Ronald M. Schernikaus Warhol-Essay „Was macht ein revolutionärer Künstler ohne Revolution?“

Zu tun ist immer

Es gibt diese Serie von Andy Warhol aus dem Jahr 1962. Sie ist fünfteilig und heißt „Do it Yourself“. Sie zeigt Unzeigenswertes: eine Violine, Boote, Landschaft, einen von einem Fischerhaus versperrten Meerblick, einen Blumenstrauß. Sie sind im Stil einer Praxis gehalten, auf die man kommt, wenn einen langweilt: Malen nach Zahlen. Die Einzelgemälde weisen unterschiedliche Arbeits-, also Beschäftigungsstände auf. „Seascape“ etwa ist ganz ausgefüllt, bei „Landscape“ sind die meisten Flächen der abgebildeten Baumkrone noch weiß, die ausgefüllten verraten aber schon, dass Herbst ist.

Das „Schon“ im letzten Satz verrät schon (ha ha!), worauf Ronald M. Schernikau hinwill, wenn er in seiner Großrezension „Was macht ein revolutionärer Künstler ohne Revolution?“ den Pop-Artisten Andy Warhol lobt als „den einzigartigen, undemokratischen, nicht wiederholbaren, den letzten Verfechter des traditionellen Kunstbegriffs“. Eingangs fragt Schernikau in seinem 1990 in der Literaturausgabe der „Konkret“ erschienenen Text: „Wie kann man leben. – Wie kann man unter Toten leben? Können wir leben ohne Hoffnung? In einer Welt, in der Bejahung immer nur die Bejahung des Reaktionären zu sein scheint, wie kann es eine Freude geben, ein Vergnügen, eine Schönheit? Was macht ein revolutionärer Künstler ohne Revolution?“

Die Verhältnisse sind ein Kreuz, waren sie 1990, sind sie noch. Für die Kunst, die sich mit dem Schönen beschäftigt, ist das ein Problem, wenn ständig großangelegt Blödheit betrieben wird und sich die Adressatinnen und Adressaten der Kunst damit herumschlagen müssen, nicht zu verhungern oder zu erfrieren – ganz zu schweigen von jenen, die die Kunst herstellen. Weil überwindungswürdige Probleme nicht beseitigt werden, stürzen sie denen auf die Fahrbahn, die in ihrer Produktion schon (ja, ja!) einen Vorgriff auf eine Welt liefern wollen, in der tagtägliche Quälerei und direkter Zwang abgelöst wurde durch die vom Menschen bestimmte Geschichte. Kunst – in der monopolkapitalistischen Scheiße wird das besonders deutlich – geht weiter als die Gesellschaft ist. „ich rede ungern von armut, sie ist so momentan. bald wird sie abgeschafft, und dann? ich will die schwierigen probleme“, heißt es in Schernikaus Opus magnum „legende“.

Schon 1966 hatte der Dramatiker Peter Hacks Schernikau vorauseilend zugestimmt: „Kunst lebt von den Fehlern der Welt; hieraus folgt nicht, dass die Kunst umso besser würde, je fehlerhafter die Welt ist. Offensichtliche Mißstände verlangen politische Lösungen, nicht poetische. Bloße Schweinereien wollen beseitigt, nicht bedichtet werden.“

Das heißt: es gibt immer was zu tun, aber nicht alle haben alles zu tun. Die Kunst zum Beispiel besorgt nicht, dass die Situation eine revolutionäre wird. Aber wenn die Lage keine revolutionäre ist, dann hat sie – nicht wenigstens, sondern höchstens, vollstens, totalstens – Kunst abzuliefern, verlangt Schernikau. Sie hat nicht die Lücken zu füllen, die der politische, der ökonomische und der ideologische Klassenkampf fortschrittlicherseits warum auch immer stehen lässt. Das muss die Politik beschaffen. Kunst organisiert nicht, ist das, was Schernikau damit meint, wenn er das Undemokratische an Warhol hervorhebt. Sie ist nicht von und für jeden und jede.

Hacks schreibt in einem anderen Essay „Fragen im Titel und sieben weitere“: „Die Aufgabe, die von einer nichtrevolutionären Situation gestellt ist, geht nicht dahin, die Revolution durchzuführen, sondern, mittels Organisation, Ausbreitung von Klassenbewußtsein und Aufsuchen von Verbündeten, ihre Voraussetzungen zu schaffen. Das ist in der Politik anders als in den freien Künsten. In der Politik sind kluge Leute nur dann klug, wenn sie es nicht allein sind.“

Politischer Avantgarde also ist Einsamkeit verboten, die ästhetische hat sich hingegen hauptsächlich nicht um Gesellschaft zu scheren. „Die Welt, furchtbar wie sie ist, muß so genommen werden. Dann kommt die Kunst dazu“, schreibt Schernikau und macht hier den Unterschied von Kunst und Politik (also Eingriff ins Bestehende, wenn‘s gut läuft, Aufhebung des Furchtbaren) total.

Wenn Warhol also eine Suppendose als Motiv wählt und keine Kinderarbeiterin, dann ist das keine Entscheidung gegen die Ausgebeuteten. Schernikau: „Die meisten Menschen scheinen zu glauben, daß Abbildung Zustimmung bedeutet, ein merkwürdiger Irrtum. Abbildung bedeutet immer nur Abbildung.“ Die Gleichung, eine Kunst sei umso politischer, je mehr politische Tropen sie auffängt, lehnt er ab. Und das, obwohl die Lenin- und Mao-Reihen Warhols ja nahelegen würden, hier die rote Brille aufzusetzen. „Ich behaupte nicht, Warhol sei Kommunist gewesen, das wäre eine alberne Behauptung, oder auch nur politisch interessiert.“ Warhol spricht sich nicht mit der Leninreihe für den Bolschewismus aus, genauso wenig, wie er mit „Do it yourself“ für demokratische Mitmach-Chose wirbt. Den Louvre zwangsräumen für das Selbstgemalte, das das Publikum mitbringt? Scheint wie Mitbestimmung, wäre aber einfach nur bekloppt. Weniges brachte Schernikau – selbst nur mit seinem Debüt „Kleinstadtnovelle“ ein Verkaufsschlager – wohl so auf die Palme, wie wenn man Genies die Berufung wegzunehmen trachtete.

„Kunst ist immer ein Schritt in eine andere Welt, und eine andere Welt, das heißt auch, von mir selber weg, von meinem Wissen in ein anderes Wissen.“ Was macht der Nichtkommunist Warhol also? Er schafft etwas Künstliches, künstelt das Wissen anderer, im Falle Maos und Lenins das der Revolutionäre. Warhol spielt Politik, weil er sie nicht zu machen hat, aber sich zu ihr verhalten, sie mit seinem Handwerkszeug greifen muss. Er hat, das ist die Antwort auf die Frage im Titel des Warhol-Essays, nicht Revolution zu machen, wo keine ist, sondern, schwierig genug: Kunst. Und die will zum Kern einer Sache hin. Darin, in seinen absolut reduzierten Porträts und Stillleben (nichts zeigt Mao außer immer wieder Mao, keine Zufälligkeit wie Schatten oder belangloses Beiwerk stört den Blick auf die Suppendose), erkennt Schernikau Warhols „Hegelianismus“: „Was nicht zum Wesen eines Dings gehört, wird weggelassen.“ Andy Warhol tat für die Ästhetik schon nichts Geringeres als das Wesentliche.



Ronald M. Schernikau
„Was macht ein revolutionärer Künstler ohne Revolution?“
in: Königin im Dreck. Texte zur Zeit
Verbrecher Verlag, 18 Euro
Erhältlich unter uz-shop.de



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Über den Autor

Ken Merten (seit 1990) stammt aus Sachsen. Er hat in Dresden, Hildesheim und Havanna studiert. Seine Schwerpunkte sind die Literatur der Jetztzeit, Popkultur und Fragen von Klassenkampf und Ästhetik. 2024 erschien sein Debütroman „Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist“ im Berliner XS-Verlag.

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