Unsere Jungs

Wera Richter zum Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB

Zum zweiten Mal in kurzer Zeit bin ich im Kreuzberger Intertank mit den Worten „Kannst gleich wieder gehn. Spiel wird abgesagt“ begrüßt worden. Der „Tank“ ist an Spieltagen schwarz-gelb und die BVB-Gesänge lauter als in manch Dortmunder Kneipe. Wenn sich aber Fußball-Touristen in den Laden verirren – was leider ziemlich häufig vorkommt – und nach dem hochverdienten Tor „Sieg, Sieg, Sieg“ skandieren, werden sie höflich aber bestimmt gebeten, den Mund zu halten oder sich eine andere Kneipe zu suchen. Nach dem Attentat auf „unsere Jungs“ war allerdings Schluss mit Lustig. „Wenn der mir in die Finger kommt, den häng ich eigenhändig an seinen Eiern auf. Ohne Scheiß jetzt!“ ließ mein sonst besonnener Sitznachbar gleich mehrfach wissen.

Beim Beruhigungsbierchen waren wir uns schnell einig: Nee, Islamisten waren das nicht. Die rechten Hools von „0231 Riot“ schon eher. Oder Ultras? Linke? Leipziger? Das Gestocher des Abends hält bis heute an. Klar, wer denkt bei einer Splitter- oder Nagelbombe – noch dazu in Dortmund – nicht an Neofaschisten. Aber so doof, es sich mit den schwarz-gelben Fans im Rekrutierungsfeld zu versauen, sind mindestens Dortmunder Nazis eigentlich nicht.

Resultat des Anschlags auf den Mannschaftsbus des BVB ist vor allem eins: Mobilmachung in Herzen und Köpfen gegen Angriffe aller Art „auf unsere Jungs“. Sprich: „auf uns“. Nicht auf Dortmunder, sondern auf die Fußballnation. Geht gar nicht. Da gilt es zusammenzustehen.

Donald Trumps völkerrechtswidriger Angriff auf Syrien oder der Abwurf der Mutter aller Bomben auf Afghanistan in der gleichen Woche sind Kinderkram dagegen. Den Trump oder Kanzleramtschef Peter Altmaier, der im Namen Merkels mit größtem Verständnis auf das Säbelrasseln reagiert, will im „Tank“ keiner an den Eiern aufhängen. Das gefährliche Spiel mit Inkaufnahme eines dritten Weltkriegs ist nicht der Rede wert. Geht ja nicht „gegen uns“ – hilft womöglich sogar gegen solch unerklärbare Attacken. Wer hat Interesse an solcher Stimmung? Bei der Frage nach dem Nutzen drängen sich selbsternannte oder bezahlte Staatsschützer auf – oder die einen mit dem Wissen der anderen.

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Über die Autorin

Wera Richter, geboren 1969, ist stellvertretende Parteivorsitzende der DKP und Chefredakteurin der UZ. Die journalistische Laufbahn begann in jungen Jahren mit einem Praktikum bei der UZ mit Rolf Priemer als Chefredakteur. Damals wurde die UZ wieder Wochenzeitung. Später arbeitete die gelernte Gärtnerin im Ressort Innenpolitik der Tageszeitung junge Welt. Auf dem 20. Parteitag der DKP 2013 wurde Wera Richter zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt und übernahm die Verantwortung für die Organisationspolitik. Ein Job, den sie in der SDAJ kennen und lieben gelernt hatte. 2020 löste sie Lars Mörking als UZ-Chefredakteur ab.

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"Unsere Jungs", UZ vom 21. April 2017



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