Niedersachsen arbeitet Berufsverbote auf

Vom Ausmaß des Spitzelstaates

Von om

Matthias Wietzer (r.) und Ulrich Farin  1984 in Köln

Matthias Wietzer (r.) und Ulrich Farin 1984 in Köln

( Manfred Tripp)

Am 6. Dezember hat die SPD-Politikerin Jutta Rübke bei einer Veranstaltung im niedersächsischen Landtag ein Zwischenergebnis ihrer Aufarbeitung der Berufsverbote in Niedersachsen vorgestellt. Bei der Veranstaltung berichteten auch Lehrer, die in den 70er und 80er Jahren nach dem „Radikalenerlass“ von Berufsverboten betroffen waren, von ihren Erfahrungen. Rübke war im Januar von der rot-grünen Mehrheit im niedersächsischen Landtag zur „Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der Schicksale im Zusammenhang mit dem sogenannten Radikalenerlass“ ernannt worden.

Bei der Veranstaltung referierte der Historiker Wilfried Knauer über das Ausmaß der Spitzelpraxis in Niedersachsen. Er zeigte, dass sowohl die Überprüfungen von Bewerbern im öffentlichen Dienst als auch die tatsächlichen Berufsverbote im Laufe der 70er Jahre deutlich zunahmen: 1972, nachdem die Bundesregierung den Radikalenerlass beschlossen hatte, überprüfte der Verfassungsschutz in Niedersachsen 5 000 Bewerber. 1973 waren es 10000 Bewerber, und 1974 gingen 12000 Anfragen beim Verfassungsschutz ein. Ab 1975 gab es 8 000 bis 15000 Regelanfragen im Jahr. Ähnlich stark nahmen die Berufsverbote zu: 1972 verboten die Behörden einer Person, in ihrem Beruf zu arbeiten. 1973 waren 20, 1974 115 Menschen betroffen.

Die Untersuchungen der Landesbeauftragten Rübke zeigen: In Niedersachsen überprüfte der Verfassungsschutz insgesamt 172000 Bewerber für den öffentlichen Dienst. 141 Bewerber lehnten die Behörden auf Grundlage des „Radikalenerlasses“ ab. 271 Bedienstete des öffentlichen Dienstes wurden entlassen. Der Radikalenerlass richtete sich gegen Linke, insbesondere gegen DKP-Mitglieder. Das machte auch Rübke deutlich, als sie in einem Interview mit der „Taz“ sagte, sie wisse von drei Berufsverboten wegen „rechtsextremer Aktivitäten“. An anderer Stelle hatte sie eingeschätzt, „der Staat“ habe „durch dieses Berufsverbot mehr Schaden genommen als es uns genutzt hat“.

Der „Radikalenerlass“ galt in Niedersachsen von 1972, als ihn die Brandt-Regierung auf Bundesebene beschlossen hatte, bis 1990, als die erste rot-grüne Landesregierung den Erlass aufhob. Ende Januar will Rübke ihre Dokumentation der Berufsverbote in Niedersachsen veröffentlichen. Unter anderem hat sie in Gesprächen mit Betroffenen herausgearbeitet, welche Folgen das Berufsverbot für ihre Biographien hatte.

Kurze Interviews mit Opfern der staatlichen Spitzelei gaben bei der Veranstaltung davon einige Eindrücke, außerdem beteiligten sich die Betroffenen mit einer szenischen Lesung am Programm. Meta Janssen-Kucz, Landtags-Vizepräsidentin von den Grünen, sagte bei der Veranstaltung: „Der Radikalenerlass war ein Angriff auf die Menschenrechte.“ Die Aufarbeitung sei noch nicht beendet. Auch Rübke und die beteiligten Betroffenen machten deutlich, dass ihre Arbeit noch am Anfang stehe und nicht mit der Veröffentlichung der Dokumentation abgeschlossen sei.

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"Vom Ausmaß des Spitzelstaates", UZ vom 15. Dezember 2017



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