Bundesregierung setzt auf Eskalation und deutsche Soldaten in der Ukraine

Russland im Visier

Am 15. Dezember erhielt US-Unterstaatssekretärin Karen Donfried in Moskau einen Vertragsentwurf der russischen Regierung über Sicherheitsgarantien der USA und der NATO überreicht. Kernpunkt: Keine Osterweiterung der NATO und keine militärischen Aktionen des Paktes in der Ukraine. Am Tag danach trat ein routinemäßiger EU-Gipfel in Brüssel zusammen, der sich mit den Vertretern der „Östlichen Partnerschaft“ traf. Sie wurde organisiert, um der EU in ehemaligen Staaten der Sowjet­union Einfluss zu sichern. Gegenwärtig gehören Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldau und die Ukraine dazu. Ihnen winkt ein mit 2,3 Milliarden Euro ausgestatteter Wirtschafts- und Investitionsplan der EU.

Nach diesem 16. Dezember steigerten führende EU-Politiker die Kampagne gegen Russland. Ihr Inhalt: Selbstverständlich wollen die Russen Krieg.

Vorläufiger Höhepunkt war am Montag die Behauptung des litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda, „wir haben das Gleichgewicht in unserer Region verloren“. So zitierte ihn die Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine. Nauseda forderte als „Reaktion“ einen klaren Aktionsplan des Westens: „Die NATO sollte nicht nur mit der Konzentration von Truppen an der östlichen Front antworten, sondern auch ihre militärischen Fähigkeiten stärken.“ Diese Aufforderung, mehr Truppen an den Grenzen zu Russland zu stationieren, entspricht nicht nur den Forderungen der osteuropäischen EU-Staaten und der Regierung in Kiew, sie wird auch von der Bundesregierung nicht mehr ausgeschlossen.

Das besagen jedenfalls Äußerungen der neuen Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) und ihre demonstrative erste Reise am Sonntag zu in Litauen stationierten Bundeswehrsoldaten. Am selben Tag wartete sie in einem Interview mit „Bild am Sonntag“ mit Sprüchen auf wie: „Ganz klar: Der Aggressor ist Russland“. Die Zeitung setzte den Satz auf Seite 1. Lambrecht weiter: „Wir müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Eskalation zu stoppen.“ Überschrieben war das Interview mit: „Wir müssen Putin ins Visier nehmen.“ Gemeint ist laut Lambrecht: „Die für die Aggression Verantwortlichen müssen persönliche Konsequenzen spüren, zum Beispiel, dass sie nicht mehr zum Shoppen auf die Pariser Champs Élysées reisen können.“

Am Montag feierten die zum Truppenbesuch nach Litauen mitgereisten Medien-Frontberichterstatter Lambrecht enthusiastisch. „Bild“: „Hier zeigt die Neue dem Kreml-Despoten die Grenzen!“ Sie habe „glaubhafte Abschreckung“ gegen ihn gefordert und „erstmals“ auf die Frage, ob sie bereit sei, deutsche Soldaten für ein NATO-Kontingent in der Ukraine zu stellen, dies nicht ausgeschlossen. Einzige Einschränkung: Dies müsse „eng im Bündnis abgestimmt“ werden.

Was Lambrecht andeutet – die Bereitschaft, NATO-Soldaten einschließlich Bundeswehr in die Ukraine zu schicken – ist offensichtlich den osteuropäischen Mitgliedstaaten und der „Östlichen Partnerschaft“ in Brüssel auf dem EU-Gipfel signalisiert worden. Selenski war dorthin gereist und traf sich zu einem Einzelgespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), dem sich später Frankreichs Präsident Emmanuel Macron anschloss. Der ukrainische Präsident hatte in Brüssel die Gelegenheit genutzt, um präventive Sanktionen gegen Russland zu fordern. Darauf ließ sich der Gipfel offiziell nicht ein. Offenbar hatte er Besseres im Angebot. Am Dienstag verkündete Selenski jedenfalls, er strebe nach der EU-Mitgliedschaft der Ukraine „in den nächsten Jahren und nach einer klaren zeitlichen Perspektive“ für diese in der NATO. Die EU-Staaten lassen weiter zündeln.

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"Russland im Visier", UZ vom 24. Dezember 2021



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