Zu verhinderten Rede vor der UNO

Machtverhältnisse

Die Russische Föderation, die im Oktober den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat hat, lud den früheren Generaldirektor der Organisation für das Verbot chemischer Waffe (OPCW), José Bustani, ein, vor dem Sicherheitsrat zu sprechen. Thema war die Frage, ob auf Druck von Mitgliedsstaaten hin ein Untersuchungsbericht zu einem angeblichen Einsatz von Chemiewaffen in der syrischen Stadt Duma am 7. April 2018 geändert wurde.

Die Ermittler der OPCW vor Ort hatten andere Ergebnisse gefunden, als von der Organisation veröffentlicht wurden. Leaks aus der OPCW haben deutlich gemacht, dass das offizielle Ergebnis manipuliert wurde, um die Schuld wie gewöhnlich der syrischen Regierung zuzuweisen. Bustani wollte in seinem Vortrag lediglich verlangen, dass die Ermittler gehört werden sollten.

Aber da kannten er die großen westlichen Demokratien schlecht. In wütenden und hämischen verbalen Angriffen verbaten sich die USA, Britannien, Frankreich und Deutschland den Vortrag. Es kam zu einer Abstimmung, ob Bustani gehört werden sollte, und die Sachlage war dabei so offensichtlich, dass sich lediglich sechs größere und kleinere westliche Demokratien gegen den Vortrag wandten. Russland, China und Südafrika wollten den Vortrag hören. Und wer könnte es Ländern wie Niger, Tunesien, St. Vincent und anderen verdenken, dass sie sich unter dem Druck der USA und der EU der Stimme enthielten. So wurde José Bustani ausgeladen.

Man mag es einen Skandal nennen. Aber in Wirklichkeit zeigt es nur die Machtverhältnisse. Die USA und ihre Verbündeten haben die Macht, Syrien zu bombardieren oder Sanktionen zu verhängen und wollen sich darüber nicht belehren lassen. Die EU und Deutschland sind vorne mit dabei.

Sobald im April 2018 die Raketen für weit über 100 Millionen Dollar auf Syrien abgefeuert waren, war klar: Niemals würde eine Untersuchung der OPCW ergeben können, dass jemand anderer als „Assad“ Chemiewaffen in Duma eingesetzt hat. Die OPCW musste sich „hinter einer unüberwindbaren Mauer aus Schweigen und Intransparenz verschanzen“, wie Bustani es formulierte.
Die OPCW oder andere internationale Organisationen sind Mittel in einem Kampf, der mit Medien, Bomben und Sanktionen geführt wird. Wer an ihre Neutralität glauben will, muss die Augen schon sehr fest geschlossen halten.

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"Machtverhältnisse", UZ vom 16. Oktober 2020



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