Günter Pohl über den Umgang mit Begriffen

Vom Vergleichen

„Das kann man nicht vergleichen!“, schallt es allen entgegen, die sich anschicken, in der Politik historische und aktuelle Ereignisse abzuwägen. Der Angriff der militant-islamistischen Hamas und ihrer Verbündeten auf Bewohner des Staates, der die Palästinenser seit Jahrzehnten in Gaza gefangen hält, sei überhaupt nicht vergleichbar mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto.

Doch, ist er. Aber um zu dem Ergebnis zu kommen, dass beide Ereignisse unterschiedlich sind, muss man sie vergleichen. Wer das Vergleichen abstraft oder delegitimiert, betrügt sich letztlich selbst – denn alle Menschen vergleichen, wenn sie bewerten. Wer weiß, dass die Shoah einzigartig ist oder ein Porsche im Normalzustand schneller ist als ein Fiat, weiß es nur durch einen Vergleich. Diesen Vergleich zieht der Verstand entweder aus Erfahrungswerten oder aus angewandter Logik und Messungen – und wer Geschichte und Logik miteinander zu verbinden weiß, nimmt die Dialektik zu Hilfe.

In der Welt derer, die das „Nicht-vergleichen-Können“ deklamieren, wären auch die Zahlen 3 und 5 nicht vergleichbar, weil von vornherein klar ist, dass sie unterschiedlichen Wert haben. Um aber herauszufinden, dass 3 und 5 nicht gleich sind, ist ein Vergleich nicht nur erlaubt, sondern dringend erforderlich. Ein Vergleich ist es, wenn im Handwerk mit dem Zollstock ein Gegenstand abgemessen wird, um ihn zu kopieren oder ein entsprechendes Ersatzteil zu fertigen; und Temperatur zu messen ist nichts als ein Wärmevergleich. Den ganzen Tag und überall vergleichen wir – sonst könnten wir Entfernungen, Qualitäten, Zeiten nicht einschätzen oder auch gesundes nicht von ungesundem Verhalten unterscheiden. Der Mensch lernt den Vergleich von klein auf, und es hilft ihm beim Überleben. Man kann nicht nur alles vergleichen, man muss es sogar. Sonst erkennt man die Unterschiedlichkeit der Dinge nicht.

Warum aber 15 Prozent einer UZ-Seite für Begriffskunde verwenden? Weil zwar nichts mehr und intensiver getan wird als zu vergleichen, es aber gleichzeitig infrage gestellt wird. Die dazugehörige Lösung ist banal – die Infragesteller meinen den Begriff des Gleichsetzens. Das geht nur in einem Fall; wenn nämlich die Verglichenen gleichwertig sind.
Wir lernen: Vergleichen und Gleichsetzen kann man miteinander vergleichen. Aber nicht gleichsetzen.

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"Vom Vergleichen", UZ vom 2. Februar 2024



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