Deutscher Ärztetag fordert Impfpflicht, Ärzte fehlen

Pieksen in die Luft

Von Christoph Hentschel

Der Deutsche Ärztetag fordert eine generelle Impfpflicht, um einen möglichst lückenlosen Impfschutz zu garantieren. Vergangene Woche tagten die 250 Delegierten in Münster und begrüßten das Vorhaben von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), wonach künftig alle Mediziner Schutzimpfungen durchführen dürfen. Bislang sind Fachärzte dabei an ihre Gebietsgrenzen gebunden. Darüber hinaus sprach sich die Fachkonferenz für die Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht gegen Masern aus, wie sie Spahn ab 2020 plant. Sie soll für Kinder, Kita- und Schulpersonal sowie für Beschäftigte medizinischer Einrichtungen gelten. Im Vorfeld der dreitägigen Tagung warnte das „Europäische Zentrum für Krankheitsprävention und -kontrolle“ (ECDC) vor einer in Europa weiterhin bestehenden Gefahr von Masernerkrankungen. Zwischen Januar 2016 und März 2019 seien auf dem gesamten Kontinent mehr als 44 000 Fälle gemeldet worden. Das ECDC spricht von einem „unnötigen Risiko für viereinhalb Millionen Kinder und Teenager, an Masern zu erkranken“, weil in Europa nicht die derzeitigen globalen Impfquoten erreicht würden. Seit Jahren nehme die Impfabdeckung ab, so dass die Masern ein Gesundheitsrisiko blieben. EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis beklagt, dass die Masern nach der Zielsetzung der Weltgesundheitsorganisation auf europäischem Gebiet bereits bis zum Jahr 2000 hätten ausgerottet sein sollen. „Trotzdem ist Europa weiter weit davon entfernt, ein masernfreier Kontinent zu sein.“

Bis 1983 galt in der BRD eine Impfpflicht gegen die dann ausgerotteten Pocken. Seitdem besteht kein Impfzwang mehr in der BRD. In der DDR bestand eine Impfpflicht im Kindes- und Jugendalter. Diese wurde nach der Einverleibung der DDR durch die BRD aufgehoben. Obwohl sich „Krankheiten wie Masern und Röteln nur mit einer Impfpflicht ausrotten“ lassen, sagte Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Dass dies möglich sei, habe in der Vergangenheit die verpflichtende Pockenimpfung gezeigt. Medial sind sogenannte Impfgegner sehr präsent. Jedoch sind über 90 Prozent der Kinder in Deutschland geimpft, aber meist unzureichend. Die „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ warnt, dass viele Kinder die notwendige zweite Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln nicht erhalten.

In ländlichen Gebieten und in finanziell schwachen Bezirken der Großstädte fehlen immer mehr Allgemein- und Kinderärzte. Alleine in Altenessen im Essener Norden kommen 10000 unter 18-Jährige auf gerade mal zwei Kinderärzte. Die Folge: Wartezeiten von zwei bis drei Stunden für Eltern mit fiebrigen Kindern und Wartezeiten auf Termine – unter anderem für Regelimpfungen – bis zu drei Monaten. 1158 Kinder unter 14 Jahren leben in Karnap, einem Teil von Altenessen, und haben in ihrem Stadtviertel keinen Zugang zu einem Arzt. Sie und ihre Eltern müssen für einen Arzttermin kilometerweit fahren. „Viele Hartz-IV-Empfänger haben gar kein Auto und für eine alleinerziehende Mutter mit mehreren Kindern ist ein Besuch eines weiter entfernten Arztes kaum zu koordinieren“, sagt der Essener Gesundheitsamtsleiter Rainer Kundt. Zudem sei „im Norden die Klientel viel schwieriger und es gibt weniger Privatpatienten – das kann bei vielen Ärzten den Ausschlag geben, wo sie sich niederlassen“. Im wohlhabenden Bredeney im Essener Süden kommen gerade mal 386 Kinder auf einen Arzt. Im gesamten südlichen Bezirk, zu dem Bredeney gehört, kommen fünf Mediziner auf 5 600 Mädchen und Jungen. Hinzu kommen hier diverse Spezialisten wie Kinderpsychologen.

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"Pieksen in die Luft", UZ vom 7. Juni 2019



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