Eiertanz des Bundesverfassungsgerichtes zur Überwachung

„… vom Grundsatz her nicht zu beanstanden“

Von Uwe Koopmann

Das „Ja, aber“ zieht sich durch die ganze Urteilsbegründung. Dazu einige Beispiele: Die „Überwachung außerhalb von Wohnungen – etwa durch Observation, Bild- und Tonaufzeichnungen, die Verfolgung mit Peilsendern oder der Einsatz von V-Leuten“, sei zulässig, aber nicht unbegrenzt erlaubt. Es fehle die „Anforderung, dass ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und absehbares Geschehen erkennbar sein muss“ bzw. „die alternative Voraussetzung, dass das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründen muss, dass sie in überschaubarer Zukunft terroristische Straftaten begeht“.

Was außerhalb der Wohnung gilt, das gilt auch für die Wohnraumüberwachung: Die ist zulässig. Darf aber eigentlich nur die „Zielperson“ betreffen. Zugestanden wird allerdings gleichzeitig, „dass bei einer solchen Maßnahme mittelbar auch Dritte erfasst werden können“. Auch bei der Telekommunikationsüberwachung wurde bisher zu locker mitgehört. Dann kommt möglicherweise ein „Glaubensbekenntnis“: „Unverhältnismäßig weit sind die Befugnisse zur Datenübermittlung an die Verfassungsschutzbehörden, den Militärischen Abschirmdienst und den Bundesnachrichtendienst.“ Amen.

So hat denn auch der Richter Prof. Dr. Michael Eichberger eine abweichende Haltung: Das Urteil führe „zu einer problematischen Verfestigung der überzogenen verfassungsrechtlichen Anforderungen“. Er wünschte sich zudem mehr Kontrolle und Transparenz. Auch Richter Dr. h. c. Wilhelm Schluckebier betont in seinem abweichenden Votum, dass der Gesetzgeber dem Grundsatz Rechnung tragen müsse, „dass der Einzelne sich im Rechtsstaat auf effektiven Schutz durch den Staat ebenso verlassen können muss wie auf den Schutz seiner Freiheitsgewährleistungen vor dem Staat.“

Massive Kritik setzte es vom anderen Ufer der Gewaltenteilung: Aus der Exekutive gab es Urteilsschelte für die Judikative, obwohl beide doch so unabhängig voneinander sein sollten, dass sie sich nicht ins Geschäft reinreden. Manche Glaubensgrundsätze des bürgerlichen Staatsverständnisses zeigen sich flexibel, wenn Machtpositionen berührt werden.

Konkret: Innenminister Thomas de Maizière (CDU) ist sauer, sieht sich in seinen Befugnissen in der breiten Terrorbekämpfung beschnitten. Heftiger konnte der Angriff eines Gerichtes auf den obersten Verfassungsschützer kaum ausfallen. Ausgerechnet ihm, der für den Schutz der Verfassung zuständig sein will, wird bescheinigt, dass seine Helfer vom Bundeskriminalamt (BKA) nicht verfassungskonform arbeiten. Noch schlimmer: de Maizière zeigt sich nicht einsichtig. Anna Engelke vom ARD-Hauptstadtstudio zitierte ihn, ebenfalls am 20. April, mit seiner Kritik am Bundesverfassungsgerichtsurteil: Der Senat habe „Bedenken, die ich nicht teile und die den Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht erleichtern.“ Wütender im Spiegel: „Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, ‚ständig dem Gesetzgeber in Sachen Sicherheit in den Arm zu fallen’.“

Wenn es nach dem Innenminister ginge, hieße das Motto „Weiter so!“. Und er will retten, was aus seiner Sicht noch zu retten ist: „Insbesondere der Informationsaustausch zwischen den Behörden in Deutschland und mit unseren internationalen Partnern muss erhalten, ja noch ausgebaut werden.“

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Korrigiert werden müssen dafür nur die gesetzlichen Vorgaben des BKA-Gesetzes und schließlich die Arbeitsweise des BKA, damit die Richter nicht wieder monieren. Es müssen nach einer Aufzählung der ARD-Rechtsredaktion 14 Paragraphen mit 49 Absätzen an die Verfassung angepasst werden. In Zukunft muss vorsichtiger abgehört, gefilmt werden, mit Trojanern darf nicht beliebig auf privaten Computern spioniert werden. Schließlich muss die Überwachung von Rechtsanwälten eingeschränkt werden.

Andererseits bietet das Urteil des BVerfG den Vorteil, dass sich die Kollegen von Horch und Guck (West) nicht nur als Späher, sondern auch als Hellseher üben können: „Wenn zum Beispiel Personen in einem Park mit Peilsendern abgehört werden, dann ist das zwar möglich. Aber es muss eine konkrete Wahrscheinlichkeit geben, dass diese Personen in überschaubarer Zukunft terroristische Straftaten begehen. Abhören einfach mal so, ohne erkennbare Gründe zu haben, das geht nicht.“ (Quelle: Giggi Deppe in der ARD)

Widerwillig wird sich der Minister an die Arbeit machen müssen, um das BKA-Gesetz gemäß den Vorgaben des Gerichtsurteils zu ändern. Dafür wurde ihm eine Zeitspanne bis zum Juni 2018 eingeräumt. Eingebrockt hat dem Minister die „Nacharbeit“ übrigens sein Vorgänger Wolfgang Schäuble. Das gelang ihm in der Großen Koalition vor acht Jahren am 12. November 2008 mit Stimmen von CDU/CSU und SPD. Die Bundestagsmehrheit übertrug die Terrorabwehr von der Polizei der Länder auf das BKA. Das war damals nicht einfach, denn zunächst sperrte sich der zustimmungspflichtige Bundesrat. Kurz vor Weihnachten, am 19. Dezember 2008, stimmte er dem geänderten Paket dann zu. Und ab dem 1. Januar 2009 verfügte das BKA über neue (verfassungswidrige) Kompetenzen.

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"„… vom Grundsatz her nicht zu beanstanden“", UZ vom 29. April 2016



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