Proteste bei Gesundheitsministerkonferenz: Beschäftigte fordern Abschaffung der Fallpauschalen

Bodensee statt Lauterbach

Ver.di hatte anlässlich der Gesundheitsministerkonferenz (GMK), die am 5. Juli in Friedrichshafen stattfand, zum Protest gerufen. Er war überaus beeindruckend, weil kreativ und kämpferisch. Zudem hatten die über 600 Beschäftigten aus allen Bereichen des Gesundheitswesens, die zum Protest an den Bodensee gekommen waren, sichtlich Spaß. Viele kamen aus Baden-Württemberg und anderen südlichen Bundesländern angereist – per Bus, Fahrrad, Zug oder Katamaran.

Nur wenige Tage später konnte der Bundesgesundheitsminister eine Einigung mit den Ländern verkünden. Ein Eckpunktepapier zur Krankenhausfinanzierung wurde am Montag präsentiert. Lauterbach sprach wieder einmal von einer „Art Revolution“, mit der er das Gesundheitssystem umkrempeln wolle. Kritiker verwiesen darauf, dass das System der Finanzierung durch Fallpauschalen nicht konsequent abgeschafft werde und weiteren Häusern die Schließung drohe. Einige von ihnen werden es aufgrund der derzeitigen Unterfinanzierung noch nicht einmal bis zur vorgesehenen Umsetzung der Lauterbachschen Krankenhausreform schaffen.

Zurück nach Friedrichshafen: Hier setzten die Protestierenden den Gesundheitsministern die Forderung nach „Gemeinwohl statt Profit – Solidarität statt Wettbewerb“ entgegen. Dieses Motto solle als Kompass für die Gesundheitsrevolution dienen. Kolleginnen und Kollegen aus Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Psychiatrien, Rettungsdiensten und anderen Gesundheitseinrichtungen forderten zudem mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen und die Abschaffung der Finanzierung nach Fallpauschalen. „Mehr von uns ist besser für alle“ – war eine beliebte Parole. Gleich zu Beginn der Demonstration, noch auf dem Busparkplatz, wurden die Fallpauschalen (DRGs) symbolisch entsorgt. ver.di-Aktive warfen bei einem Aktionstheater unter großem Beifall schwarze Würfel über die Planke, auf denen stand: „DRG“, „Konkurrenz und Wettbewerb“, „Dividenden“.

Auf ihren selbstgemalten Transparenten forderten die Beschäftigten unter anderem tarifliche Bindung, gute Arbeit und gute Löhne, notwendige Investitionen in Krankenhäuser sowie „100 Milliarden für den Krieg? Nein! Stattdessen für Gesundheit!“ Beeindruckend war, dass einige Beschäftigte aus der Altenpflege die 640 Kilometer von Dresden nach Friedrichshafen mit dem Rad zurückgelegt hatten. Ihr Motto: „Kein Weg zu weit für gute Pflege“. Auf die Frage des Vorsitzenden des ver.di-Bundesfachbereichsvorstands, Johannes Hermann, der die Tour initiiert hatte, ob die Tour anstrengend war, kam die klare Aussage: „Jahrzehnte in der Pflege zu arbeiten mit zu wenig Personal – das ist wirklich anstrengend.“

Mehr als 2.500 Beschäftigte, die nicht zur Gesundheitsministerkonferenz reisen konnten, sandten einen Notruf. Sie dokumentierten schriftlich, welche Folgen die Personalnot für sie und für die Versorgungsqualität hat. „Das sind Gefährdungsanzeigen an die verantwortlichen Landespolitiker“, erläuterte die Fachkrankenschwester Jana Langer aus Ulm. Die Zettel füllten mehrere Kisten, die Bayerns Gesundheitsminister übergeben wurden.

„Das Gesundheitswesen dem Markt und Wettbewerb zu überlassen war politisch falsch. Die Ökonomisierung hat zu Tarifflucht und Personalabbau geführt, die Berufsflucht ist eine Folge davon. Die schlechte Personalausstattung ist auch gefährlich für Patienten und pflegebedürftige Menschen“, sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. „Das Ruder muss jetzt rumgerissen werden. Statt um Profitmaximierung muss es wieder um das Gemeinwohl gehen.“ Die von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vorgesehene Kürzung des Gesundheitsetats im Umfang von einer Milliarde Euro sei „absolut kontraproduktiv und zynisch“. Dass ausgerechnet im Gesundheitsetat der Rotstift angesetzt werde, habe ihr die Sprache verschlagen, so Bühler. „Wir werden uns nicht damit abfinden, dass die Gesundheitspolitik vom Finanzminister gemacht wird!“

Dutzende Kolleginnen und Kollegen wagten sich trotz frischem Wind und Nieselregen mit rotweißen Rettungsringen und Transparenten in den Bodensee. Sie wollten deutlich machen, dass den Beschäftigten das Wasser bis zum Hals steht. Vinzent Leuze, Pflegeazubi von den Rems-Murr-Kliniken, der für die ver.di-Fachbereichsjugend sprach, stellte den Zusammenhang zwischen Krieg und Daseinsvorsorge her: „Wir wollen kein Geld für Krieg und Waffen, wir wollen eine gute öffentliche Daseinsvorsorge. Wir wollen einen Lohn, der zum Leben reicht. Wir wollen eine gute Ausbildung!“

Bundesgesundheitsminister Lauterbach und Manfred Lucha (Minister für Soziales, Gesundheit und Integration in Baden-Württemberg), die bei den Protestierenden vorbeischauten, um für ihre Reformpläne zu werben, kamen nicht gut an. Sie wurden mit Pfeifkonzert und Buhrufen empfangen und mit Zwischenrufen immer wieder unterbrochen.

Rundum ein gelungener Aktionstag und eine klare Ansage, wie eine Gesundheitsrevolution im Interesse der Beschäftigten und der Patienten aussehen sollte.

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"Bodensee statt Lauterbach", UZ vom 14. Juli 2023



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