Gewerkschaften und Sozialverbände erhöhen Druck auf die Parteien

Soziale Gerechtigkeit gefordert

Von Markus Bernhardt

Karikatur der SP der Schweiz – 19. Jahrhundert

Karikatur der SP der Schweiz – 19. Jahrhundert

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft nunmehr schon seit Jahren immer weiter auseinander. Während die reichsten zehn Prozent der Bundesbürger weit mehr als die Hälfte des gesellschaftlichen Reichtums besitzen, hat die untere Hälfte gerade mal ein Prozent an Vermögen. Armutsrenten, soziale Unsicherheit und mangelhafte Gesundheitsversorgung prägen den Lebensalltag nicht weniger Menschen. Ganze Regionen, wie Teile des Ruhrgebiets, gelten mittlerweile als abgehängt. Wirksame Gegenmaßnahmen der etablierten Politik? Fehlanzeige!

Um den politischen Druck auf die Parteien zu erhöhen, sich endlich mehr für soziale Gerechtigkeit stark zu machen, mischen sich daher zunehmend Sozial- und Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften in den Endspurt des Bundestagswahlkampfes ein. So will etwa das Bündnis „Reichtum umverteilen – ein gerechtes Land für alle!“ am 16. September 2017 einen bundesweiten Aktionstag durchführen und dort unter anderem für mehr Steuergerechtigkeit werben. „Der Staat steht vor großen Herausforderungen, doch den politischen Entscheidungsträgern fehlt der Mut, sich mit den Topverdienern und Besitzenden großer Vermögen anzulegen“, kritisiert das Bündnis in seinem Aufruf zu den Protesten.

Der Paritätische Gesamtverband, der ebenfalls Teil des Bündnisses ist, wirbt derzeit schwerpunktmäßig für eine radikale Reform der Alterssicherung und einen entschlossenen Kampf gegen Altersarmut. Erst kürzlich hatte das Statistische Bundesamt aktuelle Daten zur Armutsentwicklung in der Bundesrepublik veröffentlicht. Angaben der Behörde zufolge beträgt die Armutsquote 15,7 Prozent und erreichte damit den höchsten Wert nach der Annexion der DDR. Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Verbandes, und Dr. Joachim Rock, Rentenexperte und Leiter der Abteilung Arbeit, Soziales und Europa des Paritätischen, stellten erst vor wenigen Tagen eine eigens erarbeitete Analyse zu zentralen Problemen und Herausforderungen der Alterssicherungspolitik vor. Alte Menschen seien nunmehr schon das zweite Jahr in Folge überdurchschnittlich von Armut betroffen, skizzierte Rosenbrock die Problemlage und erinnerte daran, dass das Armutsrisiko von Rentnerinnen und Rentnern, Pensionärinnen und Pensionären im Jahr 2005 noch bei 10,7 Prozent gelegen habe. „Seitdem ist ein Anstieg der Armut für diese Gruppe um fast 49 Prozent zu verzeichnen, auf heute 15,9 Prozent“, erläuterte er. Somit habe bei „keiner anderen Risikogruppe“ die „Armut so stark zugenommen“.

Als Konsequenz daraus wirbt der Verband für einen „grundlegenden Kurswechsel in der Alterssicherungspolitik“ und stellte ein 11-Punkte-Programm als „umfassendes Reformkonzept zur Sicherung der Renten und der Verhinderung von Altersarmut vor“. Kern des Konzeptes ist die Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung. So fordert der Paritätische die Einbindung aller Erwerbstätigen, eine Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent, sowie die faktische Abschaffung der Riester-Rente“. Schließlich seien „alle anderen Maßnahmen zur Bekämpfung der Altersarmut nur noch Kosmetik“, wenn das Rentenniveau weiter sinke.

Explizit geht der Paritätische in seinem Konzept auch auf die unterschiedlichen Renten in Ost und West ein. So gebe es „mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Deutschen Einheit“ immer „noch kein einheitliches Rentenrecht“. Während der Rentenwert aktuell 31,03 Euro betrage, aber nur in Westdeutschland gelte, betrage der Rentenwert Ost lediglich 26,69 Euro. Zwar habe die Bundesregierung ein Gesetz verabschiedet, mit dem die Angleichung bis 2025 erreicht werden solle, diese erfolge jedoch „beschämend spät“ und werde „systemwidrig über Beitrags- statt Steuergelder finanziert“.

Ähnliche Forderungen wie der Paritätische Wohlfahrtsverband stellt auch der Berliner Sozialgipfel auf. Darin haben sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Berlin-Brandenburg, mehrere Sozialverbände und der Berliner Mieterverein zusammengeschlossen, die aktuell für eine „solidarische Berliner Stadtgesellschaft“ werben. Berlin dürfe nicht nur die Stadt der Reichen sein. Es müsse sich vor allem um die Marginalisierten gekümmert werden, konstatiert das Bündnis. Dies gelte vor allem auch für Flüchtlinge. So verwies Ingeborg Simon, stellvertretende Vorsitzende der Berliner Volkssolidarität, bei der Vorstellung der Forderungen des Sozialgipfels in der letzten Woche in Berlin, beispielhaft auf die schwierige Situation von Flüchtlingskindern in der Bundeshauptstadt. „Von 100 Kindern haben 82 Prozent keinen Kita-Platz“, monierte sie. Zugleich wies sie Forderungen des Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU) zurück, den Familiennachzug für Flüchtlinge weiter auszusetzen. Familien zusammenzuführen sei schließlich „die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Integration“, stellte sie klar.

Dass eine Umverteilung des Reichtums und damit ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit möglich und auch finanzierbar wäre, würde dafür der politische Wille existieren, macht die DKP unterdessen in ihrem Sofortprogramm deutlich. Darin wirbt die Partei nicht nur für sofortige Investitionen in öffentliches Eigentum, sondern auch für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung sozialer Leistungen. Finanziert werden solle dies unter anderem durch die Einführung einer Millionärssteuer in Form einer jährlichen Vermögensabgabe von zwei Prozent auf alle Vermögen, die größer als eine Millionen sind, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf Kapitalerträge, sowie eine sofortige Reduzierung des Rüstungsetats um 20 Prozent und die fortlaufende Reduktion um 10 Prozent jährlich.

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"Soziale Gerechtigkeit gefordert", UZ vom 15. September 2017



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