Keine maaslose Überraschung

Uwe Koopmann zur Geschichtsaufarbeitung des Justizministeriu

Als das Bundesministerium der Justiz am 1. April 1950 im Bonner Stadtteil Kessenich die „Rosenburg“ bezog, war es kein Aprilscherz, dass sich dort alte Nazis blitzschnell einen neuen Schreibtisch sicherten, denn ihren alten hatten sie im Reichsjustizministerium in der Wilhelmstraße 65 wegen eines Luftangriffes im Dezember 1944 – ein halbes Jahr vor dem Finale – aufgeben müssen.

Der Fisch fängt immer am Kopf an zu stinken. So wie Adenauer sich mit Altnazis wie Hans Globke umgab, hatte auch Thomas Dehler (FDP) als erster Bundesjustizminister keine Scheu, sich vieler alter Nazis zu bedienen. Es stinkt bis in die Gegenwart. So behauptet die aktuelle Homepage des Justizministeriums: „Unter seiner (Dehlers, UK) Federführung musste die ganze Rechtsordnung von dem gedanklichen Unrat der Nazis entsorgt und mit dem jetzt maßgebenden Grundgesetz in Einklang gebracht werden.“ Ausgerechnet für diese Aufgabe wurden Altnazis eingesetzt.

Die Ambivalenz wurde nach 1982 unter Justizminister Hans A. Engelhard (FDP) fortgesetzt. Ihm bescheinigt das heutige Ministerium, er habe sich „bleibende persönliche Verdienste um die Erforschung der furchtbaren Rolle der Justiz in der Nazizeit erworben.“ Viele Altnazis waren allerdings inzwischen in den gut dotierten Ruhestand gewechselt.

Und nun die neue, durchaus verdienstvolle Analyse durch den Historiker Manfred Görtemaker und den Juristen Christoph J. M. Safferling. Sie ordneten die bisherige „Aufarbeitung des Justizministeriums“ neu ein: Der 8. Mai 1945 war kein personeller Bruch. Die militärische Zerschlagung des Faschismus war keine Garantie für demokratisches Denken, für demokratische Strukturen im Ministerium, denn die alten Sessel waren noch warm: Über 50 Prozent der Führungskräfte waren ehemalige Angehörige der NSDAP, 20 Prozent waren SA-Mitglieder. Andere verurteilten in Sondergerichten und als Wehrrichter. 1968 wurden Zehntausende von Strafverfahren gegen NS-Täter eingestellt.

Der „Geist der Rosenburg“ weht noch länger durch manche Flure des Ministeriums:

So dauerte es über 50 Jahre, bis die Juristen ein Gesetz formulieren konnten, mit dem Todesurteile gegen Nazi-Gegner kassiert wurden. Umgekehrt konnten die Politiker, die diese Urteile gefällt hatten, zum Beispiel in Baden-Württemberg Ministerpräsident werden. Homosexuelle, Sinti und Roma wurden auch nach 1945 in das NS-Rechtsverständnis gepresst. 70 Jahre nach Kriegsende kommt „plötzlich“ die Überlegung, diese Betroffenen zu entschädigen.

Ein Versagen des Ministeriums ist auch in der juristischen „Bewältigung“ der NS-Verbrechen zu sehen: Ernst Thälmann hatte im Sinne der Justiz keinen Mörder, der hätte verurteilt werden müssen. Viele andere Mörder aus den Konzentrationslagern verließen als freie Bürger die Gerichtssäle. Es geht auch anders: Für Beihilfe zum Mord im KZ Auschwitz gibt es vor dem Landgericht Detmold im Februar fünf Jahre Haft. Das war 70 Jahre nach Kriegsende. Ob der Mann aus dem SS-Totenkopfsturmbann seine Haftstrafe noch absitzen muss, ergibt sich aus seinem Gesundheitszustand.

Die Spielregeln des Rechtsstaats wurden auch mit der Hilfe von Altnazis so gestaltet, dass die KPD 1956 erneut verboten werden konnte. Die Berufsverbote gegen Kommunisten und andere Demokraten, seit 1972 Teil des „Rechtsstaates“, wurden bis heute nicht aufgehoben. Auf die Bitte, die Betroffenen der Berufsverbote ähnlich wie die Homosexuellen zu rehabilitieren, antwortete der Minister nicht.

Nach Aussage von Justizminister Heiko Maas (SPD) sollen Schlussfolgerungen aus der „Akte Rosenburg“ für die Juristen gezogen werden. Das wäre gut so. Nur eine Schlussfolgerung ergibt sich nicht: Eine Überraschung war „Rosenburg“ nun ganz und gar nicht.

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"Keine maaslose Überraschung", UZ vom 21. Oktober 2016



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