Die Logik der EU- und NATO-Ostexpansion

Kosovo hui, Krim pfui?

Kolumne

Unruhen im Norden des Kosovo wecken die Erinnerung an den Jugoslawienkrieg. Nach der NATO-Aggression mit monatelangen Bombardements beschloss der UN-Sicherheitsrat im Juni 1999 die Resolution 1244 zum Status und zu einer Interimsverwaltung im Kosovo. Die jugoslawischen Truppen zogen ab. Eine „internationale Sicherheitspräsenz“ und eine „internationale zivile Präsenz“ sollten das Schweigen der Waffen garantieren, die albanischen bewaffneten Kräfte demilitarisieren und zur „substanziellen Selbstverwaltung für das Kosovo“ bei Achtung der „Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien“ überleiten. Hauptträger der „Sicherheitspräsenz“ sind NATO-Truppen (KFOR). Die „zivile Präsenz“ stellen UN, EU und OSZE.

Ethnische Vertreibungen von Serben und anderen Minoritäten gingen unter dem NATO/EU-Protektorat aber weiter. Vor allem 2004 wurden serbische Häuser und Kulturstätten in Brand gesetzt. Pogrome bewirkten die ethnische Homogenisierung ganzer Städte und Dörfer. „Weder verhinderten die drei kosten- und personalintensiven Missionen diese Verbrechen, noch wurden diese nachträglich geahndet“, schreibt Wikipedia. Die verbliebenen Serben konzentrieren sich heute in Gemeinden nördlich der Stadt Mitrovica. Bei den wiederkehrenden Konflikten zwischen ihnen und der Regierung in Pristina geht es um den Status des Kosovo und um die Rechte der Serben. Ihnen werden Selbstverwaltungsrechte in einem Gemeindeverbund bisher verweigert, da Pristina dahinter Separatismus wittert.

2008 erklärte sich Kosovo einseitig für unabhängig, als letzter aus der Zerschlagung Jugoslawiens hervorgegangener Teilstaat. Die deutsche Regierung, die zuvor schon die Sezessionen der anderen ehemaligen Teilstaaten ermuntert hatte, erkannte Kosovos Unabhängigkeit an. Die Aussagen der UN-Resolution 1244 zur territorialen Unversehrtheit Jugoslawiens interpretierte Berlin nunmehr als „rein deklamatorisch“. Dass alle BRD-Regierungen die Sezession des Kosovo fördern, während sie die Sezession der Krim sanktionieren, hat seine Logik. In beiden Fällen geht es nicht um Selbstbestimmung oder Menschenrechte, sondern um die Ostexpansion von EU und NATO. Die Zerstückelung Jugoslawiens war dafür förderlich, die Sezession der Krim eine Beschränkung.

Gut die Hälfte der UN-Mitglieder hat Kosovo anerkannt. Serbien, China, Russland, Indien, auch fünf EU-Staaten verweigern die Anerkennung. Serbien und Kosovo wollen in die EU. EU-Kommission, Berliner Ampel-Regierung und Macron wollen ihrerseits den Beitritt der Westbalkanländer beschleunigen, nicht zuletzt angesichts neuer, im Ukraine-Krieg offengelegter internationaler Kräfteverhältnisse. Die Tendenz, die Probleme auf dem Westbalkan mehr oder minder auszusitzen, sei „ins Wanken gekommen, weil die westlichen Akteure zunehmend besorgt waren über die Einflussnahme Russlands, aber auch Chinas und der Türkei“, so Osteuropaforscher Conrad Clewing gegenüber dem ZDF (zdf.de, 21. Oktober 2022).

Serbien gilt den EU-Oberen als störrisch. Es beteiligt sich nicht an Sanktionen gegen Moskau, ist Mitglied der Belt & Road-Initiative und mit Russland und China ökonomisch und/oder kulturell stark verbunden. Beim Besuch in Belgrad drängte Scholz Serbiens Präsidenten Vucˇic´ zu einer Abkehr vom bisher engen Verhältnis zu Russland: „Wer Mitglied der Europäischen Union werden will, muss das gesamte Regime, das damit verbunden ist, für sich akzeptieren.“ Das betreffe auch die Sanktionen gegen Russland. Doch Russland und China verteidigen die territoriale Integrität Serbiens, einen Wert, mit dem Scholz Waffenlieferungen an Selenski begründet. Die Ukraine erkennt übrigens Kosovo bisher nicht an.

EU- und NATO-Ostexpansion schaffen keine „europäische Friedensordnung“. Europa braucht friedliche Koexistenz und Kooperation mit Russland und China.

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Über die Autorin

Beate Landefeld (Jahrgang 1944) ist Hotelfachfrau und Autorin.

Landefeld studierte ab 1968 Literaturwissenschaft und Soziologie an der Universität Hamburg, war Vorsitzende des Allgemeinen Studentenausschusses, Mitbegründerin des MSB Spartakus. 1971-1990 war sie im Parteivorstand der DKP, 1977-1979 Bundesvorsitzende des MSB Spartakus, später auf Bezirks- und Bundesebene Funktionärin der DKP.

Landefeld ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter. 2017 veröffentlichte sie bei PapyRossa in der Reihe Basiswissen das Buch „Revolution“.

Für die UZ schreibt Landefeld eine monatliche Kolumne.

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"Kosovo hui, Krim pfui?", UZ vom 9. Juni 2023



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