Diether Dehms Roman „Bella Ciao“ jetzt als Hörbuch

Unerfüllte Liebe, verlorene Hoffnungen

Von Gerhard Feldbauer

„An ihrer Schulter, da wird es hell schon

Oh bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao.

Es war so warm hier, an deinem Arm hier

Da draußen werd‘ ich bald schon frier‘n.

Sah Blut an Hütten, sah Frauen bitten

Oh bella ciao …

Das in vielen Fassungen existierende Volkslied, Liebeslied und Kampflied der Partisanen steht im Mittelpunkt des vor zehn Jahren bei Das Neue Berlin erschienenen Erfolgsromans von Diether Dehm über die Resistenza (2017 als Taschenbuch), das jetzt als Hörbuch mit der Musik von Michael Letz vorliegt. Sounddesign, Tonregie und Musikproduktion von Matthias Müller, Sunrock.

Ade, du Schöne, Ade, meine Liebe, das sagt, dass es „etwas Schreckliches ist, früh aufzustehen, eine schöne Frau zu verlassen und sich irgendwo eine Kugel einzufangen …“ Aber auch, dass es nicht anders geht, wenn man das Leben liebt, für das Menschliche einsteht. Und so ist Dehms Erzählung eingebettet in die Liebesgeschichte zwischen Anna, der Partisanin aus dem Volk, Renzo, dem Dichter aus kleinbürgerlichem Hause und intellektuellen Kommunisten, dessen Buckel an Gramsci erinnert, Giuseppe, dem Kommandeur der kommunistischen Garibaldi-Brigaden, sowie die Konfrontation mit dem Führer der Schwarzhemden, Attila, Jugendfreund Annas und Renzos.

Auch wer den Roman gelesen hat, wird mit dem Hörbuch ein zusätzliches Erlebnis haben. Die leise, unaufdringliche Musik ist einfühlsam auf den ausdrucksstark von Peter Sodann vorgetragenen Text des spannenden Buches ausgerichtet. Dehm hat gemeinsam mit dem musikalischen Leiter des Oktoberklubs der DDR, Michael Letz, neun Melodien komponiert und eingefügt, die den langjährigen Umgang der beiden mit den Kompositionen von Hanns Eisler erkennen lassen. Peter Sodann zeigt die typisch epische Erzählerhaltung eines Schauspielers vom Berliner Ensemble, wo er durch Helene Weigel geformt wurde. Vielleicht mehr noch als die Printausgabe geht das Hörbuch zu Herzen. Man spürt die Parteinahme, die zum Nachdenken anregt, was uns das Erbe der Resistenza heute zu sagen hat.

Die Handlung setzt nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 ein. Als die Wehrmacht am 8. September 1943 Nord- und Mittelitalien besetzt, konstituiert sich auf Initiative der IKP ein Nationales Befreiungskomitee (CLN), entstehen erste Partisanengruppen. Schauplatz sind die Berge westlich des Lago Maggiore. Einer der Kommandanten, Pippo (Filippo Frassati), ist eine echte Person. Im Frühjahr 1945 befreite er mit seiner Garibaldi-Brigade Cannobio. Dehm gelingt es am Beispiel seiner Helden darzulegen, wie ungeheuer schwierig es war, aus den ersten, spontan entstandenen kleinen Partisanengruppen der verschiedensten Parteien des CLN kampfstarke zusammenwirkende Abteilungen und Brigaden zu formieren, gegen welche die Wehrmacht bereits Anfang 1944 15 Divisionen einsetzen musste. Die Alliierten versuchten, die Kampfhandlungen der von den Kommunisten dominierten Partisanenarmee zu bremsen. Während der britische General Landcroft im schweizerischen Locarno mit Renzo vorgeblich über den gemeinsamen Kampf berät, ist seine Tochter Margret erstaunt, von einem seiner Stabsoffiziere zu hören, die Partisanen seien „Verbündete, derer man sich über kurz oder lang wieder entledigen muss“. Er hat nichts dagegen, dass „die sich erst mal mit den Nazis herumprügeln“, denn es sind „dann ein paar weniger, die später die Diktatur ausrufen können“. „Deutsche oder Russen – sollen sich nur erst mal viele totschießen“. Dem entspricht auch sein Bekenntnis, dass es kein Interesse gibt, den Krieg zu verkürzen. Ob er „1944, 1945 oder im Jahr darauf beendet wird, bleibt sich gleich“. So bekommt Renzo denn auch mit, dass nicht vorgesehen ist, im Norden einen Brückenkopf der Alliierten zu bilden.

Dieselbe Margret, deren „raffiniert geschlitzter Rock machte, dass die Männer ihre Blicke hinter ihr her schickten“, geht zu Renzo in die Berge. Die einstige Pfadfinderin schlägt sich tapfer, bleibt standhaft, auch als sie Attila in die Hände fällt. Sie beginnt zu verstehen, dass den Faschismus zu beseitigen wohl tiefer gehen muss, als ihm nur die Waffen aus der Hand zu schlagen. Als Renzo in den 70er Jahren stirbt, ist sie eine Labour-Linke und spricht an seinem Grab. Nicht nur hier gestaltet Dehm Bündnispolitik.

Zur Sprache kommen die unterschiedlichen Meinungen über die Zukunft Italiens nach dem Krieg, Radikalismus, die Ungeduld, endlich loszuschlagen, so auch das Thema der Partisanenrepubliken, von denen eine im Ossola-Tal existierte. Sie konnte nicht gehalten werden. War es zu früh, diesen Schritt zu gehen? Viele widersprechen. „Es waren die schönsten Tage meines Lebens. Alles, wovon wir seit Jahren geträumt haben, wurde Wirklichkeit“, sagt einer der Partisanen.

Die Handlung endet im Frühjahr 1945. Renzo und Giuseppe gehören zu dem Partisanenkommando, das am 27. April das vom CLN verhängte Todesurteil an Mussolini vollstreckt. Zu dieser Zeit war die Partisanenarmee auf 256 000 reguläre Kämpfer angewachsen. 153 000 von ihnen waren Kommunisten, von den 70 000 Gefallenen trugen 42 000 das rote Halstuch der Garibaldiner.

Renzos Partei war zu dieser Zeit auf 2,2 Millionen Mitglieder angewachsen. Bei den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung im Juli 1946 wurde sie von 4 356 686 Italienern (18,9 Prozent) gewählt. In den nächsten Jahren stiegen ihre Stimmen auf knapp das Doppelte an.

Bis heute bleibt die von Dehm angesprochene Frage umstritten, ob die Partisanen nach Kriegsende aus dem Schatten von Jalta hätten heraustreten und zum Aufbau des Sozialismus übergehen sollen.

Die abschließenden Sätze darüber, wie Anna und Renzo sich Jahre später auf einem Pressefest der „Unità“ begegnen, gehören zu den bewegendsten Aussagen des Hörbuches. Ihrer beider Tränen gelten nicht nur ihrer unerfüllten Liebe, sondern auch den verlorenen Hoffnungen so vieler Garibaldiner, dass es nicht gelang, die großen Konzerne, die den Faschismus an die Macht brachten, zu besiegen.

In dem jetzt als Hörbuch erschienenen Roman, den Konstantin Wecker auch einen Abenteuerroman nannte, steckt durchaus der Stoff für einen spannenden Film über den Kampf der italienischen Partisanen. Wie zu hören, soll ein solches Projekt unter Filmproduzenten auf Interesse stoßen.

Diether Dehm, Jahrgang 1950, der für „Die Linke“ im Bundestag sitzt, ist nicht nur Romanautor, sondern auch Komponist, Liedermacher, der auch selbst singt. Der von ihm mitverfasste Song „1000 und 1 Nacht“ war 1984 mehrere Wochen in den Charts. Dehm ist auch immer wieder für Schlagzeilen gut, so wenn er 2016 das frühere RAF-Mitglied Christian Klar nach Verbüßung von 26 Jahren Haft in seinem Berliner MdB-Büro beschäftigte, einen minderjährigen Flüchtling, einen Waisenjungen, aus Italien in seinem PKW zu seinem italienischen Vater nach Deutschland brachte oder sich in Talkshows für den Ex-Bundespräsidenten Christian Wulf und gegen BILD positioniert.

Peter Sodann liest „Bella ciao – Partisanen am Lago Maggiore“ von Diether Dehm.

2 MP3-CDs, Laufzeit 16 Stunden. Verlag Das Neue Berlin, 2017, 29,99 Euro.

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"Unerfüllte Liebe, verlorene Hoffnungen", UZ vom 18. August 2017



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