Finanzministerium verweigert Ehrenpension

Rentenkürzung für NS-Verfolgte

Von Nina Hager

Vor etwa zwei Wochen wurde bekannt, dass André Baumann, der Sohn des am 5. Juli im Alter von 97 Jahren in Bremen verstorbenen Kriegsgegners und Friedenskämpfers Ludwig Baumann, kürzlich eine Nachzahlungsforderung der Generalzolldirektion Köln erhalten hatte. Er soll 4 100 Euro zahlen, die sein Vater als Verfolgter des Nazi-Regimes angeblich zu viel erhalten habe. Grund sei, dass sein Vater – der war 1942 desertiert, wurde gefasst, saß zehn Monate in der Todeszelle, wurde dann „begnadigt“ und überlebte trotz KZ, Zuchthaus und Strafbataillon – seinen Umzug in ein Pflegeheim nicht rechtzeitig mitgeteilt hatte. Damit wurde ein skandalöser Umgang mit den noch lebenden – anerkannten – Verfolgten und Kämpfern gegen das Nazi-Regimes öffentlich. Denn wenn diese, so die Regelung, in ein Pflegeheim kommen, kann die Opferrente um fast die Hälfte gekürzt und in ein „Heimtaschengeld“ umgewandelt werden, weil die Betroffenen ja im Heim angeblich „voll“ versorgt würden. Diese Kürzung wurde 2014 vom Finanzministerium unter Wolfgang Schäuble (CDU) nach einer Änderung bei den Härtefallrichtlinien des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG) umgesetzt.

Das Ganze ist kein bürokratischer Akt. Der Vorgang zeigt, wie heute noch in diesem Land mit der faschistischen Vergangenheit und jenen, die verfolgt wurden, umgegangen wird. Und der Sozialdemokrat Scholz hat damit heute offensichtlich kein Problem. Jedenfalls hat er sich zur Kürzung und dem aktuellen Vorgang offenbar bislang nicht geäußert. Noch im November 2015 hatte der heutige Vizekanzler und Bundesfinanzminister, damals Hamburgs Erster Bürgermeister, gemeinsam mit Ludwig Baumann ein Denkmal für Deserteure eingeweiht.

Jan Korte, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer, und Ulla Jelkpe, Innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Linkspartei im Bundestag, nannten am 1. August in einer Presseerklärung die Regelung „beschämend und diskriminierend“. „Wir fordern, dass die Opferrenten für Heimbewohner nicht gekürzt werden und das Finanzministerium auf jegliche Rückzahlungsforderungen verzichtet“, erklärten Korte und Jelpke. Bei der Opferrente handele es sich um einen „Ausgleich für das erlittene Unrecht“. Dieses werde nicht geringer, wenn der Überlebende in ein Heim umzieht. Und sie erinnerten: „Das Unrecht wird vielmehr noch größer, wenn ein Staat, der sich jahrzehntelang geweigert hat, überhaupt irgendeine Entschädigung zu zahlen und der die verantwortlichen NS-Täter größtenteils ungeschoren ließ, den Opfern im hohen Alter die Leistungen wieder zusammenkürzt.“ Sie hätten noch hinzufügen können, dass im Westen Deutschlands den Tätern großzügige Pensionen gewährt wurden. Und dass Kommunisten, die zu den ersten gehörten, die entschiedenen Widerstand geleistet hatten, die verfolgt und eingesperrt wurden, als angebliche Feinde der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ keine Entschädigungszahlungen erhalten konnten. Das Bundesentschädigungsgesetz von 1956 (rückwirkend zum 1. Oktober 1953 verabschiedet) verwehrte zudem „Edelweißpiraten“ Zahlungen. Betroffen war auch ein Großteil der Sinti und Roma. Der Bundesgerichtshof behauptete in seinem Skandalurteil vom 7. Januar 1956 (AZ IV ZR 211/55), Sinti und Roma seien aufgrund ihrer „asozialen“ Eigenschaften und nicht aus rassischen Gründen verfolgt worden. Betroffen waren ebenso Homosexuelle, aber auch Euthanasiegeschädigte. Es dauerte teilweise fast 50, 60 Jahre, ehe vielen jener, die noch lebten, Gerechtigkeit widerfuhr, manchen bis heute nicht. Regelungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz waren lange vor der „Wende“ ausgelaufen; es gibt nur noch Härtefallregelungen. Zwar gab es bis 2009 diverse weitere Regelungen – damals wurden schließlich auch die wegen „Kriegsverrats“ verurteilten Opfer der faschistischen deutschen Militärjustiz rehabilitiert –, doch es sind immer noch nicht alle Opfer des Nazi-Regimes anerkannt.

Nach 1990 wurden zwar Ansprüche aus der DDR übernommen, aber Kämpfern gegen den Faschismus die Ehrenpension gekürzt, sie wurden mit allen anderen Opfern des Nazi-Regimes gleichgestellt. Gravierender war jedoch, dass – entsprechend des Einigungsvertrages – zugleich Regelungen geschaffen wurden, um Entschädigungsrenten zu verweigern, abzuerkennen oder zu kürzen. In alter antikommunistischer Tradition wurden in der Folge früheren SED- und DDR-Staatsfunktionären Ehrenpensionen aberkannt. Dazu wurde beispielsweise im März 1997 innerhalb weniger Tage ein Gesetz geändert und im Bundestag abgenickt. Nur die PDS-Abgeordneten stimmten damals dagegen, die Grünen enthielten sich.

Nachdem der jetzige Skandal öffentlich wurde, teilte ein Sprecher von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) nur mit, dass eine Änderung der bestehenden Regelung „nicht vorgesehen“ sei. Die Fraktion der Partei „Die Linke“ will das Thema nach der Sommerpause in den Bundestag einbringen.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Rentenkürzung für NS-Verfolgte", UZ vom 17. August 2018



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