Geiseln werden ausgetauscht, Gaza kann durchatmen, Westbank und Syrien werden weiter angegriffen

Waffenstillstand – fast

Waffenstillstand in Palästina – fast überall. Die US-Stützpunkte in der Region werden nicht mehr so oft beschossen, es herrscht gespannte Ruhe an der Grenze zwischen Libanon und Israel und die Menschen in Gaza konnten endlich beginnen, ihre Toten in den Trümmern zu suchen und sie zu beerdigen. Lange vorenthaltene Hilfsgüter konnten den Gazastreifen erreichen. Das war Teil des Deals zwischen der Hamas, die federführend auf palästinensischer Seite ist, und Israel. Doch auf der Westbank gingen die Kämpfe weiter, Syrien wurde erneut von Israel bombardiert.

Schon am zweiten Tag geriet der Waffenstillstand in eine Krise. Die Hamas warf Israel vor, sich nicht an die Abmachung zu halten, welche Gefangenen aus israelischer Haft freizulassen wären. Israel drohte damit, die Bombardierung wieder aufzunehmen, würden die 13 Geiseln nicht wie verabredet vor Mitternacht freigelassen.

Hektische Bemühungen der Vermittler führten schließlich zu einer Einigung. Israel erklärte, alle Vereinbarungen des Waffenstillstands einzuhalten, die Hamas übergab 13 Geiseln wie geplant an das Rote Kreuz. Israel ließ sich Zeit. Erst weit nach Mitternacht kamen die freigelassenen palästinensischen Frauen und Jugendlichen bei ihren Familien an.

Mit Schikanen, verschärften Kontrollen, Hausdurchsuchungen und Polizeieinsätzen gegen Journalisten versuchte Israel, die palästinensische Freude zu dämpfen. Das zeigt, wie sehr die erzwungene Freilassung den israelischen Sicherheitsapparat getroffen hat.

Die israelische Armee stürmte wie unzählige Male zuvor in den letzten Wochen die Stadt Dschenin. Scharfschützen auf Hausdächern, Drohnen, gepanzerte Fahrzeuge und Bulldozer wurden eingesetzt. Seit dem 7. Oktober wurden auf der Westbank 240 Palästinenser getötet, mehr als 3.200 verhaftet.

Mit dem Waffenstillstand gab es auch wieder eine Massendemonstration in Tel Aviv zur Unterstützung der Entführten und ihrer Familien.

Die Massenproteste in den arabischen Ländern für einen sofortigen Waffenstillstand hatten ihre Regierungen unter Druck gesetzt. Sie wollen eigentlich die guten Beziehungen zu Israel, Europa und den USA nicht aufs Spiel setzten, müssen aber dennoch auf die Proteste reagieren. Eine Delegation, die aus dem gemeinsamen Treffen der islamischen und arabischen Staaten Anfang des Monats hervorging, wird etliche Hauptstädte bereisen, um für einen Waffenstillstand zu werben. Erstes Ziel: Peking.

Es ist ein asymmetrischer Krieg, den die Menschen in Gaza mit einem ungeheuren Blutzoll und einer kaum zu erfassenden Zerstörungswut durch die israelische Armee erleiden. Am 7. Oktober starben viele Israelis. In den folgenden Wochen aber wurden für Israel die Kosten dieses Krieges nicht in Menschenleben gezählt. Das Ausmaß an Technik, der Iron Dome, Flugzeuge, Raketen und Panzer schützen die Menschen weitgehend. Aber dieser Schutz hat einen Preis – buchstäblich. Schon jetzt hat dieser Krieg Israel Milliarden US-Dollar gekostet. Die Mobilisierung von Reservisten, die Evakuierungen, der Produktionsausfall, die verschlechterte Bewertung durch internationale Ratingagenturen – dies alles führt zu Kosten, die noch nicht zu überschauen sind.

Die Simulation einer Arbeitsgruppe der RAND Corporation schätzte für die nächsten 10 Jahre Wirtschaftsverluste und Kosten für Israel in Höhe von 400 Milliarden US-Dollar. Für die Seite Palästinas sind die Kosten so hoch, dass sie eventuell einen eigenen Staat unmöglich machen.

Ihr Fazit: Diese hohen Kosten könnten für beide Seiten ein Ansporn sein, eine langfristige politische Lösung zu suchen.

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"Waffenstillstand – fast", UZ vom 1. Dezember 2023



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