Warnstreik am UKGM: Schon im August 2022 kämpften die Beschäftigten für bessere Arbeitsbedingungen.

„Kann mir jemand helfen?“

„Gemeinsam mit euch wollen wir dieses Jahr eine bessere Gesundheitsversorgung in unserer Uniklinik erreichen. Seit Jahren bekommen wir und unsere Patienten die schlechten Bedingungen im Krankenhaus zu spüren. Wir geben unser Bestes, um die Gesundheitsversorgung in der Region am Laufen zu halten. Doch noch so viel persönlicher Einsatz kann den dauerhaften Personalmangel und die schlechten Arbeitsbedingungen nicht ausgleichen. So kann es nicht weitergehen.“ Mit diesem eindringlichen Ruf nach Solidarität hatten die Beschäftigten des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) in der vergangenen Woche zu zwei digitalen Stadtversammlungen eingeladen. Ziel der Veranstaltungen war es, Unterstützung auch außerhalb des UKGM zu gewinnen.

Denn dieser Arbeitskampf wird einerseits im Betrieb gewonnen. Hierzu hatten bereits am 14. Dezember die Beschäftigten ihre Forderungen der Klinikleitung und der Landespolitik übergeben und ein 100-Tage-Ultimatum gestartet. 4.163 Kolleginnen und Kollegen des UKGM hatten mit ihrer Unterschrift erklärt, dass sie ernst machen und in einen machtvollen Streik für ihre Forderungen treten wollen, falls sich bis zum 24. März nichts Substanzielles bewegt. Gleichzeitig wird diese Auseinandersetzung aber auch in der Stadtgesellschaft gewonnen. Diese muss gegenüber der Konzernleitung und der Politik deutlich machen, dass ein Tarifvertrag Entlastung entscheidend ist, um eine sichere und menschenwürdige Patientenversorgung zu gewährleisten.

Und die Resonanz aus den Stadtgesellschaften der beiden mittelhessischen Universitätsstädte für dieses Anliegen war beeindruckend. Zur Veranstaltung für den Standort Gießen schalteten sich über 220 Teilnehmer zu. In der Nachbarstadt Marburg waren es zwei Tage später sogar 370. In dem digitalen Format berichteten Beschäftigte von ihrem Arbeitsalltag in der Uniklinik und gaben einen Einblick hinter die Kulissen. So berichtete eine Auszubildende im zweiten Lehrjahr, dass sie nur noch müde und erschöpft sei. Dies machte sie anhand eines Frühdienstes deutlich, bei dem sie mit zwei Kolleginnen für 50 Patenten zuständig war. Ein Patent lag im Sterben und flehte darum, nicht alleingelassen zu werden. Gleichzeitig riefen zwei demenzkranke Patienten um Hilfe und eine Kollegin brauchte Unterstützung bei der Versorgung eines weiteren Patienten. „Wohin gehe ich zuerst, was kann ich als Auszubildende tun, kann mir jemand helfen?“, fragte sie resigniert.

Neben diesen digitalen Formaten sind Kolleginnen und Kollegen aus dem UKGM seit Beginn der Auseinandersetzung bei Betriebsrats-, Vertrauensleute- und weiteren Gremiensitzungen anderer Betriebe und Branchen zu Gast. Das dient zum einen dazu, dass die Kollegen dort aus erster Hand erfahren können, was das Vorhaben in der Tarifrunde ist, zum anderen auch dazu, dass die Kollegen aus dem UKGM in der Auseinandersetzung positive Rückmeldung und Solidarität erhalten.

Darüber hinaus wurde eine „Fotopetition für unser UKGM“ gestartet. Mit vielen hunderten Fotos soll so der Klinikleitung sowie den politisch Verantwortlichen deutlich gemacht werden, dass es Zeit ist zu handeln. Als nächste Schritte werden die Forderungen aus allen Klinikbereichen zusammengefasst und am 6. und 7. März bei einem großen „Klinikratschlag“ diskutiert. Dort soll auch über konkrete Maßnahmen entschieden werden. Am 7. März wird hierzu die Öffentlichkeit in die Gießener Kongresshalle eingeladen. Am gleichen Tag werden dort die Spitzenkandidaten der Parteien zu den Hessischen Landtagswahlen mit den Forderungen der Beschäftigten konfrontiert.

Diese Aktivitäten zeigen erste Wirkung. Die Geschäftsführung des UKGM kann sich inzwischen ernsthaften Gesprächen nicht mehr verschließen und hat sich schriftlich bereit erklärt, mit ver.di über den geforderten Entlastungs- und Beschäftigungssicherungsvertrag zu verhandeln. Am 16. Februar werden die Verhandlungen beginnen. Da niemand glaubt, dass die Konzernleitung nur aufgrund der besseren Argumente nachgeben wird, ist für den 31. März – zehn Tage nach Ablauf des gesetzten Ultimatums – eine weitere Demonstration geplant.

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"„Kann mir jemand helfen?“", UZ vom 17. Februar 2023



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