Die Rüstungsindustrie boomt. Regierung und Medien versprechen Wirtschaftswunder und neue Arbeitsplätze. Haben wir nichts gelernt?

Kriegsertüchtigung und Militarisierung in Baden-Württemberg

Jörg Lang

Europa müsse seine Verteidigung selbst in die Hand nehmen und eine potente Rüstungsindustrie aufbauen – „und da wollen wir in Baden-Württemberg mitmischen“. Das sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) in einem Interview mit dem „Südkurier“ am 5. März. Die Rüstungsindustrie werde ein neuer industrieller Schwerpunkt für Baden-Württemberg – „da bin ich mir sicher“, so Kretschmann. Schlüsselakteure seien schon im Land, zitiert ihn der Staatsanzeiger der Landesregierung, „etwa die am Bodensee ansässige Firma Diehl Defence“. Sie sei weltweit führend bei bestimmten Systemen zur Luftverteidigung und schütze mit ihrer Raketenabwehr den ukrainischen Luftraum. Der Anspruch in der gesamten Verteidigungswirtschaft müsse die „Technologieführerschaft“ sein, so der Ministerpräsident.

Auch die „grüne“ Hochschulministerin Petra Olschowski schwärmt: Höhere Verteidigungsausgaben und die Debatte über die Aufrüstung könnten der baden-württembergischen Forschung und Wirtschaft einen echten Wachstumsschub verleihen. Wörtlich: „Wir müssen die neue Situation auch als Chance sehen, um unseren erfolgreichen Forschungs- und Wissenschaftsstandort weiterzuentwickeln und voranzubringen.“ Das Land habe beste Voraussetzungen dazu, „die Zukunft in Europa mitzugestalten“, zitierte „t-online.de“ die Bildungspolitikerin am 11. März.

Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut von der CDU warb im Landtag für die Verzahnung von ziviler und militärischer Forschung. Auch sie verwies dabei auf die Notwendigkeit einer leistungsfähigen Rüstungsindustrie. Sie sei „überlebensnotwendig“. Rüstungsgüter müssten produziert, zugehörige Dienstleistungen geschaffen und entsprechende Technologien entwickelt werden, so die CDU-Frau. Da darf die SPD nicht hinten anstehen. Ihr „Rechtsexperte“ Boris Weirauch forderte am 12. März im Rundfunksender SWR1 eine „engere Verknüpfung der Verteidigungspolitik mit der Industrie“.

Zivilklauseln sollen weg

In der Online-Wochenzeitung „kontext“ berichtete Florian Kaufmann am 9. April: „Schon jetzt arbeiten einige baden-württembergische Forschungseinrichtungen im Auftrag von Rüstungsunternehmen oder dem Staat an der Forschung und Entwicklung für den Rüstungssektor, heißt es vom baden-württembergischen Landeswissenschaftsministerium auf Anfrage.“ In den Augen der Landesregierung seien Universitäten ein wichtiger Partner der Industrie, um Baden-Württemberg zu einem führenden Rüstungsstandort zu machen. „Kontext“ zählt zahlreiche Forschungsinstitute mit entsprechenden Kontakten und Aufträgen auf und berichtet beispielsweise: „Ein großer Teil der Mittel für die Fraunhofer-Institute kommt direkt aus dem Verteidigungshaushalt. Weitere Finanziers sind die Rüstungsindustrie oder die NATO.“ Die bei verschiedenen Universitäten des Landes bestehenden „Zivilklauseln“, die die Forschung auf zivile Zwecke verpflichten, werden mit dem Schlagwort von „Dual-Use“-Technologien umgangen beziehungsweise sollen ganz abgeschafft werden.

Stadt Stuttgart soll in Rüstung investieren

Die Anlagerichtlinien der Stadt Stuttgart von 2016 schreiben vor, dass die Stadt kein Geld in Unternehmen stecken darf, die Kohle, Öl oder Fracking-Gas fördern, Atomenergie erzeugen, Militärwaffen und Munition produzieren oder vertreiben oder Gentechnik zur Pflanzenzucht nutzen. Am 27. März berichtete die „Stuttgarter Zeitung“ über einen Antrag der CDU im Gemeinderat, der dieses Verbot für Firmen aus dem „Defence-Bereich“ aufheben will – um ein „Zeichen der Stärke und für die Friedenssicherung zu senden“. Die Firmen „sicherten die Freiheit und dürften bei der Anlagestrategie in Aktien und Anleihen keine Nachteile erfahren“.

Dabei geht es unter anderem um noch verfügbare Anlagemittel der Stadt in Höhe von 4,7 Milliarden Euro. In diesem Zusammenhang weist die Zeitung auch darauf hin: „Die Festlegung des Bundestages, für Verteidigung praktisch unbegrenzt Mittel einzusetzen, treibt die Aktienkurse der großen Rüstungskonzerne (Rheinmetall, Hensoldt, Renk, Thales) in teils ungekannte Höhen.“ Außerdem habe die baden-württembergische Landesbank LBBW, an der die Stadt Stuttgart knapp 19 Prozent hält, einen neuen Fonds mit Schwerpunkt Verteidigung aufgelegt, der sich zum Renner entwickle.
Bereits am 2. Januar hatte die „Stuttgarter Zeitung“ berichtet: „Die LBBW bekennt sich zur Rüstungsindustrie.“ Der lange erschwerte Zugang von Rüstungsunternehmen zu Finanzmärkten durch die Eigenregulierung von Banken und EU-Regelungen gehöre der Vergangenheit an. Rainer Neske, Chef der LBBW, wird mit den Worten zitiert: „Wir halten eine wettbewerbsfähige Rüstungsindustrie in Europa aus Sicherheitsinteressen für unverzichtbar. Deshalb stehen wir auch als Finanzierungspartner für Rüstungsunternehmen grundsätzlich zur Verfügung.“ Die vergangenen drei Jahre hätten gezeigt, dass die Verteidigungsfähigkeit neben der Rechtsstaatlichkeit eine wesentliche Voraussetzung für die Bewahrung von Demokratie und Freiheit sei.

„Seit mehr als 100 Jahren. In mehr als 80 Ländern“

In Wahrheit geht es – neben dem neuen deutschen Großmachtstreben – ganz offensichtlich wieder um Profite für das einschlägige Monopolkapital.

Am 3. März berichtete „SWR aktuell“: Die Europäer diskutieren, „wie man die Ukraine ohne US-Hilfe stützen kann. Wichtiger Faktor bei den Gesprächen sind die Sondervermögen: 400 Milliarden Euro allein für die Rüstung stehen im Raum. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlägt bis zu 800 Milliarden Euro vor. Die Aussicht auf weitere Aufträge beflügelt die Rüstungsaktien – besonders von den drei größten deutschen Rüstungskonzernen Rheinmetall, Hensoldt und Renk. Auch kleinere Rüstungsfirmen profitieren von den weltweiten Kriegen und Konflikten. Heckler & Koch mit Sitz in Oberndorf am Neckar hat für 2024 ein Umsatzplus von knapp 18 Prozent gemeldet. Die Firma stellt Sturmgewehre, Maschinengewehre, Pistolen und Granatwerfer her.“

211213 03 Goerlitz - Kriegsertüchtigung und Militarisierung in Baden-Württemberg - Aufrüstung, Baden-Württemberg, Kriegsvorbereitungen, Militarisierung, Stuttgart, Winfried Kretschmann - Hintergrund
Panzer statt Waggons: Zur Übergabe des Alstom-Werks in Görlitz an den Rüstungskonzern KNDS war am 6. Januar sogar Bundeskanzler Olaf Scholz (Mitte) angereist. (Foto: Bundesregierung/Guido Bergmann)

Weiter hieß es in dem Bericht: „Zu den Betrieben, die sich gerade aufmachen, neue Wege zu beschreiten, gehört etwa das Ditzinger Laserunternehmen Trumpf. Bislang regelt ein Gesellschaftervertrag von 2015, dass sich das christlich geprägte Familienunternehmen nicht an der Waffenproduktion beteiligt. Nun erwägt der Technologiekonzern die Entwicklung von Lasern zur Drohnenabwehr. Der letzte Stand ist, dass Trumpf bereits einen entsprechenden Laser getestet hat, der technisch in der Lage wäre, unbemannte Flugobjekte fluguntauglich zu machen.“

Unter der Überschrift „Hersteller und Zulieferer: Rüstungsgeschäft als Geschäftserweiterung“ befasst sich Willy Sabautzky in „analysen, fakten, argumente“ des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) mit der Daimler Benz Group und Daimler Truck. Er schreibt: „Daimler ist Mitglied im Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) und stellt militärische Fahrzeuge her, darunter Geländewagen, Unimogs und schwere Lastwagen.“ Der Konzern habe sich durch strategische Entscheidungen und Investitionen zu einem bedeutenden Anbieter im Verteidigungssektor entwickelt. Die Kombination aus technologischem Know-how und einer breiten Produktpalette mache das Unternehmen zu einem wichtigen Akteur in diesem Markt. Sabautzky zitiert dazu einen Werbeslogan von Mercedes-Benz auf den Waffenmessen: „Unsere größte Bestätigung ist das Vertrauen vieler Armeen. Seit mehr als 100 Jahren. In mehr als 80 Ländern.“ Der Artikel ist hier nachzulesen.

Mit Blick auf einen weiteren Automobilriesen berichtete das „manager-magazin“ am 27. März: „Porsche-Familie liebäugelt mit Einstieg in die Rüstungsindustrie.“ Die börsennotierte Holding Porsche SE, in der die Milliardärsfamilien Porsche und Piëch ihre Autobeteiligungen am Volkswagen-Konzern und der Porsche AG bündeln, habe ein schweres Jahr hinter sich. „Nach einem Verlust von 20 Milliarden Euro im vergangenen Jahr will die Holding der Eignerfamilien von Volkswagen und Porsche eine dritte Kernbeteiligung aufbauen (…) Das für das Portfoliomanagement zuständige Vorstandsmitglied Lutz Meschke sagte explizit, dass auch Engagements im Rüstungsbereich denkbar seien.“ Die Porsche SE will laut „manager-magazin“ eine „globale Investitionsplattform“ werden mit Fokus auf Industrietechnik und Mobilität. Es gebe dabei keine Berührungsängste mit der Rüstungsindustrie. So könnten die von Quantum Systems entwickelten Drohnen – an der Firma ist die Porsche SE seit 2024 bereits beteiligt – auch zur militärischen Aufklärung genutzt werden. Europa brauche Verteidigungsfähigkeit, um die Demokratie zu schützen, sowie mehr Unabhängigkeit von Asien und den USA.

Perverse „Nachhaltigkeits“-­Propaganda

Die deutsche Rüstungsindustrie drängt auch auf eine gesetzliche Förderung ihrer Investitionen zur Kapazitätserhöhung. Am 2. Januar zitierte die „Stuttgarter Zeitung“ Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie: „Wenn Deutschland – wie von der Regierung gefordert – bis 2029 kriegstüchtig werden soll, brauchen wir ein Rüstungsbeschleunigungsgesetz.“ Auch hier brauche es Erleichterungen für zügige Genehmigungen und weniger Berichtspflichten. Als Vorbild nannte er die Sonderregelungen für die Einrichtung der umweltschädlichen Flüssiggasterminals aus dem Jahr 2022.

Außerdem drängt die Industrie da­rauf, dass ihre Produkte in den EU-Richtlinien für die Bankenaufsicht und für die Berichtspflichten von Unternehmen als Beitrag zur Nachhaltigkeit eingestuft werden. „Denn genau das beinhalten Investitionen in Verteidigung, Resilienz und Sicherheit der EU“, so Atzpodi­en. Die Argumentation dahinter: Eine Rüstung, die NATO-Streitkräfte wie die Bundeswehr durchsetzungsfähig macht, sichere Frieden und Lebensgrundlagen der Bevölkerung und sei somit „nachhaltig“.

Rettung der Autoindustrie?

Teile der kriselnden deutschen Industrie hoffen auf neue Auftraggeber aus der Rüstung. Umgekehrt suchen die Rüstungskonzerne Fachkräfte und auch Fabriken, um die Produktion hochfahren zu können. Dabei will die Branche auch auf Beschäftigte der Fahrzeugindustrie zurückgreifen. Laut „SWR aktuell“ denken viele Unternehmen, vor allem aus der Auto- und Zulieferindustrie, über einen solchen Schritt nach. „Angesichts der wenig ausgelasteten Autofabriken und der hohen Nachfrage nach Rüstungsgütern hoffen Hersteller hier auf lukrative Geschäftschancen“, so „SWR aktuell“ am 3. März.

In Stuttgart betont das Traditionsunternehmen Bosch mit seiner großen Fahrzeugzuliefersparte zwar, dass es trotz Wirtschaftskrise und Stellenabbau „Abstand von der Rüstungsindustrie“ nehme. Die Online-Ausgabe der „Heilbronner Stimme“ zitierte Bosch-Chef Stefan Hartung am 27. März: „Die Gesamtlage ist nicht nur für Bosch herausfordernd, sondern für fast die gesamte Weltwirtschaft.“ Und weiter: „Wir wollen nicht, dass Bosch ein Rüstungsunternehmen wird, auch wenn es sich dabei um eine boomende Industrie handelt.“ Bosch tue gut daran, den Sektor nicht als strategisches Geschäftsfeld zu betrachten. Allerdings könnten die Fachkräfte für die Rüstungsindustrie inte­ressant sein. „Wo wir umstrukturieren müssen, unterstützen wir Mitarbeiter, die sich für den Wechsel in diese Branche interessieren.“ Bosch selbst setze vielmehr auf die Entwicklung rund um Künstliche Intelligenz. „Wir machen in diesem Feld als Land nicht alles selbst, können aber führend dabei werden, KI jetzt wirklich in vielen Produkten zum Einsatz zu bringen“, so Hartung. Das sei eine Riesenchance für Deutschland und auch für Bosch.

„SWR aktuell“ zitierte in der Sendung aber auch den Chef des Rüstungskonzerns Hensoldt, Oliver Dörre, aus einem Interview mit der Nachrichtenagentur „Reuters“: „Wir profitieren von den Schwierigkeiten in der Autoindustrie.“ Man sei in Gesprächen mit den Autozulieferern Continental und Bosch über die Übernahme von Beschäftigten. Das Unternehmen mit dem Stammsitz Taufkirchen/Ottobrunn bei München baut Hightech-Radare und Sensoren. Diese sind zur Luftverteidigung in der Ukraine im Einsatz. Hensoldt-Standorte in Baden-Württemberg gibt es in Ulm, Oberkochen (Ostalbkreis), Immenstaad am Bodensee und Pforzheim. Darüber hinaus könnte Hensoldt gewisse Komponenten per „Auftragsfertigung“ herstellen lassen. Die Aufträge gingen dann an Firmen, die bisher auf die Autobranche spezialisiert waren. „Dadurch würden wir der etablierten Basis der Automobilindustrie Auslastung zur Verfügung stellen“, so Dörre.

Sicherung von Arbeitsplätzen?

Die deutsche Illusion schon vor den letzten Weltkriegen, dass Aufrüstung mittelfristig Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze sichern könne, wird wieder gepflegt und teilweise sogar von Gewerkschaftsführern geteilt oder zumindest befördert.

So erklärte der Stellvertretende Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Kerner, in einem Interview mit den „Stuttgarter Nachrichten“ am 10. März zwar, es sei unrealistisch, „dass Rüstung den Automobilbereich als industrielles Zugpferd ablösen könne“. Und er betonte, „natürlich sei die IG Metall nach wie vor eine Organisation, die sich für Frieden einsetzt und eine klare Position hat: Wir wollen keine Aufrüstung auf der Welt“. Zugleich befürwortete er aber aufgrund der politischen Lage „einen deutlichen Ausbau der Rüstungsindustrie in Deutschland“ und forderte „einen industriepolitischen Plan für die wehrtechnische Industrie“. Dadurch könnten wie bei Alstom in Görlitz Arbeitsplätze gerettet werden. „Da wurden bisher Züge geschweißt – demnächst Panzerwannen. So hat man für 400 Menschen eine Anschlussbeschäftigung bei Krauss Maffei Wegmann gefunden.“

Private Schnäppchen für Reiche?

Nicht zuletzt wies die „Stuttgarter Zeitung“ ihre Leserinnen und Leser am 27. März auf die Möglichkeit hin, auch individuell am Geschäft mit der Kriegstüchtigkeit teilzuhaben: „Die Themen Sicherheit und Verteidigung rücken bei immer mehr Anlegern in den Fokus, wie der Boom bei Rüstungsaktien zeigt. Da scheint es auch verlockend, mit einem börsennotierten Indexfonds (ETF) daran teilzuhaben.“

Von allen guten Geistern verlassen?

Nach der Niederlage des deutschen Faschismus 1945, nach zwei verlorenen Weltkriegen, die vom deutschen Imperialismus mit seinem Eroberungsdrang vor allem nach Osten und gegen Russland beziehungsweise die So­wjet­union angezettelt worden waren; nach zig Millionen von Toten und angesichts der breitflächigen Zerstörungen auch unserer Städte waren sich in ganz Deutschland alle Menschen und demokratischen Kräfte darin einig,

  • dass niemals mehr ein Krieg von deutschem Boten ausgehen dürfe, schon gar nicht gegen das von den deutschen Armeen im 20. Jahrhundert schon zweimal verwüstete Russland;
  • dass sich eine deutsche Wiederbewaffnung, wenn überhaupt, strikt auf die unmittelbare nationale Landesverteidigung beschränken müsse;
  • dass die Entwicklung des Landes und der Wohlstand in einer „sozialen Marktwirtschaft“ niemals wieder von der Rüstungsindustrie und den Profiten der Rüstungsmonopole abhängen dürfe;
  • dass die Verfügung über genügend Arbeitsplätzen niemals wieder von der Rüstungsindustrie abhängig gemacht werden dürfe.

Das war auch in Stuttgart – mit seiner ausgelöschten Innenstadt – die erklärte Auffassung aller Parteien von der DVP/FDP über CDU und SPD bis hin zur damals noch nicht als „verfassungsfeindlich“ denunzierten KPD. Heute wollen uns Politikerinnen und Politiker, die interessierten Kapitalkreise und ihre offiziellen Medien das genaue Gegenteil der Lehren aus der Geschichte weismachen. Dabei ist offensichtlich eine systematische Gehirn- beziehungsweise Bewusstseinswäsche im Gang, als Teil der modernen und von der NATO ausdrücklich als eigenständiges Instrument anerkannten „kognitiven Kriegsführung“: Wir müssten um jeden Preis und maßlos aufrüsten – vor allem wieder gegen Russland.

211213 02 - Kriegsertüchtigung und Militarisierung in Baden-Württemberg - Aufrüstung, Baden-Württemberg, Kriegsvorbereitungen, Militarisierung, Stuttgart, Winfried Kretschmann - Hintergrund
Klare Ansage gegen Kriegswirtschaft und für zivile Produktion auf der 1.-Mai-Demonstration 2025 in Stuttgart (Foto: Christa Hourani)

Deutschland müsse die „westlichen Werte“ mit der NATO und notfalls auch ohne die USA nicht nur in ganz Osteuropa, sondern in der ganzen Welt bis hin zum Indopazifischen Ozean und auch in der Taiwanstraße „schützen“ – wenn nötig, auch mit Gewalt. Deutschland müsse mit einer boomenden Rüstungsindustrie „im Inte­resse der Wirtschaft“ und „unseres Wohlstands“ wieder eine „Technologieführerschaft“ übernehmen. Und nicht zuletzt: Auch die Vollbeschäftigung hänge von mehr Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie ab.

All dies wird erneut mit einer angeblichen Bedrohung durch Russland und einer angeblichen militärischen Unterlegenheit Deutschlands und Europas begründet. Genau das war doch auch schon Kern der Propaganda bei der faschistischen Aufrüstung Deutschlands ab 1933 und vor den Angriffen auf den Osten und den Überfall auf die So­wjet­union!

Dabei sind unsere Erkenntnisse von 1945, die Lehren, 80 Jahre nach der Befreiung von Faschismus und Krieg heute aktueller denn je:

  • Kriege sind heute angesichts der Verletzlichkeit entwickelter Gesellschaften wie Deutschland und angesichts der noch vielfach höheren Zerstörungskraft schon der nichtnuklearen Waffen nicht nur verbrecherisch. Sie werden objektiv immer selbstzerstörerischer und sinnloser.
  • Die wachsenden Konflikte in aller Welt mit genozidalen Kriegen, Hungersnöten, Umweltkatastrophen und Flüchtlingsströmen können unmöglich noch mit einseitigen westlichen oder deutschen Kriegseinsätzen „gelöst“ werden. Notwendig ist vielmehr die Wiederbelebung der Vereinten Nationen statt einseitiger westlicher oder gar deutscher Interventionen.
  • Die blindwütigen Investitionen in eine angebliche „militärische Sicherheit“ entziehen unserem Land die Mittel für die wirklich notwendige Wende hin zur Weiterentwicklung von Technologien, die nicht den Profiten, sondern den Menschen dienen. Das gilt vor allem für die Bereiche Bildung, Forschung und Produktion.
  • Dazu gehört auch die Wende hin zu einer friedlichen globalen Kooperation mit allen anderen Staaten, einschließlich Russland und China.
  • Nur so kann auch eine menschenwürdige Arbeitswelt entwickelt werden – abgesehen von den gerade auch aufgrund des technologischen Fortschritts notwendigen und machbaren Arbeitszeitverkürzungen gerade auch in der Fahrzeug- und Metallbranche.

Widerstand notwendig und möglich

Bei immer mehr Menschen wachsen Unbehagen und Misstrauen gegenüber der Regierungspolitik und den ihr hörigen Massenmedien. Unbehagen reicht nicht. Es ist notwendig, dass sich mehr Menschen Tag für Tag bei der Arbeit und im Bekanntenkreis, in den Medien, bei Aktionen und Demonstrationen dem Hochrüstungswahn in Deutschland entgegenstellen. Er dient wieder einmal vor allem der Erzielung von Maximalprofiten durch die Monopole. Für die Bevölkerung erhöht er nach innen die Verarmung und nach außen die Kriegsgefahr. Kriegsertüchtigung dient nicht der Entwicklung von Forschung, Technologie und Wirtschaft. Sie gefährdet den Frieden in jeder Hinsicht und nicht zuletzt die von den Kriegstreibern viel beschworene Demokratie.

Und Widerstand ist auch das beste Mittel, individuell noch leben und überleben zu können.

Will Putin Deutschland angreifen?
Die Lüge von der Bedrohung Deutschlands durch Russland und das „Monster“ Putin wird durch ständige Wiederholung nicht wahrer. Maßgebliche hohe deutsche Militärs mit jahrzehntelanger Erfahrung gerade auch im Umgang mit Russland sowie seinem Präsidenten Wladimir Putin widersprechen ihr regelmäßig. Auch wenn sie derzeit aus den Talkshows verbannt werden, sind ihre Stimmen zu hören. Zu ihnen gehören Harald Kujat, langjähriger deutscher Generalinspekteur und dann Vorsitzender des NATO-Militärausschusses und damit auch des NATO-Russland-Rats, und zum Beispiel Oberst a. D. Wolfgang Richter. Richter war jahrzehntelang für die Bundesregierung an den Rüstungsbegrenzungsverhandlungen und -vereinbarungen mit Russland und dann auch an den entsprechenden Inspektionen in Russland beteiligt.
Kujat und Richter bestreiten eine strategische Unterlegenheit Deutschlands und seiner europäischen NATO-Verbündeten, auch ohne die USA. Sie verweisen auch auf die schon bisher weitaus höheren Militärausgaben der NATO im Verhältnis zu Russland. Beide rechtfertigen zwar die russische Invasion in der Ukraine nicht, machen aber deutlich, dass die einseitige NATO-Osterweiterung seit den 1990er Jahren sowie das Aufkündigen von Rüstungsbegrenzungsabkommen die Sicherheitsinteressen Russlands verletzt haben. Das gilt vor allem für die Politik der USA seit Anfang der 1990er mit dem klaren Ziel, die Ukraine nicht nur wirtschaftlich und politisch zu kontrollieren, sondern auch gegen Russland aufzurüsten.
Beide berichten auch, dass sie in all den Jahren bis zur Invasion vom Februar 2022 Russland und auch Wladimir Putin als einen an realen Inte­ressen orientierten und insgesamt durchaus verlässlichen strategischen Partner erlebt haben. Sie sehen schließlich auch keine realen Anzeichen – geschweige denn ein strategisches Inte­resse – dafür, dass Russland Deutschland angreifen wolle oder könne. Kujat und Richter haben dazu in den letzten beiden Jahren zahlreiche Vorträge gehalten und Interviews gegeben. Hier nur zwei Beispiele:
„Der Ukrainekrieg, die Rivalität der großen Mächte und die Selbstbehauptung Europas“, Vortrag von Harald Kujat bei der Denkfabrik „Eurasien Gesellschaft“, dokumentiert auf den Nachdenkseiten mit weiterführenden Links.
„Aufbruch zum Frieden“, Video eines Vortrags von Bundeswehr-Oberst a. D. Wolfgang Richter am 25. Februar in Stuttgart über die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.

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"Kriegsertüchtigung und Militarisierung in Baden-Württemberg", UZ vom 23. Mai 2025



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