Einheit und Widerstand

Melina Deymann im Gespräch mit George Rashmawi

George Rashmawi ist Vorsitzender der Palästinensischen Gemeinden, Institutionen und Aktivisten in Europa

George Rashmawi ist Vorsitzender der Palästinensischen Gemeinden, Institutionen und Aktivisten in Europa

UZ: Deutsche Medien vermitteln den Eindruck, dass die angekündigten „Tage des Zorns“ gegen die Entscheidung Donald Trumps, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und die US-Botschaft dorthin zu verlegen, sehr schnell wieder abgeflaut sind. Ist die palästinensische Bewegung momentan nicht stark genug für wirksame Gegenwehr?

George Rashmawi: Abgeflaut, das sehe ich nicht so. Die Proteste halten bis jetzt an. In fast allen arabischen Städten finden, besonders an Freitagen, Demonstrationen statt. Die Menschen in verschiedenen arabischen, islamischen und auch europäischen Ländern sehen nicht ein, was Herr Trump am 6. Dezember erklärt hat. Die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels steht im Gegensatz zu allen UN-Resolutionen und zu allen Erklärungen der EU.

Trump und Israel stehen auf einer Seite und fast die ganze Welt steht auf der anderen Seite. Das hat sich besonders im Sicherheitsrat der UNO gezeigt, als 14 Staaten gegen die Anerkennung Jerusalems als vereinigte Hauptstadt von Israel stimmten und die USA ihr Veto-Recht nutzten, um diese Resolution zu stoppen. In der UNO als solche haben die USA kein Vetorecht – 129 Staaten haben dort gegen die Entscheidung gestimmt, 11 Staaten haben sich der Stimme enthalten und nur 9 waren dafür, unter anderem Guatemala, Honduras und Panama.

Was uns Palästinenser betrifft: Bis jetzt dauern die Proteste an. Die palästinensische Führung, und ich meine damit Präsident Abbas und seine Berater, müssen die Botschaft verstehen, dass die USA kein neutraler Vermittler wird, dass die USA keinen Frieden, sondern Krieg für Palästina und die Region bringen werden.

Die Politik von Abbas sollte jetzt überdacht werden. 25 Jahre Verhandlungen sind genug und sie haben gezeigt, dass die USA immer auf Seite Israels standen und dass die Rechte der Palästinenser immer weiter in die Ferne rücken, dass jeden Tag das Land beschlagnahmt und von jüdischen Siedlern bewohnt wird. Das ist für jeden, der in Palästina lebt, spürbar. Israels Politik ist nicht darauf ausgerichtet, dass eine Zwei-Staaten-Lösung zustande kommt, im Gegenteil.

Entweder sagen wir, wir werden weiter Widerstand leisten gegen Trumps Politik, gegen die israelische Besatzungspolitik, oder wir werden wie Sklaven in unserer Heimat arbeiten und leben. Ich glaube, die zweite Wahl ist für uns Palästinenser keine Option.

UZ: Vor kurzem haben Fatah und Hamas sich geeinigt, dass die Autonomiebehörde unter Präsident Abbas die Kontrolle im Gaza-Streifen von der Hamas übernimmt. Wie einig waren sich Fatah und Hamas bei den Protesten?

George Rashmawi: Abbas war gegen jede Art von Widerstand. Seit etwa einem Jahr spricht er von Volkswiderstand, aber aus seiner Sicht darf der Widerstand nicht zu einer Volksbewegung werden. Und Abbas‘ Politik entspricht nicht dem, was das palästinensische Volk jetzt denkt und wie das palästinensische Volk handeln will. Unsere Aufgabe als demokratische, linke Kraft ist es zu versuchen, Druck auszuüben vom Volk aus, damit Abbas endlich einsieht, dass diese Politik der Verzögerung uns nichts bringt. Das palästinensische Volk braucht klare Worte.

Was uns jetzt näher bringt an eine politische Lösung ist unser Widerstand gegen die Besatzungsmacht und gegen die US-Politik in dieser Region, besonders was die Trump-Erklärung betrifft. Das Exekutivkomitee der PLO hat bis jetzt noch nicht einmal getagt. Da muss man sich schon wundern.

Ich denke, dass die Versöhnung zwischen Hamas und Al Fatah, dieser Versöhnungsprozess, positiv war und ist. Es gibt keine klaren politischen Differenzen zwischen Hamas und Fatah, inzwischen ist auch Hamas bereit für eine Zwei-Staaten-Lösung. Hamas hat bis jetzt noch nicht komplett auf ihre Macht in Gaza verzichtet und Abbas meint, Hamas muss alles abgeben. Hamas soll sogar dem bewaffneten Kampf abschwören – das geht nicht. In Gaza ist eine andere Situation als in der Westbank. Hamas und die anderen palästinensischen Parteien werden niemals ihre Verteidigungswaffen abgeben.

UZ: Die Hamas präsentiert sich gern als die radikale und konsequente Kraft gegen die Besetzung Palästinas. Ist sie das?

George Rashmawi: Hamas ist eine palästinensische Bewegung. Abgesehen von den drei großen Kriegen Israels gegen den Gaza-Streifen, womit Israel die Hauptverantwortung für die katastrophale Verhältnisse in Gaza trägt, hat Hamas auch eine Mitverantwortung für das, was zur Zeit an Elend im Gaza-Streifen herrscht. Die Massen, die 2006 hinter Hamas standen, sind daher jetzt nicht mehr da, weder in der Westbank, noch im Gaza-Streifen. Hamas versucht jetzt die Masse wiederzugewinnen, daher versucht Hamas mit dieser Art von Radikalismus wieder ihre Massen zu mobilisieren und an sich zu binden.

UZ: Den Regionalmächten Ägypten und Saudi-Arabien ist sehr an einem guten Verhältnis zu den USA gelegen. Sind die Kräfte, die konsequent gegen die Besatzung kämpfen, in der Region isoliert?

George Rashmawi: Wenn man die geopolitische Entwicklung im Nahen Osten anschaut, im Gegenteil. Der Widerstand nimmt zu. Syrien hat sich zum größten Teil vom IS befreit, Irak hat sich komplett befreit, es gibt Friedensgespräche zwischen der syrischen Regierung und, sagen wir mal, den Oppositionellen, in Syrien fängt die Situation an sich zu stabilisieren.

Auch wenn Trumps Erklärung sehr schlecht ist, was uns betrifft, hat sie doch dazu geführt, dass klare politische Linien vorhanden sind. Trump träumt von einem sogenannten Jahrhundert-Deal. Das Ziel ist klar: Normalisierung der Beziehung zwischen den arabischen Staaten und Israel und danach die Lösung der Palästina-Frage. Sie sind der Meinung, die Jerusalem-Frage wäre die Hauptfrage im israelisch-palästinensischen Konflikt und sie könnten diese durch Zwang lösen. Die anderen Fragen wie die Flüchtlingsfrage oder die Grenzfrage wären danach leicht zu regeln. So denkt Trump. Die gesamte Politik in dieser Region, mit all ihren Stellvertreterkriegen und den wirtschaftlichen Folgen zielt darauf ab, dass Israel am Ende die Oberhand gewinnt.

Mit anderen Worten: Die Auseinandersetzungen in dieser Region dienten Israel. Die Politik der USA ist es, Israel als stärkste Kraft in dieser Region zu erhalten, zwischen denen gibt es ja ein strategisches Abkommen. Die arabischen Staaten wie Saudi-Arabien versuchen jetzt eine Art liberale Entwicklung aufzuzeigen. Zum Beispiel haben sie bis jetzt über die Trump-Erklärung kein Wort verloren. Saudi-Arabien führte früher die islamische Welt. Jetzt versucht Erdogan diese Rolle zu spielen. Aber das wird er nicht schaffen.

UZ: Welche Rolle spielt die DFLP momentan in den Protesten und vor allem, wo sieht sie ihre Rolle?

George Rashmawi: Die DFLP schlägt eine alternative strategische Politik vor. Erstens, Präsident Abbas muss den Oslo-Vertrag kündigen, das Sicherheitsabkommen sowie das wirtschaftliche Abkommen mit Israel kündigen. Die Einheit der Palästinenser muss wiederhergestellt werden. Die Blockade des Gaza-Streifens muss aufgehoben werden. Die Autonomieregierung, die Regierung in Ramallah, muss in Gaza die Oberhand gewinnen, sie muss die Aufgaben in Gaza wahrnehmen. Zweitens unterstützt die DFLP massiv den Widerstand des palästinensischen Volkes gegen die Trump-Erklärung, gegen die Siedlungspolitik usw. Sie unterstützt sie nicht allein, sondern mit allen anderen demokratischen Kräften. Drittens schlägt die DFLP vor, dass wir als Staat Palästina bei allen internationalen Organisationen Anträge auf volle Mitgliedschaft stellen, damit wir in allen UNO-Gremien und allen internationalen Organisationen, vor allem dem internationalen Gerichtshof, Fuß fassen.

Palästina als Staat unter Besatzung muss die Mitgliedschaft in der UNO bekommen, bis jetzt hat Palästina nur einen Beobachterstatus und keine Vollmitgliedschaft. In dem Moment, in dem Palästina die Vollmitgliedschaft bekommt, wird automatisch eine andere Situation entstehen. Wenn die Grenzen von Palästina definiert sind, sind die Grenzen von Israel auch definiert. Dann können zwei Staaten verhandeln über die Zukunft und den Frieden, aber unter Aufsicht der UNO und auf der Grundlage des Völkerrechts. Bis jetzt saß niemand mit am Verhandlungstisch außer den USA. Wir wollen dies den USA aus den Händen nehmen und wollen die Palästina-Frage internationalisieren.

Durch die drei Punkte, palästinensische Einheit, den Versuch, eine arabische Widerstandsfront aufzubauen und den Versuch, von allen fortschrittlichen und demokratischen Kräften dieser Erde Unterstützung und Solidarität zu bekommen, errichten wir einen Wall gegen die aktuelle negative Entwicklung.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Einheit und Widerstand", UZ vom 5. Januar 2018



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