Kalendergeschichten von Erasmus Schöfer

Widerspruch und Widerstand

Von Herbert Becker

Erasmus Schöfer

Kalendergeschichten des Rheinischen Widerstandsforschers

Verbrecher Verlag Berlin

144 Seiten, Taschenbuch, 12,- Euro

Es gilt zu loben und zu danken: Erasmus Schöfer erfreut seine Leser zu seinem 85. Geburtstag, den er vor wenigen Tagen feierte, indem er ein kleines Büchlein vorlegt unter dem Titel „Kalendergeschichten des Rheinischen Widerstandsforschers“.

Diese alte, früher so geschätzte literarische Form, genannt seien Namen wie Johann Peter Hebel, Bertolt Brecht, Oskar Maria Graf und Erwin Strittmatter, nutzt der Autor, um uns 50 meist nur ein bis zwei Seiten lange Geschichten zu erzählen. Die große Kunst,hinhören zu können, hinsehen zu wollen und daraus dann diese kleinen, durchkomponierten und hoch konzentrierten Texte zu schreiben, ist sicher nicht leicht zu beherrschen. Erasmus Schöfer ist dies gelungen, und nicht als „roter Großvater“, der Anekdotisches ausplaudert, sondern mit dem Können und der Erfahrung eines langen Schriftstellerlebens.

Menschen geraten in Situationen, in denen etwas nicht stimmt, wo die Behauptungen der Herrschenden falsch sind, wo also gelogen, verdeckt oder geleugnet wird. Bekannte Ereignisse, wie die schallende Ohrfeige von Beate Klarsfeld, die sie dem Bundeskanzler und Altnazi Kiesinger verpasste, oder von Georg Büchner, der mit wenigen Freunden Flugblätter herausgab gegen Willkür, Armut und Unterdrückung und mit knapper Not ins französische Exil fliehen konnte.

Aber auch viele Geschichten, die Schöfer vom Hörensagen kannte wie die der klugen brandenburgischen Mutter, die ihren vom Endsieg träumenden Hitlerjungen vor den Greifern des Volkssturms versteckt, indem sie ihm einen ordentlichen Schlaftrunk gibt und ihn im Kohlenkeller unsichtbar macht.

Geschichten rund um den Erdball, über das Europa des Faschismus, die Zeit der Wiederaufrüstung, der Kommunistenhatz, über die USA zu Zeiten ihres Krieges in Vietnam oder im Irak, irische und schottische Kämpferinnen gegen Atomwaffen, griechische Widerstandskämpfer bis zu den Arbeitern im Revier, die sich nicht nur gegen die Pläne des Kapitals stellten, Werke plattzumachen, sondern auch gegen die Beschwichtigungen durch Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte. Sehr erfreulich und besonders hervorzuheben ist die große Zahl an Frauen, die ihren Widerspruch und ihren Widerstand zeigten, dafür ein besonderer Dank.

Immer sind es Geschichten von Einzelnen oder sehr kleinen Gruppen, keine großen politischen und sozialen Bewegungen, aber der Leser ahnt, dass viele die gleiche Wut in sich trugen, aber eben „den Arsch nicht hochbekommen“ wollen oder können. Anm.: Der langjährige Rheinländer Schöfer kennt die bunte Bewegung in Köln, die mit dem deutlichen Wort „Aasch huh“ gegen Rassistisches und Faschistisches in Wort und Tat Widerstand organisiert.

Erst wenn uns der Widerspruch, der in einer Situation zutage tritt, deutlich wird, kann der Einzelne, besser aber noch viele, widerständig werden. Deutlich wird auch, dass all den Handlungen und Aktionen ein Nachdenken vorausging, das sich dann spontan und kraftvoll äußerte.

Dem Ratschlag des Autors sollte man folgen und nicht alle Geschichten hintereinander lesen, lieber nach jedem der kurzen Texte eine Pause einlegen und die Gelegenheit nutzen, sich dieser oder einer heutig vergleichbaren Situation zu stellen und den eigenen Widerspruchsgeist schärfen. Das Format passt wunderbar zur U-oder S-Bahn-Fahrt, zur Kaffeepause oder auch zum Abschluss des Tages.

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Über den Autor

Herbert Becker (Jahrgang 1949) hat sein ganzes Berufsleben in der Buchwirtschaft verbracht. Seit 2016 schreibt er für die UZ, seit 2017 ist es Redakteur für das Kulturressort.

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"Widerspruch und Widerstand", UZ vom 1. Juli 2016



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