Wie die Linkspartei den Streit um „Aufstehen“ und Migration entschärft

Irgendwie vergammelt?

Von Olaf Matthes

Der Konflikt ist beruhigt, aber nicht gelöst – so schätzt Tobias Pflüger, stellvertretender Linkspartei-Vorsitzender und -Abgeordneter, die gemeinsame Tagung von Vorstand und Bundestagsfraktion der Linkspartei am Freitag vergangener Woche ein. Mit der Tagung sollte der Konflikt um die Migrationspolitik behandelt werden, in dem Sahra Wagenknecht mit ihrer Bewegung „Aufstehen“ auf der einen und die an einem linksliberalen Kurs der „Weltoffenheit“ orientierten Kräfte auf der anderen Seite am deutlichsten hervorgetreten waren.

Vor der Tagung hatten sich die Vorsitzenden der Partei, Katja Kipping und Bernd Riexinger, und der Fraktion, Dietmar Bartsch und Wagenknecht, zu einer gemeinsamen Erklärung durchgerungen. Die Erklärung benennt eine Reihe linker Selbstverständlichkeiten, bei denen Wagenknechts Äußerungen Zweifel gesät hatten, ob sie noch selbstverständlich sind: Asyl als Grundrecht, Fluchtursachen bekämpfen, gleiche Rechte für alle, die in Deutschland leben – auch für Arbeitsmigranten. Die Frage, „ob und wie Arbeitsmigration reguliert und beschränkt werden soll“, werde jedoch in der Partei „intensiv diskutiert“. Äußerungen Wagenknechts und anderer „Aufstehen“-Protagonisten hatten den Eindruck erweckt, dass sie die Abschottung gegen Migranten für einen Beitrag zur sozialen Sicherheit in Deutschland halten würden. „Im Papier der Partei- und Fraktionsvorsitzenden wird ein Dissens in der Frage der Arbeitsmigration deklariert“, sagte Pflüger im Gespräch mit UZ. Das liege daran, dass Wagenknecht in dieser Frage „offensichtlich eine restriktive Position vertritt“. Was genau ihre Position zu Abschottung und Abschiebungen ist? Das wurde Wagenknecht auch auf der Klausurtagung gefragt. Ihre Antwort: Sie habe nicht ausreichend Zeit gehabt, um das auszuführen.

Die Kommunistische Plattform (KPF) kritisierte Wagenknechts „flüchtlingspolitische Äußerungen“ der Vergangenheit vor der Tagung in einem Offenen Brief – und machte deutlich, dass nicht nur Wagenknecht bisherige Gemeinsamkeiten in der Migrationsfrage aufgekündigt hat: Genauso sei es ein Problem, dass der Thüringer linke Ministerpräsident Bodo Ramelow über die Anerkennung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer verhandele und dass auch die Länder, „in denen unsere Partei mitregiert, wie selbstverständlich abschieben“. Vor allem aber warnte die KPF davor, Wagenknecht als Fraktionsvorsitzende abzusetzen – vor der Tagung hatte es Anzeichen für einen solchen Versuch gegeben. Die Partei könne nicht auf Wagenknecht verzichten.

Die KPF kritisierte auch Wagenknechts Distanzierung von der „#unteilbar“-Demonstration am 13. Oktober in Berlin als „deplatziert“ und „realitätsfern“. Die Linkspartei dürfe „nirgendwo durch Aufstehen Schaden nehmen oder gar durch Parallelstrukturen in Frage gestellt werden“. Während die Linkspartei die Demonstration unterstützte, hatte Wagenknecht begründet, warum sie nicht teilnehmen wolle: Der Aufruf biete denjenigen keine Plattform, die sich gegen Rassismus wehren wollen „und zugleich eine Regulierung der Migration für unerlässlich halten“.

Nach der Tagung bleibt damit auch unklar, ob die „Aufstehen“-Unterstützer in der Linkspartei ihren Platz langfristig in der Partei sehen. Auf der Website der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ begrüßt den Leser ein Gedicht von Volker Braun: „Kaum hat das linke Spektrum sich gesammelt / Zerfällen sich die leuchtenden Partein. / Rot Rosa Grün: nur noch ein Fadenschein. / Erblasst sind sie, und irgendwie vergammelt.“

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"Irgendwie vergammelt?", UZ vom 7. Dezember 2018



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