Alexander Dobrindt und die Neocon-Revolte

Mehr Thatcher als Spengler

Von Phillip Becher

Das mediale Echo war groß, als der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt als Begleittext für die  Klausurtagung seiner Partei zu Jahresbeginn in Springers Welt eine „bürgerlich-konservative Wende“ forderte (die UZ berichtete in ihrer letzten

Dobrindt: Mit der AfD steht mittlerweile ''eine Oppositionspartei in den Startlöchern, die Dobrindts Stichworte erfreut aufgreifen und ihn bei nächster Gelegenheit an diese erinnern wird, um die Regierung vor sich her zu treiben – weiter nach rechts.''

Dobrindt: Mit der AfD steht mittlerweile ”eine Oppositionspartei in den Startlöchern, die Dobrindts Stichworte erfreut aufgreifen und ihn bei nächster Gelegenheit an diese erinnern wird, um die Regierung vor sich her zu treiben – weiter nach rechts.”

Ausgabe). So ziemlich alles, was in diesem Land schiefgeht, lässt sich, so Dobrindt, ultimativ auf einen mythischen Gesamtnenner bringen: 1968. Die durch den damals ausgerufenen „Marsch durch die Institutionen“ zu „Schlüsselpositionen […] in Kunst, Kultur, Medien und Politik“ gelangten abgehobenen linken Eliten hätten, so Dobrindt, einen „ideologische[n] Feldzug gegen das Bürgertum, mit dem Ziel der Umerziehung der bürgerlichen Mitte“ entfacht. Doch die Rettung naht – und trägt blau-weißes Karomuster: Dobrindt läutet die Totenglocke für „linke Ideologie, sozialdemokratische[n] Etatismus und grüne[n] Verbotismus“. Zyklischer Geschichtsauffassung verpflichtet verkündet Dobrindt die Gewissheit: „Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservative Revolution der Bürger.“ Seine Partei kürt der Spezi der Automobilindustrie zur Unterstützerin und Stimme dieser „Revolution“. So weit also die Kernsentenzen der gesellschaftlichen Zustandsanalyse und den politischen Absichtserklärungen in dem von Dobrindt gezeichneten Elaborat.

Konservative Revolution?

Da war doch was. Und selbst oberflächlichen Beobachtern war es aufgefallen: Das Oxymoron „Konservative Revolution“ ist der nicht unumstrittene, weil in mehrerlei Hinsicht eine Selbstkennzeichnung aufgreifende, Sammelbegriff für eine durchaus heterogene Gruppe von Schriftstellern, Staatsrechtlern, Philosophen, Ökonomen, Wirtschaftskapitänen, Militärs und Politikern, mithin also Angehörigen der „Elite“, die in der Weimarer Republik unter dem Eindruck des zurzeit seinen hundertsten Jahrestag feiernden Revolutionszyklus und des durch diesen angetriebenen Fortschritts demokratischer Bewegungen eine vor allem mit dem Chiffre „Dekadenz“ verbundene Zeitdiagnose vertraten. Als prominente Vertreter dieser Strömung gelten unter anderem die Juristen Carl Schmitt und Edgar Julius Jung, der Kulturhistoriker Oswald Spengler und der Schriftsteller Ernst Jünger. Man heftete sich zwar das Signet der Revolution an, meinte aber das Gegenteil. „Die Errungenschaften der Novemberrevolution sollten wieder zunichte gemacht und die bürgerlich-parlamentarischen Regierungsmethoden beseitigt werden“, fasst der Historiker Joachim Petzold das konterrevolutionäre Programm der selbsternannten konservativen Revolutionäre zusammen. Die Wiederherstellung der als beeinträchtigt erachteten Stärke von Staat und Nation war das Leitmotiv des Unterfangens.

Ob die Person Alexander Dobrindt sich tatsächlich in vollem Umfang bewusst ist, welche Geister er oder die etwaigen Ghostwriter seines Essays mit dieser rhetorischen Reminiszenz an deutschnationale Herrenrunden der Zwischenkriegszeit beschwören, mag man zwar – nicht zu Unrecht – als unerheblich für die Bewertung des Schriftstücks und der sich an ihm entzündenden Diskussion betrachten. Dobrindts unübersehbare Grobschlächtigkeit einerseits korrespondiert allerdings andererseits damit, dass er, wie beim kritischen Nachhaken der ZDF-Journalistin Marietta Slomka im heute-journal am 5. Januar zu den konkreten Ausmaßen der anvisierten konservativen Revolution ersichtlich wurde, inhaltlich ziemlich schwach auf der Brust ist. Seine Antworten auf ihre nun wahrlich nicht radikalen Fragen bestanden aus sterilen Stehsätzen. Diese wurden zwar angedickt um ein falsch wiedergegebenes Zitat Franz Josef Strauß‘ („Konservativ sein, heißt an der Spitze der Bewegung zu marschieren“ laut Dobrindt, statt des Originals: „Konservativ sein heißt an der Spitze des Fortschritts zu marschieren“), das die, allerdings selbst schon zur Stand-Up-Comedy-Einlage geratene, notorisch bayernpatriotische Note des CSU-Politikers darstellen sollte. Zugleich kam keine von Dobrindts im ZDF dargebotenen Reizreaktionen – diese als „Antworten“ im engeren Sinne zu bezeichnen, würde den Sinngehalt des Begriffs entstellen – über den Politsprech hinaus, den kaum ein Mensch in diesem Land noch hören kann. Simplen Hinweisen Slomkas auf logische Widersprüche wie derjenige zwischen dem Konstatieren einer 50-jährigen „linken“ Meinungsherrschaft im Nachgang von ’68 einerseits und der Tatsache andererseits, dass schon 15 Jahre nach dem Schlüsseljahr ein Bundeskanzler Kohl in Westdeutschland die „geistig-moralische Wende“ ausrief, begegnete Dobrindt mit Allgemeinplätzen der Sorte: „Es ist wichtig, mal drüber zu sprechen!“ Dobrindt, in diesem Lichte betrachtet, begründet eine gewisse, sagen wir, Einfachheit zu unterstellen, sollte nicht mit einer etwaigen Verharmlosung seiner Figur verwechselt werden.

Legt sich die CSU das Instrumentarium der faschistischen Option bereit?

Dass Dobrindt den bundesdeutschen Konservatismus tatsächlich gerne tendenziell dem Reaktionären annähern möchte, hat er zu zahlreichen Gelegenheiten unter Beweis gestellt. Genannt sei hier beispielhaft für eine lange Reihe von Positionierungen, die man nur brutalstmöglich-euphemistisch als „Entgleisungen“ bezeichnen kann, da sie in Wahrheit eine klare Linie offenbaren, sein Vorstoß, ein Verbotsverfahren gegen die linkssozialdemokratische Partei „Die Linke“ zu erwägen. Dieses Ansinnen zeigt, was Demokraten von diesem Mann erwarten können: Nichts Gutes. Doch qualifiziert sich Dobrindt nun mit seiner Anrufung eines Topos der Alten Rechten als Spiritus Rector der Neuen? Zeigt sich anhand des von Dobrindt veröffentlichen Essays, dass sich die CSU, wie manche Beobachter glauben, das Instrumentarium der faschistischen Option bereitlegt?

In der Tat gehörten Exponenten der Konservativen Revolution zu den „Wegbereitern des deutschen Faschismus“ (erneut Joachim Petzold). Zahlreiche von ihnen schlossen sich nach der Machtübertragung im Januar 1933 den Nazis an, bereits zuvor hatten sie Gefallen am Mussolini-Regime in Italien als „Leitbildfaschismus“ (Kurt Gossweiler) der 1920er Jahre gefunden und die dort von den Schwarzhemden hergestellte gesellschaftliche Friedhofsruhe als Ordnungsideal verbrämt. Andere ihrer Vertreter gerieten im Sommer 1934 während der offenen Austragung des Richtungskampfes im deutschen Faschismus unter die Räder. Faschismus aber war und ist mehr als eine Ideologie oder ein Diskurs, in den man mit einem Zeitungsartikel eingreift, wie es Dobrindt nun jüngst getan hat. Natürlich kann die Verbreitung bestimmter Ideologien oder Ideologeme, herrschender oder noch nicht herrschender Gedanken, die Anwendung faschistischer Praktiken mehr oder weniger angeraten scheinen lassen. Sie alleine diktieren aber nicht den Lauf der Geschichte – sie sind für diesen freilich auch nicht unerheblich. Den Faschismus jedoch einzig und allein oder zuvorderst als Ideologie zu begreifen, führt weg vom Problem und seiner Lösung. Was sich unter Faschismus sinnvollerweise verstehen lässt, kann anhand eines Textes von Reinhard Opitz aus dem Jahre 1972, der in diesen Tagen auf dem Webauftritt der VVN-BdA NRW erneut veröffentlicht wurde, nachvollzogen werden: „Faschismus bedeutet Ablösung der bürgerlich-formaldemokratischen Staatsform durch ein Gewalt- und Willkürregime zur terroristischen Durchsetzung der innen- und außenpolitischen Interessen und Ziele der führenden Kreise des Monopolkapitals; bedeutet insbesondere die Unterdrückung und Zerschlagung jeglicher Opposition, vor allem der Arbeiterbewegung, bis hin zur physischen Vernichtung ihrer Kader.“ Eine faschistische Bewegung arbeitet bewusst und in der Regel in, frei nach Gramsci, reaktionär-subversiver Weise auf die Errichtung eines solches Regimes hin.

1928, das heißt zu einer Zeit, als unter Marxisten hingegen nicht immer Klarheit über das Wesen der mit Faschismus beschriebenen politischen Erscheinungen herrschte und der Begriff einstweilen einer inflationären Verwendung anheimfiel, schrieb der italienische Revolutionär Palmiro Togliatti, dessen 125. Geburtstag in wenigen Wochen wohl zu den weniger beachteten progressiven Jubiläen in diesem Jahr gehören wird: „Es ist zur Gewohnheit geworden, jede Form der Reaktion mit diesem Ausdruck zu bezeichnen. Ein Genosse wird verhaftet, eine Arbeiterkundgebung wird von der Polizei brutal zerschlagen, ein Gericht verurteilt Aktivisten der Arbeiterbewegung zu harten Strafen, die Rechte einer kommunistischen Parlamentsfraktion werden verletzt oder aufgehoben, kurz, bei jedem Angriff oder Übergriff auf die sogenannten demokratischen Freiheiten, die von den bürgerlichen Verfassungen sanktioniert werden, hört man den Aufschrei: ‚Das ist der Faschismus! Jetzt ist der Faschismus ausgebrochen!‘ […] Die Wirklichkeit sieht anders aus. Der Faschismus stellt eine besondere, spezifische Form der Reaktion dar, und es ist notwendig, dass wir genau erkennen, was diese seine Besonderheit ausmacht. Man braucht nicht zu meinen, dass diese Untersuchung nur notwendig ist, um zu einer objektiven und wissenschaftlichen Unterscheidung zu gelangen. Sie ist ebenso unerlässlich, um ein politisches Ziel zu erreichen, um genau zu bestimmen, welche Haltung wir gegenüber der gegenwärtigen Form des Faschismus einnehmen müssen und vor allem, wie wir uns in Zukunft, während der Periode der Vorbereitung und Entfaltung einer faschistischen Bewegung, zu verhalten haben.“ Soweit der Freund und Genosse Antonio Gramscis. Die Klarheit seiner Ausführungen und ihre Übertragbarkeit auf die politische Situation unserer Tage rechtfertigen die Ausführlichkeit des Zitates an dieser Stelle.

Wie sieht es also, in diesem Lichte betrachtet, aus mit Dobrindts Essay? Parallelen zu Topoi der historischen Konservativen Revolution sind vorhanden. In Dobrindts Zeichnung der von der Bevölkerung Galaxien entfernten linken Meinungsdespoten finden sich sanfte Anklänge an die „Herrschaft der Minderwertigen“, über die Edgar Julius Jung in den 1920er Jahren fabulierte. Dessen scharfe antiparlamentarische Konsequenzen will der Berufspolitiker Alexander Dobrindt jedoch sicherlich nicht mitgehen. Es nimmt daher kaum Wunder, dass die authentischen Erben der Konservativen Revolution in Deutschland heute, das insbesondere um die neurechte Zeitschrift „Sezession“ und das „Institut für Staatspolitik“ gruppierte Netzwerk, das das intellektuelle Hinterland der AfD bevölkert, Dobrindts Essay für ein reichlich lasches Dokument halten. Echos des von Zivilisationsekel geprägten Lamentos Oswald Spenglers über den „Untergang des Abendlandes“ findet man heutzutage eher bei Thilo Sarrazin und seinen periodisch auf den Markt geworfenen „Skandalbüchern“ und weniger in Dobrindts Aufruf zur „Wende“. Sein bürgerliches Manifest liest sich mehr wie ein bajuwarischer Aufguss des Neokonservatismus einer Lady Margaret Thatcher. Als Hauptbezugseinheiten des sozialen Lebens figurieren bei Dobrindt das Individuum und die Familie – etwas anderes gibt es laut Meistersoziologin Thatcher ja auch gar nicht. Der Einzelne als Leistungsträger muss sich, so Dobrindt, entfalten können. Das dürfte weitere staatliche Massageeinheiten für die starken Schultern der Kapitalseite verheißen – und Schläge in den Nacken für alle anderen. Eingebettet wird dieses vermeintliche Freiheitsgelöbnis in ein Sicherheitsversprechen, das wohl eher einer Drohung gleich kommt. Das Ganze wird umrahmt von den Referenzsystemen „Marktwirtschaft“, „Patriotismus“ und „christlich-abendländische Leitkultur“. Wie Letztere dazu beigetragen haben soll, dass Mädchen den Sportunterricht besuchen dürfen – genau diesen Zusammenhang stellt der ehemalige Verkehrsminister nämlich allen Ernstes her –, wird vorerst Dobrindts Geheimnis bleiben. Es sei denn, Slomka oder jemand anderes fragt mal bei Gelegenheit nach.

Der rhetorische Trick, autoritäre Bestrebungen als Ausfluss von Volkes Wille zu verkaufen, ist ein alter bürgerlicher Hut – und zugleich für sich genommen noch nichts spezifisch Faschistisches oder „Konservativ-Revolutionäres“.

Grund zum Zurücklehnen gibt es deshalb noch lange nicht. Mit dem von der CSU auf ihrer Jahresklausur beschlossenen Vorschlag, die seit dem G20-Gipfel im Juli durch den Äther geisternde Idee einer „europäische[n] „Extremistendatei – auch für Linksradikale“ tatsächlich praktisch anzugehen, zeigt sich, wohin Dobrindt und die Seinen möchten. Ob der mediale Schwung des Dobrindt-Papiers das Gewicht der „erkennbare[n] Volkspartei Deutschlands“ in den GroKo-Verhandlungen erhöhen wird, muss sich noch erweisen. Zumindest umfragetechnisch hat sich seit der Bundestagswahl für die Christsozialen wenig getan. Derweil steht mit der AfD allerdings eine Oppositionspartei in den Startlöchern, die Dobrindts Stichworte erfreut aufgreifen und ihn bei nächster Gelegenheit an diese erinnern wird, um die Regierung vor sich her zu treiben – weiter nach rechts. Jenseits von Wahlterminen und Regierungsbildungen zeigt sich daher: die einzig vernünftige Antwort auf Dobrindts Ansinnen einer „bürgerlich-konservativen Wende“ bleibt als Ausbruch aus der Spirale der Stamokap-Dilemmata das Ringen um eine Wende zu sozialem und demokratischem Fortschritt.

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"Mehr Thatcher als Spengler", UZ vom 19. Januar 2018



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