„Selber tun!“

Markus Bernhardt im Gespräch mit Arnold Schölzel, Chefredakteur der Tageszeitung "junge Welt"

UZ: Die Internationale Rosa Luxemburg-Konferenz, die am 9. Januar in der Berliner Urania stattfinden wird, steht unter dem Motto „Kein Gott, Kein Kaiser, Kein Tribun. Selber tun!“. Vor welchen Aufgaben sehen Sie die politische Linke in diesem Land, was sollte sie „selber tun“?

Dr. Arnold Schölzel ist Chefredakteur der Tageszeitung junge Welt

Dr. Arnold Schölzel ist Chefredakteur der Tageszeitung junge Welt

( sdaj münchen)

Arnold Schölzel: 2014 und 2015 stand die Konferenz im Zeichen des Kampfes gegen imperialistische Kriege. Das hatte mit der sprunghaft gewachsenen Gefahr eines großen Konfliktes des Westens vor allem mit Russland zu tun, aber auch damit, dass große Teile der deutschen Linken sowohl in Bezug auf den Interventionskrieg in Syrien seit 2011 wie auf den in der Ukraine seit der Putschvorbereitung in Kiew Ende 2013 auf sogenannte Äquidistanz gegangen waren. Konservative und liberale Politiker in den USA und in anderen NATO-Staaten waren bei der Analyse der Kriegsursachen nicht selten genauer und ergriffen Partei für die Angegriffenen.

Aus unserer Sicht kam aber auf den Konferenzen zu kurz, was es an praktischen Erfahrungen im Kampf gegen diese Kette von Kriegen, die häufig kolonialen Charakter tragen, gibt. Es soll im Januar 2016 also vor allem um die praktischen Erfahrungen von Protest, Widerstand und Kampf gegen Krieg und Faschismus, der sich in seinem Gefolge erhebt, gehen – weltweit und hierzulande. Es gibt diese Kämpfe und diesen Widerstand in vielfältiger Form – vom revolutionären Kuba bis zu den Antifaschisten hierzulande. Das möchten wir widerspiegeln und Mut machen. Im Sinne von Brechts „Aufbaulied der FDJ“: „Besser als gerührt sein ist: sich rühren,/denn kein Führer führt aus dem Salat!“ Das ist mit dem Motto aus der „Internationale“ gemeint.

UZ: Was werden ansonsten die politischen Schwerpunkte der Konferenz sein?

XXI. Rosa Luxemburg-Konferenz

9. Januar 2016, Einlass 10 Uhr

Urania Berlin

www.rosa-luxemburg-konferenz.de/de/

Arnold Schölzel: Die Konferenz findet fast genau ein Jahr nach der Freilassung der Cuban Five statt. Und wir freuen uns besonders, dass Gerardo Hernández in Berlin sein wird, als erster der fünf Helden, der die Bundesrepublik besucht. Das ist eine große Ehre. Kuba und die Solidarität mit seiner Revolution hatte auf den Rosa-Luxemburg-Konferenzen stets einen besonderen Platz. Diesmal sind neben Gerardo auch Genosse Alpidio Alonso Grau, ein Schriftsteller und Politiker, sowie der Fotograf Roberto Chile aus Kuba in Berlin.

Das unterstreicht, welche Bedeutung aus unserer Sicht dieses Land international und für die deutsche Linke hat. Die ist ein weiterer Schwerpunkt. Dafür stehen das Referat von Sahra Wagenknecht und die Podiumsdiskussion mit Esther Bejarano, Ellen Brombacher, Lena Kreymann und Dieter Frielinghaus. Mit Genossen Aydin Cubukcu, der fast 20 Jahre in türkischen Gefängnissen verbrachte, haben wir einen Referenten gewonnen, der uns über Krieg und Bürgerkrieg und den Widerstand in der Türkei berichten wird. Und nicht zuletzt wird es um Antifaschismus gehen, dazu sprechen Natascha Strobl aus Österreich und Esther Bejarano, die Auschwitz-Überlebende.

UZ: Die traditionelle Podiumsveranstaltung gegen Ende der Konferenz trägt die Überschrift „Kröten schlucken oder Zähne zeigen: Ist die Linke noch zu retten?“. Zu welchem Schluss kommen Sie persönlich?

Arnold Schölzel: Dass es historisch immer eine Alternative zu Anpassung bis zur Bedeutungslosigkeit und zur Unterwerfung gibt. Aber die stellt sich nicht von allein her. Sie setzt aus meiner Sicht Illusionslosigkeit bei der Analyse der Verhältnisse voraus, die Fähigkeit, Wunsch von Wirklichkeit zu unterscheiden, und sich nicht vom Druck der Zustände in Resignation oder Passivität treiben zu lassen, aber Gelassenheit zu bewahren. Die Gefahr von Resignation oder Passivität besteht beim Publikum der Konferenz erfahrungsgemäß weniger, aber die Geister scheiden sich an konkreten Fragen. Ich will nur das Stichwort „Regierungsbeteiligung“ nennen, hinter dem ja ein allgemeines Problem steckt. Es lässt sich mit Eduard Bernsteins Formel „Das Ziel ist mir nichts, die Bewegung alles“ umreißen.

Da geht es heute um die Ersetzung von wissenschaftlicher Analyse durch politische Esoterik. Die Vorstellung, den Sozialismus mit Hilfe des Imperialismus oder wenigstens die Verschönerung des Imperialismus bewerkstelligen zu können, gehört dazu. Ich halte das für eine gefährliche Illusion, für einen Ausdruck des herrschenden Irrationalismus in der Linken. In Zeiten einer epochalen Niederlage des Sozialismus, in einer Dimension, die jede bisherige Reaktionsperiode in den Schatten stellt, gilt das besonders.

UZ: Das radikalere linke Spektrum in der Bundesrepublik scheint sich in einer Dauerkrise zu befinden. Was sind die Gründe?

Arnold Schölzel: Für erfolgreiche Strategien des Rückzugs gibt es sehr wenige Vorbilder. Der portugiesische Revolutionär Alvaro Cunhal beherrschte sie meisterhaft. Die Linken in der Bundesrepublik – die revolutionäre wie die reformistische – haben die genannten Themen nicht vernachlässigt, zumal nicht die DKP und viele Marxisten in der Partei „Die Linke“. Aber wenn in solchen Kriegen wie denen in Syrien und der Ukraine auf einmal bei großen Teilen der Linken keine klare Haltung erkennbar ist, darf sich niemand wundern, wenn die Rechten bis hin zu Faschisten den freiwerdenden Platz besetzen. Da wird im Handumdrehen aus der Unterdrückernation Deutschland – siehe Griechenland, siehe die deutsche Hegemonie in der EU – eine vom US-Imperialismus unterdrückte, unsouveräne Nation – ein demagogischer Witz, der aber verfängt. Die soziale Frage hat die sogenannte radikale Linke in der Bundesrepublik aus meiner Sicht nie besonders interessiert, in der Linkspartei spielen die „Haltelinien“ Oskar Lafontaines eine immer geringere Rolle. Da scheint mir das Problem zu liegen.

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"„Selber tun!“", UZ vom 18. Dezember 2015



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