Jan von Hagen zu Lauterbachs Krankenhausreform

Das Kliniksterben ist einkalkuliert

„Es ist gut, dass die Bundesregierung in Sachen Krankenhausreform aufs Tempo drückt. Der heute vorgelegte Gesetzentwurf muss allerdings deutlich nachgebessert werden, um das zentrale Ziel zu erreichen: eine bedarfsgerechte, wohnortnahe und am Gemeinwohl orientierte Gesundheitsversorgung.“ So äußerte sich Sylvia Bühler, ver.di Vorstandsmitglied für den Gesundheitsbereich, Mitte Mai zur Krankenhausreform der Bundesregierung. Und weiter: „Die Zeit drängt. Etliche Krankenhäuser sind in ihrer Existenz gefährdet, Fachabteilungen müssen schließen – weil sie sich nicht rechnen.“ Es dürfe nicht sein, dass bedarfsnotwendige Kliniken schließen müssten, noch bevor die Reform greife, so Bühler.

Über vier Monate später – und fast zwei Jahre nach Lauterbachs Ankündigung zur Revolution – ist das Gesetzgebungsverfahren nach Streit zwischen Bundesrat und Bundestag am Mittwoch (nach Redaktionsschluss) Beratungsgegenstand im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Die Verzögerungen des „Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes“ (KHVVG), das der Krankenhausreform den Rahmen gibt, sind selbst dem Bundesverband der AOK eine „unabgeschlossene Chronik“ wert (online abrufbar unter: kurzlinks.de/khvvg). In der Einleitung zu dieser Chronik steht, damit werde gezeigt, „wie ein ursprünglich gemeinsam angedachtes Projekt im Hin und Her der unterschiedlichen Inte­ressen von Bund und Ländern zerrissen wird“.

Sowohl der ver.di- als auch der AOK-Vorstand irren in den Maßstäben, die sie an das Gesetzgebungsverfahren anlegen. Für ver.di unterstellt Bühler, dass das Ziel der Bundesregierung eine „bedarfsgerechte, wohnortnahe und am Gemeinwohl orientierte Gesundheitsversorgung“ sei. Und die AOK sieht ein zentrales Problem im Agieren der föderalen Instanzen. Beide müssen sich damit den Vorwurf gefallen lassen, selbst Teil des Problems zu sein, indem sie ihren Mitgliedern das übergeordnete Ziel der Krankenhausreform verschweigen: Eine radikale Marktbereinigung mit einer deutlichen Reduzierung von Krankenhaus­standorten und ein weiteres Öffnen des Gesundheitssystems für Privatisierungen und Profite. Und dieses Ziel lässt sich am besten erreichen, wenn auf dem Weg zu einer veränderten Krankenhauslandschaft schon vielen Krankenhäusern und Abteilungen finanziell die Luft ausgegangen ist und sie geschlossen oder zumindest maßgeblich verkleinert wurden.

Mit Ausnahme der Unikliniken und vergleichbar großer Kliniken sorgt man damit für Verunsicherung bei den Belegschaften. Wenn die Drohung einer Krankenhausschließung den eigenen Arbeitsplatz betrifft, wird der tägliche Kampf um bessere Arbeitsbedingungen im Betrieb und um Löhne und Arbeitszeiten in den Tarifrunden schnell in den Hintergrund gedrängt. Gerade bei den kommunalen Krankenhäusern wird dies in der Tarifrunde im Frühjahr 2025 eine Waffe der Arbeitgeber sein: Du willst doch nicht streiken, wenn nicht klar ist, ob unser Haus überlebt. Und das Geld für alles Soziale wird im Rahmen der Haushaltspolitik auch immer weniger, das trifft auch uns Krankenhäuser.

Hier ist es Aufgabe der Gewerkschaft ver.di, sowohl die Krankenhausreform als auch die Haushaltspolitik einzuordnen und den Zusammenhang zwischen Aufrüstungspolitik und Sicherung von Konzerngewinnen mit dem sozialen Kahlschlag herzustellen, der uns nicht nur in den Krankenhäusern erwartet.

Trotz aller gewollten und kalkulierten Verzögerungen wird das Ziel der Bundesregierung sein, in ihr Schicksalswahljahr 2025 mit der Botschaft einzusteigen, dass diese Bundesregierung „die größte Krankenhausreform aller Zeiten“ auf den Weg gebracht hat. Die Zeit bis Januar 2025 wird reichen, damit bis dahin und auch in den ersten Jahren danach noch genug Krankenhäuser abgewickelt werden. Der Widerstand dagegen kann nur gelingen, wenn er mit der sozialen Frage und dem Kampf gegen Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit verbunden wird. Ohne dieses Element wird jede Krankenhausschließung die Spaltung der Beschäftigten und der Bevölkerung in sich tragen. Gesuchtes Personal findet andere Arbeitsplätze, anderen droht die Arbeitslosigkeit. Je mehr Einkommen ein Haushalt hat, desto einfacher ist es, auf das erreichbare Krankenhaus im Stadtteil oder der kleinen Kreisstadt zu verzichten.

Mit der aktuell letzten Entscheidung zur Finanzierung der Krankenhausreform ist eine weitere Spaltung und damit ein Angriff auf die Beschäftigten schon eingepreist: Die Kosten von 50 Milliarden Euro für den geplanten Fonds zum Umbau der Klinik­landschaft sollen zur Hälfte aus Steuergeldern und zur Hälfte von den gesetzlich Versicherten gezahlt werden. Dass den Privatversicherten damit das zukünftige Krankenhaussystem gesponsert wird und die gesetzlich Versicherten doppelt bezahlen sollen, geht selbst der Bundeschefin der AOK zu weit: Es wäre ein Gebot der Fairness, auch die Privatversicherten am Anteil dieser Kosten zu beteiligen. Ein guter Anknüpfungspunkt für die ver.di-Forderung nach einer Bürgerversicherung, in die alle Bürgerinnen und Bürger einzahlen würden.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Das Kliniksterben ist einkalkuliert", UZ vom 27. September 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Schlüssel.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit