Veranstaltung regt kommunalen Wohnungsbau an

Jenseits der Marktlogik

Am 19. Februar organisierte die Berliner Sektion der Sammlungsbewegung „aufstehen“ eine Podiumsveranstaltung, unterstützt von der Berliner MieterGemeinschaft (BMG e. V.): „Wiener Wohnen – Modell für Berlin?“ Michael Prütz (Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“) und Andrej Holm (HU Berlin) sprechen häufig auf mietenpolitischen Veranstaltungen. Diesmal aber ging es auch um den möglichen Neubau bezahlbarer Wohnungen. Die fünf „Mietendeckel“-Jahre zum Start eines kommunalen Wohnungsbauprogramms nutzen würde wohl auch Karin Zauner-Lohmeyer, die beruflich für den Gemeindebau der Stadt Wien tätig ist und eingangs die Situation in der österreichischen Hauptstadt darstellte, wohnungspolitisch „der Polarstern in der EU“.

Sie verdeutlichte, dass die Politik Angriffen des Immobilien-Kapitals keineswegs hilflos zusehen müsse und nannte neben dem historischen Erbe („Rotes Wien“) verschiedene aktuelle Instrumente: So verkaufe die Stadt keine Flächen, bestimme selbst, was gebaut werde und betriebe dazu eine umfangreiche und verlässliche Stadtplanung. Das setze eine personell gut aufgestellte Stadtverwaltung mit einem entsprechenden Personalstab voraus, die beispielsweise Plänen von „Investoren“ kontra gebe. Im günstigen Gemeindebau-Bestand (220.000 Wohnungen, es gibt Neubau) würden unbefristete Mietverträge ausgestellt; dort zeige Wien eine Vergabepraxis jenseits von Marktmechanismen. Zugleich existiere eine kostenlose städtische Mieterhilfe. Wohnen gelte der Bevölkerung selbstverständlich als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Im Unterschied zu diversen Kampagnenvertreter, die früher Neubau als generell „mietpreistreistreibend“ bewerteten, sprach sich Michael Prütz ebenfalls für das kommunale Bauen aus und nannte „Wiener Wohnen“ gar ein Vorbild der Kampagne. So solle bei einem Kampagnenerfolg aus den noch in Besitz der Deutsche Wohnen und Co. befindlichen, dann „enteigneten“ Immobilien, ohnehin eine neue Wohnungsbaugesellschaft entstehen, die als „Anstalt öffentlichen Rechts“ selbst bauen könne, oder es sei eine eigene städtische Baufirma zu gründen. Er betonte aber, dass die Kampagne selbst zusätzliche Aufgaben wie die Ausarbeitung und Bewerbung eines entsprechenden Wohnungsbauprogramms nicht leisten könnte, da man genug mit dem eigenen Ziel zu tun habe (den Senat zu veranlassen, ein Gesetz zum Rückkauf der großen in Privatbesitz befindlichen Immobilienbestände zu erlassen und es umzusetzen). Hier müssten andere ran.

Andrej Holm beschrieb, wie Anfang der 1990er Jahre das Ende der Wohnungsgemeinnützigkeit (Westberlin), die Privatisierung der Kommunalen Wohnungsverwaltung (Ostberlin) und der folgende Verkauf öffentlicher Mietwohnungsbestände das Ende der klassischen Wohnungswirtschaft einleiteten. Ihre marktmäßige Zurichtung sei das Hauptproblem, so kam der aktuelle Preisunterschied zwischen Bestandsmieten und Neuvermietungen zustande. Wenn man 4,50 Euro/qm Miete als „leistbar“ annehme (30 Prozent des Durchschnittseinkommens), bestehe in der Stadt eine „Sozialisierungslücke“ von 450.000 entsprechenden Wohnungen. Daher plädierte Holm auch für einen als Teil der Stadtentwicklung begriffenen öffentlichen Neubau, der möglich werden könne durch Orientierung an den „Bauhütten“ der 1920er Jahre, als bezirks- und gewerkschaftseigene Baufirmen kommunale Wohnungsbauprogramme umsetzten. Dazu gehöre auch eine distributive Wohnungsvergabepolitik, was, wie die Bauplanung auch, genügend qualifiziertes Personal voraussetzt.

Möglicherweise könnte etwa eine Kampagne für kommunalen Wohnungsneubau neben dem Mietendeckel und der unermüdlichen mietenpolitischen Bewegung ein drittes Standbein im Kampf um die Mieterinteressen bilden. Vielleicht zu idealistisch wirkt das Hoffen auf die für die Misere mitverantwortlichen Politiker von R2G, die all das umsetzen sollen. Das Wiener Wohnen ist zweifellos sozialdemokratisch – Wiener Zustände auch bei uns herzustellen wäre allerdings ein revolutionärer Schritt.

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"Jenseits der Marktlogik", UZ vom 28. Februar 2020



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