Vor 55 Jahren wurde der Nazijäger Fritz Bauer tot aufgefunden

Jurist der Menschlichkeit und des Friedens

Am 1. Juli vor 55 Jahren verstarb in seiner Frankfurter Wohnung der hessische Generalstaatsanwalt und bundesweit bekannteste Nazijäger Fritz Bauer. Sein Tod war ebenso einsam wie sein Kampf zur Aufklärung und Aburteilung nationalsozialistischer Mordtaten. Ein Kampf, den er zeit seines Lebens gegen zahlreiche Widersacher in Justizapparat, Politik und Strafverfolgungsbehörden führte. Der Vielzahl seiner Berufskollegen galt er als Nestbeschmutzer und Störenfried. Einer von ihnen war Hans Maria Globke, der 1935 aufs Widerwärtigste die Nürnberger Rassegesetze kommentiert hatte. Er war von Konrad Adenauer zum Chef des Bundeskanzleramts gemacht worden und sprach von Bauer als „ostzonalem Parteigänger“ mit bedrohlicher „Nähe zum Kommunismus“.

Lange bevor in Westdeutschland das erste Verfahren gegen NS-Täter eröffnet wurde, hatte Adenauer in seiner Regierungserklärung vom September 1949 bereits die Losung ausgegeben, man solle „Vergangenes vergangen sein lassen“ und unter die Nazigräuel einen „Schlussstrich ziehen“. Bauer durchkreuzte diese Pläne, brachte Unruhe ins revanchistische Nachkriegsdeutschland, störte die Nazi-Seilschaften in Polizei, Geheimdiensten und Justiz. Der CDU-Chef im hessischen Landtag, Alfred Dregger, nannte den höchsten Strafverfolger im Lande ein „Sicherheitsrisiko“.

Der braune Sumpf der frühen BRD verstand die öffentlichen Äußerungen: in der Frankfurter Wohnung Bauers stapelten sich die anonymen Briefe mit Morddrohungen. 1966 wurde ein Mordkomplott gegen ihn aufgedeckt. Die Täter wanderten für lächerliche zwei Jahre hinter Gitter. Bauers unmittelbare Mitarbeiter kannten seinen oft wiederholten Satz: „Wenn ich mein Arbeitszimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland.” Der überraschende Tod des „Generals“ im Frühsommer 1968 lässt auch heute noch einigen Raum für Spekulationen über Freitod, Unfall oder Mord: Seine Haushälterin fand ihn tot in seiner Badewanne, ein später anlässlich seiner Einäscherung durchgeführtes Gutachten ergab Spuren des Narkotikums Veronal und eine mittelgradige Alkoholisierung. Ein förmliches Todesermittlungsverfahren, obwohl der Polizeiarzt eine „ungeklärte Todesursache“ notierte, wurde – entgegen der Vorschrift – nicht eingeleitet. Auch die Anordnung einer gerichtlichen Leichenöffnung unterblieb. Merkwürdigerweise datiert das erst 35 Jahre nach seinem Tod wieder aufgefundene toxikologische Gutachten erst auf den 24. Januar 1969, die Urne mit seinen sterblichen Überresten war zu diesem Zeitpunkt schon seit 6 Monaten beigesetzt.

Jüdischer Sozialdemokrat

Geboren am 16. Juli 1903 als Sohn eines Stuttgarter Textilgroßhändlers, wurde Bauer nach jüdisch-orthodoxer Tradition erzogen. Sie blieb ihm ethische Grundlage seines Handelns, auch nachdem er sich zum Atheismus bekannt hatte. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften wurde er 1930 Amtsrichter. Politisch engagierte sich das SPD-Mitglied Fritz Bauer im Republikanischen Richterbund und dem Reichsbanner „Schwarz-Rot-Gold“. Kaum im Amt, wurde der junge Richter Zielscheibe der lokalen braunen Presse. Am 5. Juni 1931 schrieb der Stuttgarter „NS-Kurier“: „Ein jüdischer Amtsrichter missbraucht sein Amt zu Parteizwecken“. Am 24. März 1933 wurde Bauer in laufender Sitzung des Amtsgerichts festgenommen, in das gerade errichtete KZ Heuberg auf der Schwäbischen Alb überführt und wenige Wochen später aus dem Staatsdienst entlassen. Ende Oktober 1933 kam er frei und floh nach Skandinavien, wo er im Juni 1943 die Schwedin Anna Petersen heiratete und zusammen mit Willy Brandt die „Sozialistische Tribüne“ gründete. Ende 1948 nach Deutschland zurückgekehrt, ging er im April 1949 in den Justizdienst, zunächst als Direktor des Landgerichts Braunschweig, ab 1956 als Generalstaatsanwalt in Hessen. 1950 wurde sein Name bundesweit bekannt, als er ein Strafverfahren wegen Verleumdung der Widerständler des 20. Juli 1944 gegen den früheren Kommandeur des Wachbataillons „Großdeutschland“, Otto Ernst Remer, einleitete.

Die Ergreifung Eichmanns

Am Abend des 11. Mai 1960 kidnappte in Buenos Aires eine Einsatzgruppe des israelischen Geheimdienstes Mossad Adolf Eichmann, den Organisator des Holocaust. Eichmann lebte seit Anfang der 50er Jahre unter dem Namen Ricardo Klement in Argentinien. Der Mossad brachte ihn nach Israel, wo er nach seiner Verurteilung in der Nacht zum 1. Juni 1962 gehängt wurde. Bauer hatte den Israelis die entscheidenden Hinweise geliefert. In den Jahren 1957 und 1958 erhielt Bauer verlässliche Informationen zum Aufenthaltsort Eichmanns. Seit 1956 existierte zwar ein Haftbefehl, aber die zuständigen Bonner Stellen hatten kein Interesse, ein internationales Auslieferungsverfahren einzuleiten. Bauer versuchte es sodann unter Umgehung Bonns und der Bundesanwaltschaft und zog die Sache an sich. Was Bauer nicht wusste: Beim Bundesnachrichtendienst (BND) existierte schon seit dem 24. Juni 1952 eine Karteikarte, angelegt vom Vorgänger des BND, der „Organisation Gehlen“: „Standartenführer Eichmann befindet sich nicht in Ägypten, sondern hält sich unter dem Decknamen Clemens in Argentinien auf.“

Die Auschwitz-Prozesse

Da sich Bauer nicht auf die Bundesanwaltschaft, in deren Zuständigkeit die Verfolgung von NS-Unrecht lag, und noch weniger auf Ermittlungsbehörden sowie die deutschen Geheimdienste verlassen konnte, suchte er eigene Wege. Diese waren zur damaligen Zeit unorthodox, zuweilen lagen sie in einer Grauzone. Durch einen juristischen Trick zog er die Ermittlungen im Komplex des KZ Auschwitz an sich. Verdeckt arbeitete er mit Ermittlungsmaterial, das ihm die Generalstaatsanwaltschaft der DDR zur Verfügung stellte. Allein im Jahr 1960 erhielt er Akten zu 529 Verfahren, die in der DDR gegen NS-Täter geführt wurden. Im Jahre 1963 übergaben ihm zwei DDR-Staatsanwälte Unterlagen zu den NS-Euthanasiemorden.

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Luftaufklärungsbild des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau der britischen Royal Air Force aus dem August 1944. Links im Bild der Rauch der Verbrennungsgruben. (Foto: public domain)

Die drei großen Frankfurter Auschwitz-Verfahren wurden von Bauer angestoßen.Sie blieben in der Geschichte der BRD hinsichtlich der Akribie ihrer Beweisführung und der hohen Quote der Verurteilungen ohne Nachfolge. Das noch von Bauer eingeleitete Verfahren gegen etliche Schreibtischtäter im Komplex der zehntausendfachen Morde an körperlich und geistig Behinderten (Euthanasieverfahren) endete nach dem Tod Bauers in den frühen 1970er Jahren mit Freisprüchen oder Einstellungen, nachdem die Gerichte auch für die unmittelbar beteiligten Ärzte zwar die Tötungen objektiv für nachgewiesen hielten, die Angeklagten aber wegen „fehlenden Unrechtsbewusstseins“ ohne Strafe davonkommen ließen.

Was hätte Fritz Bauer dazu gesagt? Wie würden ihm seine Nachfolger im Amt erklären, weshalb allein im Tatkomplex der Morde im KZ Auschwitz von über 8.000 verdächtigen Tätern und Gehilfen bis heute nur 40 abgeurteilt wurden und selbst diese Verurteilungen fast alle der Arbeit Fritz Bauers zu verdanken sind? 1962 schrieb Bauer, er wolle nichts weiter als „ein Jurist sein, der dem Gesetz und Recht, der Menschlichkeit und dem Frieden nicht nur Lippendienste leistet“. Er ahnte nicht, dass man in Deutschland noch mehr als ein halbes Jahrhundert später solche Juristen mit der Lupe suchen muss.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Jurist der Menschlichkeit und des Friedens", UZ vom 30. Juni 2023



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