Auf der Kapitalseite gab es anfänglich eine spürbare Begeisterung für den Aufrüstungs- und Kriegs-Keynesianismus. Man versprach sich davon einen Modernisierungsschub für die Industrie und einen Impuls für wirtschaftliches Wachstum. Doch selbst in Unternehmerkreisen werden inzwischen erste Zweifel an den Segnungen der propagierten Kriegswirtschaft laut. So meldete sich in der vergangenen Woche der Verband der Automobilhersteller (VDA) zu Wort: Die wachsende Nachfrage aus dem Bereich Dual-Use und Rüstung sei für Unternehmen mit ihrem Know-how natürlich eine Option. „Gleichzeitig werden sich die öffentlich debattierten Erwartungen an die Schaffung von alternativen Arbeitsplätzen aber mit hoher Wahrscheinlichkeit als überhöht herausstellen“, so ein Sprecher des Verbands.
Vom vielbeschworenen „Jobmotor Aufrüstung“ ist also längst keine Rede mehr. „Die möglichen neuen Arbeitsplätze werden keinesfalls die durch die Transformation und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit des Standorts gefährdeten Arbeitsplätze ersetzen können.“ Außerdem seien die Anforderungen an eine solche neue Ausrichtung sehr komplex, eine einfache Umstellung von Kapazitäten sei nicht machbar, so die nüchterne Analyse des Branchenverbands.
Selbst Klaus-Heiner Röhl vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hält inzwischen das gesamtwirtschaftliche Potenzial des Rüstungsbooms für begrenzt. „Die Autoindustrie ist etwa zehn Mal so groß wie die Rüstungsindustrie.“ Den Auftragsrückgang im Automobilbereich könne der Rüstungsboom deshalb nicht vollständig ausgleichen, so die nachvollziehbare Argumentation aus dem IW.
Ähnlich kritisch klingt es beim Hauptgeschäftsführer der Landesvereinigung Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz, Karsten Tacke. Dual-Use- und rüstungsnahe Technologien könnten der Auto- und Zulieferindustrie zusätzliche Märkte erschließen, seien aber kein Allheilmittel und passen nicht zu jedem Geschäftsmodell. Das liegt daran, dass komplexe Sicherheitsanforderungen an die Produktion gestellt werden. Laut Branchenexperten sind die Zertifizierungs-, Prüf- oder Normierungsverfahren in der Wehrtechnik völlig andere als im Pkw- und im zivilen Nutzfahrzeugsektor. Sie verweisen auf hohe Sicherheitsanforderungen im militärischen Bereich. Auch müssten für die Teilnahme an Förderprogrammen viele Auflagen beachtet werden. Hinzu komme, dass es für alle möglichen Komponenten immens hohe Anforderungen gebe und Firmen lange Service- und Instandsetzungszeiten garantieren sowie Ersatzteile lange vorhalten müssten.
Auf lukrative Rüstungsaufträge möchte die Branche dennoch nicht verzichten. Die Lösung sind Projektverbünde. Ein prominentes Beispiel ist Daimler Truck. Der weltweit größte Nutzfahrzeuge-Hersteller plant, den „Defence“-basierten Umsatz bis 2030 zu verdoppeln. Dabei setzt das Unternehmen verstärkt auf Partnerschaften. So sollen durch die Kooperation mit ARX Robotics Robotik- und KI-Technologien in Fahrzeugplattformen integriert werden und in Zusammenarbeit mit dem französischen Militärfahrzeughersteller Arquus ist geplant, militärische Radfahrzeuge zu entwickeln.
Das Beispiel zeigt: Der Einstieg in das Rüstungsgeschäft mag für einzelne Unternehmen eine lukrative Nische sein. Der aus der Aufrüstung resultierende gesamtwirtschaftliche Nutzen ist jedoch gering. So haben Studien der Universität Mannheim gezeigt, dass der sogenannte Fiskalmultiplikator mit Blick auf Militärausgaben bei maximal 0,5 liegt. Dieser misst, wie stark zusätzliche Staatsausgaben das Bruttoinlandsprodukt erhöhen. Ein Wert von 0,5 bedeutet, dass ein ausgegebener Euro im besten Fall zu 50 Cent zusätzlicher wirtschaftlicher Aktivität führt.
Öffentliche Investitionen in Bildung, Infrastruktur oder Kinderbetreuung erzeugen hingegen das Zwei- bis Dreifache an zusätzlicher Wertschöpfung. Daraus folgern die Wissenschaftler, dass die geplante Militarisierung der deutschen Wirtschaft eine risikoreiche Wette mit niedriger gesamtwirtschaftlicher Rendite ist. Eine Erkenntnis, die sich offenbar im Berliner Regierungsviertel noch nicht herumgesprochen hat.