Der Weg Koço Tashkos vom progressiven Patrioten zum Revolutionär

Erinnerung an einen albanischen Kommunisten

Von Thomas Kacza

Erwin Lewin: Koço Tashko (1899–1984). Ein politisches Leben in Albanien, 324 Seiten m. Abbildungen u. Dokumenten. NORA-Verlagsgemeinschaft, Berlin 2015, ISBN 978–3-86557–388-9, Paperback, 19,90 Euro

Es gehörte zu den Praktiken der seit der Stalin-Zeit üblichen Herrschaftsausübung, einen in Ungnade gefallenen Genossen, waren seine Verdienste auch noch so groß, aus dem öffentlichen Gedächtnis zu verbannen, oft verbunden mit tödlicher Abrechnung. Dem albanischen kommunistischen Funktionär Koço Tashko blieb zwar nach seinem Sturz (1960) die Todesstrafe erspart, nicht aber Gefängnisse und Verbannungsorte bis ans Lebensende (1984). In der parteiamtlichen „Geschichte der Partei der Arbeit Albaniens“ (Ausgabe 1971) ist er zwei Mal erwähnt: sowohl in politischer als auch organisatorischer Hinsicht gänzlich unfähig, die Direktiven der Komintern in Albanien umzusetzen und als aus der Partei ausgestoßener „Feind“, weil er sich den „chrusch­tschowistischen Revisionisten“ unterworfen habe. Nach dieser Sichtweise ist – abgesehen von einigen durch frühen Tod ausgeschiedenen Akteuren – einzig Enver Hoxha als herausragende Gestalt im Zusammenhang mit der Gründung der Kommunistischen Partei Albaniens und ihres erfolgreichen Weges bis zur Schaffung des „volksdemokratischen“ Staates übriggeblieben.

Es ist dies ein schiefes Bild, das geradezurücken sich der Historiker und Albanologe Erwin Lewin mit seinem Buch vorgenommen hat, indem er sich dem Wirken des frühen Aktivisten der albanischen kommunistischen Bewegung Koço Tashko zuwandte. Trotz nicht üppiger Quellenlage zur Person (deswegen der Untertitel „Biografische Annäherung“) ergibt sich ein interessantes Bild: geboren in Ägypten in einer Familie, die Albanien aus wirtschaftlichen Gründen hatte verlassen müssen, aber in der Patriotismus großgeschrieben wurde, seit 1915 in den USA lebend, Mitarbeiter des für einen Modernisierungsprozess in Albanien wirkenden Politikers und Geistlichen Fan Noli, Absolvent der Harvard-Universität, zeitweilig Konsul Albaniens in New York, dann, nach dem Scheitern des unter Führung Fan Nolis 1924 unternommenen Versuchs, im feudal geprägten Albanien eine bürgerlich-demokratische Wende zu erreichen, Hinwendung zu einer weltanschaulichen und politischen Orientierung, die ihn 1930 an die Internationale Leninschule in Moskau und 1937 als Beauftragten der Komintern für die Formierung einer KP nach Albanien führte. Dort vollzog sich die Entwicklung einer kommunistischen Bewegung unter äußerst rückständigen sozialen und ökonomischen Bedingungen. Mit der Beschreibung von Tashkos Entwicklungsweg verbindet Lewin einen anschaulichen Überblick über die Geschichte Albaniens von den 1920er Jahren an bis zum gesellschaftlichen Aufbruch nach 1944.

Gestützt auf tiefgehende Quellen- und Literaturkenntnis, zeichnet Lewin Tashkos Bemühen nach, die miteinander zerstrittenen kommunistischen Gruppen (es waren derer drei) aus dogmatischer und sektiererischer Enge heraus- und mit opppositionellen antimonarchistischen (seit 1928 gerierte sich der Autokrat Zogu als König) und bürgerlich-demokratischen Kräften zusammenzuführen sowie eine einheitliche KP zu bilden. Im Zweiten Weltkrieg im Kampf gegen die faschistischen Okkupanten stehend, gewann die Frage der Klärung von Bündnisbeziehungen zu zwar national gesinnten, jedoch konservativen Elementen noch an Bedeutung. Obwohl Exponent der Komintern, hatte Tashko keine politische Karriere im Sinn. Für ihn stand stets „die Sache“ im Vordergrund und so trat er bei Gründung der KP 1941 bewusst nicht der Führung bei. Ausgeprägtes Streben nach Geltung und Macht hingegen sollte alsbald Enver Hoxha an den Tag legen, der auf Tashkos Vorschlag auf die Führungsebene gelangte.

Auch nach der Befreiung des Landes war Tashko, gleichwohl als studierter Ökonom und bewährter Parteifunktionär in verantwortlichen Funktionen tätig, nie in politische Ränke verwickelt. Er arbeitete bei der Durchsetzung der Agrarreform mit, war stellvertretender Außenminister, Diplomat und zuletzt Vorsitzender der Kontroll- und Revisionskommission der Partei. Er bewies Mut und Konsequenz, als er sich gegen eine Änderung in den Beziehungen Albaniens zur Mehrheit der sozialistischen Länder wandte und insbesondere den totalen Bruch mit der Sowjetunion ablehnte.

Eine wertvolle Ergänzung erfährt die Darstellung des Wirkens Tashkos durch den zweiten Teil des Buches, der etwa die Hälfte des Gesamtumfangs ausmacht. Es handelt sich um von Lewin ins Deutsche übersetzte, zwischen 1936 und 1942 entstandene detailreiche und ungeschminkte Berichte Tashkos an das Balkan-Sekretariat des Exekutivkomitees der Komintern. Hier wird die Kompliziertheit der objektiven Gegebenheiten wie das heterogene Meinungsspektrum der kommunistischen Aktivisten konkret fassbar. Sein Bericht vom Herbst 1942 beleuchtet den Stand der Partei nach knapp einem Jahr ihrer Existenz. Tashko sieht in entscheidenden strategischen Fragen eine Linie verfolgt, die den Sinn für Realitäten vermissen lässt. Er verweist u. a. auf den negativen Einfluss des jugoslawischen Beraters Miladin Popovic.

In zahlreichen Fußnoten macht Lewin biographische Angaben auch zu weniger bekannten Personen der albanischen Geschichte. Das Namensregister hilft, angesichts der vielen in den Berichten auftauchenden Decknamen die Übersicht „Wer ist wer?“ zu behalten.

Lewin schreibt über seinen Protagonisten mit Sympathie, er schildert ihn als gebildeten, unbestechlichen, sozial engagierten Intellektuellen, verkennt aber auch nicht die Grenzen eines Kommunisten, der besten Glaubens der seinerzeit in Moskau vorgegebenen Theorie und Praxis der kommunistischen Bewegung folgte; in der Wirklichkeit des real existierenden Sozialismus war wenig Raum für die Umsetzung der Ideen der sozialen Revolution. Man ist geneigt zu spekulieren, wie Albaniens Entwicklung verlaufen wäre, hätten nicht Menschen vom Schlage eines Enver Hoxha die Kontrolle über die Partei erlangt, sondern hätten Funktionäre wie Koço Tashko sie geführt. Vermutlich hätte es auch unter seiner Verantwortung Verletzungen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit gegeben. Aber gewiss wären die schlimmsten Phänomene, die „Säuberungskampagnen“ und Hinrichtungen nicht mehr zum Tragen gekommen. Sicher wären dem Volk das Religionsverbot, die wahnwitzige Vergeudung materieller Ressourcen durch den Bau hunderttausender Bunker und seine extreme Isolation erspart geblieben. Sicher aber ist auch: Die Niederlage des Sozialismus hätte in Albanien auch Koço Tashko nicht verhindert.

Das Buch von Erwin Lewin ist in einer Zeit, da der Kommunismus nicht mehr der Rede wert scheint, ein aufschlussreicher Beitrag zur jüngeren, eben kommunistisch geprägten Geschichte Albaniens am Beispiel einer von kulturellen und politischen Einflüssen aus West und Ost geprägten bemerkenswerten Persönlichkeit.

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"Erinnerung an einen albanischen Kommunisten", UZ vom 6. Mai 2016



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