, da auf Grund des Vorlebens der Beschuldigten und der Stellungnahme der Haftanstalt die bedingte Entlassung nicht gerechtfertigt ist und nur dann mit einem gesetzmäßigen Leben gerechnet werden kann, wenn sie die ihr auferlegte Strafe restlos verbüßt.“ Anfang 1961, nach dem Martha Hadinsky über 16 Monate in Haft war, wurde sie als schwerkranke Frau entlassen. Knapp zwei Jahre nach ihrer Haftentlassung starb die 51-jährige Martha Hadinsky an Herzschwäche.

Der 44-jährige Helmut Wilke aus Lütgendortmund, nicht vorbestraft, Vater von vier Kindern, auf Grund eines Arbeitsunfalls Invalide, wurde Anfang August 1965 verhaftet und erhängte sich am 27.9.1965 in seiner Zelle im Untersuchungsgefängnis Dortmund. Die Verhaftung war begründet worden mit „Geheimbündelei, Staatsgefährdung und Rädelsführerschaft“. Helmut Wilke war körperbehindert und benötigte ständige ärztliche Betreuung. Im Gefängnis war seine Pflege durch die Haftumstände nicht genügend gewährleistet. Oft klagte er, dass er vor Kreuzschmerzen nicht auf seiner Zellenpritsche schlafen könne. Seinen Antrag auf Genehmigung einer Schaumgummiunterlage lehnte der Anstaltsarzt mit der Begründung ab, „das sei nicht nötig“. Starken Schmerzen und den Drangsalierungen durch die Gefängnisleitung, die ihm ausreichende ärztliche Behandlung verweigerte, hielt er nicht stand.

Am 3. Juli 1966 starb in Wuppertal Gerda Kahler im Alter von 44 Jahren. Ihre Mutter verlor die Tochter, ihre einzige Stütze im Alter. Der Tod Gerda Kahlers ist nicht zuletzt auf eine jahrelange Verfolgung der politischen Justiz zurückzuführen. Ihr Rechtsanwalt, Dr. Amman aus Heidelberg, schrieb nach ihrem Tod an den Leitenden Oberstaatsanwalt beim Landgericht Dortmund einen Brief, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ: „In der Strafsache gegen Gerda Kahler teile ich Ihnen der Ordnung halber mit, dass meine Mandantin, Fräulein Gerda Kahler, am 13. Juli 1966 verstorben ist. Damit hat sich die Frage des weiteren Strafaufschubs auf eine höchst unerfreuliche Weise erledigt. Andererseits ist aber auch dadurch deutlich geworden, wie ernsthaft krank Fräulein Kahler wirklich gewesen ist. Mit Sicherheit haben die wiederholten strafgerichtlichen Verfolgungen und vor allem die immer wieder kurzfristig wiederholten Ladungen zum Strafantritt mit all den damit verbundenen Aufregungen und Befürchtungen dazu beigetragen, die Gesundheit von Fräulein Kahler so stark zu beeinträchtigen, dass nunmehr der Tod die Folge war …“

In allen Fällen wurden Angehörige und Hinterbliebene sich selbst überlassen.

Duisburg: Über hundert politisch Verfolgte

Nach gründlicher Vorbereitung konstituierte sich am 13. März 1989 die Duisburger Initiative zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges. Es konnten 101 Duisburgerinnen und Duisburg ermittelt werden, die politischen Verfolgungen in den 50er und 60er Jahren ausgesetzt waren. Überwiegend waren es Mitglieder der KPD und der FDJ. Hierüber erschien eine umfassende Dokumentation, die im Juni 1989 in einer hohen Auflage der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte.

Von den angeführten 101 Personen erhielten 62 insgesamt Haftstrafen von mehr als 720 Monaten.

Viele von ihnen waren aktive Gewerkschafter und Betriebsräte; andere engagierten sich in Initiativen. Sie setzten sich ein gegen Remilitarisierung und Wiederaufrüstung, gegen die Einschränkung demokratischer Rechte und Freiheiten, gegen die Notstandsgesetze und die Aushöhlung des Grundgesetzes, für die Anerkennung der DDR und die Herstellung normaler Beziehungen zu den sozialistischen Ländern, für die Erhaltung des Friedens.

Für das Eintreten für diese Ziele wurden sie diskriminiert, verfolgt, bespitzelt, verhaftet, zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt, zum Teil monatelang in Untersuchungshaft gehalten, ohne dass später Anklage erhoben wurde; verloren sie teilweise für Jahre ihre bürgerlichen Rechte. Durch Verhängung empfindlicher Auflagen, z. B. in regelmäßigen Abständen bei der Polizei vorstellig zu werden oder den Heimatort nicht zu verlassen, mussten viele von ihnen über längere Zeit unzumutbare Beschränkungen auf sich nehmen; die verbürgte Unantastbarkeit der Würde des Menschen wurde ad absurdum geführt. Die Vergewaltiger des Grundgesetzes nahmen die Entrechtung unbescholtener und angesehener Bürgerinnen und Bürger bewusst in Kauf. Nicht wenige von ihnen flogen aus dem Betrieb, anderen wurde die Bekleidung öffentlicher Ämter aberkannt. Ihre Familien gerieten in große wirtschaftliche und soziale Nöte. Wenngleich eine große Anzahl der Verfolgten nicht mehr unter uns weilt, ist die Forderung nach Wiedergutmachung für sie und ihre Angehörigen nicht außer Kraft gesetzt. Wiedergutmachung und Rehabilitierung für alle!

Zahlreiche Fälle politischer Justizwillkür beschrieb Dr. Diether Posser in seinem Buch „Anwalt im Kalten Krieg – Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951–1968“ (C. Bertelsmann Verlag, 1991). Diether Posser war von 1968 bis 1988 in NRW Minister für Bundesangelegenheiten, danach Justiz- und Finanzminister. 1951 trat er als Sozius in die von Gustav Heinemann gegründete Anwaltspraxis in Essen ein und verteidigte in seinem ersten Strafprozess im Juni 1955 drei Mitarbeiter der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Wenige Wochen nach dem KPD-Verbot erklärte Diether Posser, seinerzeit Vorsitzender des Justizausschusses des Landtages von NRW: „Man sollte den Mut haben, Anwalt der Kommunisten zu sein, wenn ihnen offenbares Unrecht geschieht. Wo ein Teil des Volkes, der kein kriminelles Unrecht getan hat, durch den Staat gezwungen wird zu schweigen und auf die Ausübung seiner Grundrechte zu verzichten, ist das ganze Volk in Gefahr. Es ist unhaltbar, dass ein Teil unseres Volkes zu Parias gemacht wird.“

Dem ist nur noch hinzuzufügen, es nie mehr soweit kommen zu lassen. Die Aufhebung des KPD-Verbots ist dringender geboten denn je.

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"Weitreichende Folgen für die Demokratie", UZ vom 12. August 2016



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