Wo NATO-Bellizismus und Arroganz auf Vernunft treffen, bleibt Kopfschütteln

Kein Stich für Grüne im Osten

Kolumne

Skatspieler können ein schlechtes Blatt haben und sehen keinen Stich. Pech. Die Grünen sehen, ihres Markenkerns verlustig, im Osten keinen Stich, weil sie gar nicht im Spiel sind. Selbstverschuldet. 2024 flogen sie in Brandenburg und Thüringen aus dem Landtag und in Sachsen aus der Regierung. 2026 droht sich in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern der Kreis grüner Bedeutungslosigkeit im Osten zu schließen. In der Hoffnung, das Desaster abzuwenden, griff die Grüne-Führung zum Hausmittel der Ratlosen: Sie gründete einen Arbeitskreis.

Allein, Agenda und Personal dieses Gremiums machen es zu einer Totgeburt. Um die Tiefe und Genese der Probleme östlich der Elbe zu verstehen, bräuchte es den Mut zur Aufdeckung der wirtschaftlichen und politischen Inte­ressen, die die Arroganz westdeutscher Inbesitznahme Ostdeutschlands befeuerten. Gefolgt vom Eingeständnis, dass die bündnisgrünen Strategen ostdeutscher Provenienz die Einheitswirren in ihren Herkunftsregionen stets devot durch die Bonner Brille beurteilten. Karrierechancen gingen vor die Inte­ressenvertretung der durch Treuhand & Co. Abgehängten. Die „Neufünfländer“ haben sich das gemerkt und werden die Delegierung der zur Verwurstung von DDR-Biografien angetretenen Stasi-jagenden Marianne Birthler oder der naseweis im Strom der Beschwichtiger paddelnden Katrin Göring-Eckardt in den „Experten“-Stadel kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen haben. Die Einflüsterungen des im Fach DDR-Historie dilettierenden Ilko-Sascha Kowalczuk werden die Verwirrung nur vergrößern.

Schlechte Laune herrscht auch bei der Beurteilung westdeutsch sozialisierter grüner Führungsköpfe, die veritable Gründungspositionen ihrer Partei über Bord warfen, um, wohldotiert, das Staatsschiff unangefochten in kapitalistischen Fahrwassern zu halten. Joseph Fischer bemühte Auschwitz, um Deutschland in einen völkerrechtswidrigen Bombenangriff gegen Jugoslawien zu führen. Annalena Baer­bock erklärte der Russischen Föderation schon fast den Krieg, beleidigte den Präsidenten des Wirtschaftsgiganten China und karikierte ihre feministische Außenpolitik erneut, als sie eine als Präsidentin der UN-Vollversammlung gesetzte deutsche Diplomatin aus Eigennutz wegbiss. Anton Hofreiter gefällt sich in wutschnaubendem NATO-Bellizismus. Robert Habeck tobte sich in der Wirtschaft ideologisch aus und hinterließ mit der antirussisch motivierten Verteuerung der Energieversorgung deutschen Unternehmen und privaten Haushalten ein zähes, geldfressendes Erbe.

09 Kolumne koenig hartmut 1331 - Kein Stich für Grüne im Osten - Aufrüstung, Die Grünen - Von der Protestpartei zum Kriegsakteur, Ostdeutschland, Staatsschulden, Waffenlieferungen - Positionen
Hartmut König

Die Grünen verhalfen Merz zu einem gigantischen Schuldenpaket, aus dem sich Rüstungsindustrie und kriegsrelevante Gewerke mästen werden, während die Regierung den Sozialabbau plant und dringend benötigte Restaurierungen des Bildungs- und Gesundheitswesens sowie der verschlissenen Infrastruktur auf ihre Kriegstauglichkeit prüft. Ökologische Bedenken gegen den Drang zum Krieg oder auch nur gegen dreckige Frackinggas-Importe sind in der Sonnenblumenpartei zurückgestellt. Ungezügelte Waffenlieferungen statt substanzieller Diplomatie bleibt grünes Credo im Ukraine-Krieg.

Dass der Wesenskern der einstigen Öko-Partei, zur friedlichen und umweltverträglichen Gestaltung des Landes und der Welt beizutragen, schmackhaften Regierungsoptionen geopfert wurde, stößt nicht nur im Osten sauer auf. Aber dort, wo bei vielen Menschen ein vernünftiges Denken über Frieden und soziale Gerechtigkeit, auch über ein entgiftetes Verhältnis zu Russland als Substrat ihrer DDR-Sozialisation nachwirkt, werden Politikangebote des angeschwärzten Grün am ehesten als unzeitgemäß verworfen. Kurz vor ihrem Tod schrieb Antje Vollmer, der „Hang, sich zum Sieger zu erklären, ist eine alte westliche Hybris und seit jeher Grund für Demütigungen, die das ungleiche Verhältnis zum Osten prägen“. Was sie für die Weltlage sah, gilt für das Land gleichwohl. Dem Vermächtnis dieser großartigen Pazifistin zu folgen wäre ein interessantes grünes Signal. Aber vom Thron der Gewendeten hört man Gelächter.

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"Kein Stich für Grüne im Osten", UZ vom 3. Oktober 2025



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