Bottroper Gericht spricht DKP-Ratsherrn frei – und droht für das nächste Mal

Ein öffentliches Privatgeheimnis

Von Olaf Matthes

Michael Gerber über seinen Prozess wegen Geheimnisverrats

Weiter ohne Maulkorb

UZ: Du warst wegen Geheimnisverrats angeklagt. Kannst du dich über diesen Freispruch freuen?

Michael Gerber: Natürlich freue ich mich über den Freispruch. Aber es ist auch so, dass die Urteilsbegründung dem freien politischen Mandat Grenzen setzt – und so einen Maulkorb lasse ich mir nicht verpassen. Die Demokratie darf schließlich nicht vor dem Rathaus enden – und auch nicht vor den Verwaltungsräten.

UZ: Hat es dich überrascht, dass der Vorstand der kommunalen Entsorgungsfirma „Best“ die Sache durch seinen Strafantrag bis vor das Gericht gebracht hat?

Michael Gerber: Der Vorstand der „Best“ wollte ein Exempel statuieren. Zunächst wollte die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen, da sie auch der Ansicht war, dass ich kein „Amtsträger“ bin. Die „Best“ hat aber weiter Druck gemacht. Das zeigt doch nur: Ich bin ihnen als kritischer Abgeordneter ein Dorn im Auge.

UZ: Die Richterin hat klar gemacht: Wenn du noch einmal „Geheimnisse“ des „Best“-Vorstands öffentlich machst, könntest du bestraft werden. Was ändert sich dadurch für deine Arbeit im Rat der Stadt und im Verwaltungsrat der „Best“?

Michael Gerber: Grundsätzlich ändert sich überhaupt nichts. Wir werden weiter dafür eintreten, dass wir ein gläsernes Rathaus bekommen, dass die Bürgerinnen und Bürger draußen sehen, was drinnen geschieht. Wenn die Stadtoberen im Geheimen sich selbst bedienen und bei den Bürgern kürzen wollen, werde ich auch künftig dafür sorgen, dass so etwas öffentlich wird. Ich bin kein Geheimrat!

Interview: Olaf Matthes

„Heute hat die Klassenjustiz nicht zugeschlagen“, sagt der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele, nachdem das Amtsgericht Bottrop den dortigen DKP-Ratsherrn Michael Gerber freigesprochen hat, „aber sie hat die Instrumente gezeigt“.

Diese Klassenjustiz präsentiert sich am Donnerstag vergangener Woche liberal. Angeklagt ist Gerber, weil er im Herbst 2016 die Bürger seiner Stadt darüber informiert hat, dass der Vorstand die Erfolgsbeteiligung der Beschäftigten von 150 000 auf 100 000 Euro kürzen wollte. Die beiden Vorstände sollten aber weiterhin Boni von 7 000 bzw. 6 500 Euro bekommen, nur die DKP stimmte dagegen. Das hatte der Verwaltungsrat, in dem Gerber sitzt, in einer nichtöffentlichen Sitzung beschlossen – Gerber hat also, so die Klage, nach § 203 des Strafgesetzbuches ein „Privatgeheimnis“ verletzt. Die Richterin sagt in ihrer Urteilsbegründung, sie verstehe das politische Anliegen hinter Gerbers Handeln, sie deutet an, dass sie eine Einstellung des Verfahrens für sinnvoll hält. Auch der Staatsanwalt räumt in seinem Plädoyer ein, dass Gerbers „politische Motive“ „nachvollziehbar sein mögen“.

Aber bei allem Respekt, den Richterin und Staatsanwalt für Überzeugungen und freie Meinungsäußerung herausstellen: Sie sind sich einig, dass Gerber eine Straftat begangen hat. Der Staatsanwalt fordert eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 30 Euro, die Richterin spricht ihn nur deshalb frei, weil er einem „Verbotsirrtum“ unterlegen sei: Er habe nicht gewusst, dass im Verwaltungsrat eben nicht nur als vom Stadtrat gewählter Vertreter des Rates sitzt, sondern als „für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter“, als „Amtsträger“. Deshalb verurteilt sie ihn nicht, lässt aber keinen Zweifel daran, dass er in einem ähnlichen Fall in Zukunft mit einer Bestrafung rechnen muss.

Die „Best“, die Bottroper Entsorgung und Stadtreinigung, gehört vollständig der Stadt. Als die „Best“ als Anstalt des öffentlichen Rechts gegründet und damit aus der Stadtverwaltung ausgegliedert wurde, haben Michael Gerber und die DKP das bereits kritisiert: Mit dieser Rechtsform werde die öffentliche Kontrolle des Unternehmens schwerer, es handele sich um eine „Einschränkung der kommunalen Demokratie“, stellt er vor Gericht fest. Im Prozess zeigt sich, wo diese Schranken der Demokratie verlaufen.

Bevor der „Best“-Vorstand der Belegschaft die im Tarifvertrag vorgesehene Erfolgsbeteiligung kürzte, hatte er mit Schikanen und unangemessenen Kontrollen den Personalrat gegen sich aufgebracht. So stellt Gerber die Sache in seiner Erklärung vor Gericht dar – der „Best“-Vorstand war für UZ nicht zu erreichen. „Wir haben auf unseren Gehaltsstreifen geschaut und gesehen: Die Erfolgsbeteiligung ist weniger als in den letzten Jahren“, sagt ein „Best“-Mitarbeiter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, gegenüber UZ. „Und dann liest man in den ‚UZ-Notizen‘“ – der Zeitung der DKP Bottrop -, „dass nur bei den Mitarbeitern gekürzt worden ist und nicht bei den Vorständen. Bei uns kann man das Geld wohl wegnehmen, bei den obersten Etagen bleibt alles gleich. Durch die Informationen, die Herr Gerber öffentlich gemacht hat, wussten wir dann, warum das so ist – wir haben uns gedacht: Oh, der traut sich was.“

Das Geld der Mitarbeiter war gekürzt worden, obwohl die „Best“ Gewinne macht. Im Fall Gerber geht es darum, wie die Kommune Mitarbeiter ihres Unternehmens bezahlt und behandelt, wie die öffentliche Daseinsvorsorge organisiert ist und wer sie kontrolliert. Niedrige Müllgebühren und gute Versorgung für die Bevölkerung, anständige Löhne für die Mitarbeiter – dafür setzt sich die DKP Bottrop auch mit ihren zwei Mandaten im Rat der Stadt ein, deshalb hat Michael Gerber sich in den „Best“-Verwaltungsrat wählen lassen. Im Prozess geht es um die Frage, welche Aufgaben und Pflichten er dort hat. Für den Staatsanwalt ist klar: Es gehe nur um eine „verwaltungstechnische“ Aufgabe, im Verwaltungsrat „soll keine Politik betrieben werden“. Gerber habe nun nicht nur die Bonuszahlungen veröffentlicht – sondern das auch noch „politisch instrumentalisiert“, indem er dazu sagte, dass nur die DKP gegen den Vorschlag des Vorstands war. Für den Staatsanwalt ist gerade das entscheidend – die Bezüge der Vorstände hat die Stadt später selbst veröffentlicht, aber das Ergebnis der nichtöffentlichen Abstimmung sei in jedem Fall geheim.

Der Sache nach sind die Informationen, um die es geht, für die Öffentlichkeit wichtig und politisch. Dem Recht nach – so, wie die Richterin die Rechtsprechung auslegt – sind sie privat: Die „Best“ ist ein Unternehmen, ein Unternehmen darf Geschäftsgeheimnisse haben. Und Gerber sitzt nach diesem Recht im Verwaltungsrat nicht einfach als Ratsherr, als Abgeordneter, der den Vorstand kontrolliert. Gerber sei durch diesen Sitz ein „Amtsträger“, ein „für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter“ – schließlich sei der Sitz im Verwaltungsrat nicht direkt an das Mandat gebunden. Die besondere Pflicht heißt, dass Gerber sich der Geheimniskrämerei unterordnen muss, sonst macht er sich strafbar. „Als Abgeordneter, der in einen Verwaltungsrat gewählt wird, begibt Gerber sich nicht in ein Dienst- und Unterordnungsverhältnis, sondern er ist den Bürgern verpflichtet“, sagt Gerbers Verteidiger Herbert Lederer nach dem Prozess. „Er versteht sich als Kontrolleur der Geschäftsleitung, nicht als Knecht. Die Einstufung eines frei gewählten Abgeordneten als Amtsträger ist mit meinem Demokratieverständnis nicht zu vereinbaren.“

Nach der Juristenlogik ist die öffentliche Daseinsvorsorge eine private Angelegenheit, wenn sie von Unternehmen übernommen wird, die Information, die die Bürger der Stadt interessiert, ist ein Privatgeheimnis. Gerber sagte nach dem Prozess, das Urteil „schränkt die künftige Ausübung des freien politischen Mandats erheblich ein“ – im UZ-Interview stellt er aber klar: „Ich lasse mir keinen Maulkorb verpassen.“ Ob es bei dem Freispruch – und beim liberalen Anstrich der Klassenjustiz – bleibt, wird sich zeigen: Die Staatsanwaltschaft Essen hat Berufung gegen das Urteil eingelegt.

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"Ein öffentliches Privatgeheimnis", UZ vom 10. August 2018



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