Ein vergessenes Kapitel antifaschistischer Bündnispolitik der Komintern

100 Jahre Internationale Antifaschisten-Liga

Im November vor 60 Jahren erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift „Marxistische Blätter“. Sieben Jahre nach dem KPD-Verbot 1956 schufen die Kommunisten damit ein legales Organ, um die marxistisch-leninistische Weltanschauung in der Bundesrepublik zu diskutieren und zu verbreiten. Damit trugen sie auch zum gesellschaftlichen Aufbruch in den folgenden Jahren bei. Mit der Konterrevolution war auch die Existenz der „Marxistischen Blätter“ bedroht. Es gelang, sie zu retten und jetzt – anlässlich des Geburtstags – einen besonderen Service für Abonnentinnen und Abonnenten anzubieten: Diese haben nunmehr über das Internet Zugriff auf alle digitalisierten Ausgaben der Zeitschrift – ein Grund mehr für ein Abonnement! Aus der Jubiläumsausgabe, die Anfang Oktober erscheint, drucken wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der „Marxistischen Blätter“ den Artikel von Ulrich Schneider ab.

Mitte August veröffentlichte Werner Abel in der „jungen Welt“ einen interessanten Beitrag zur Gründung eines „Weltkomitees gegen Krieg und Faschismus“ durch die Kommunistische Internationale (KI) vor 90 Jahren, das – als Reaktion auf die Machtübertragung an den deutschen Faschismus – im August 1933 durch eine Verschmelzung der leitenden Organe der Amsterdamer Antikriegsbewegung und einer europäischen antifaschistischen Arbeitervereinigung entstand. Abel bezog sich in seinem Aufsatz auf nun zugängliche Akten aus dem Komintern-Archiv in Moskau. Überraschend an diesem Beitrag ist jedoch, dass er mit keinem Wort erwähnt, dass die KI bereits zehn Jahre zuvor ein antifaschistisches Bündniskonzept ins Leben gerufen hat, das – im Sinne einer Einheitsfrontpolitik und antifaschistischer Bündnisse – der drohenden Gefahr des Faschismus international entgegentreten sollte, nämlich eine „Internationale Antifaschisten-Liga“.

Die Etablierung der faschistischen Herrschaft in Italien mit Mussolini und seinen „Schwarzhemden“, das monarcho-faschistische Regime in Bulgarien und der Aufschwung beziehungsweise das zunehmend gewalttätige Agieren faschistischer Verbände und Kräfte in den verschiedenen europäischen Ländern beschäftigte seit 1922 die KI und die mit ihr verbundenen Strukturen, insbesondere die Rote Gewerkschaftsinternationale (RGI). In ihrem Referat auf dem erweiterten Plenum des EKKI vom Juni 1923 beschrieb Clara Zetkin die Erscheinungsform des Faschismus als eine Bewegung von Hungrigen, Notleidenden, Existenzlosen und Enttäuschten. Ihrem politischen Charakter nach sei diese Bewegung jedoch „der stärkste, der konzentrierteste, er ist der klassische Ausdruck der Generaloffensive der Weltbourgeoisie in diesem Augenblick. Ihn niederzuringen ist eine elementare Notwendigkeit. Das aber nicht nur im Hinblick auf die historische Existenz des Proletariats als Klasse, die mit der Überwindung des Kapitalismus die Menschheit befreien muss; es ist auch eine Frage der Existenz jedes schlichten Proletariers, eine Frage des Brotes, der Arbeitsbedingungen und der Lebensgestaltung für Millionen und Millionen von Ausgebeuteten. (…) Mit aller Klarheit und Kraft müssen wir verhindern, dass sie (die Faschisten – U. Sch.) Mannschaften stellen für die Gegenrevolution der Bourgeoisie. Soweit wir jene Schichten nicht für unsere Partei, unsere Ideale gewinnen, nicht in Reih und Glied der revolutionären proletarischen Kampfheere ziehen können, muss es uns gelingen, sie zu neutralisieren. (…) Sie dürfen uns nicht mehr als Landsknechte der Bourgeoisie gefährlich werden.“

Als politische Antwort wurde im Juli 1923 der erste „Antifaschistentag“ in Deutschland organisiert, In Sachsen und Thüringen konnten 150.000 überwiegend sozialdemokratische und kommunistische Arbeiter mobilisiert werden. In Berlin demonstrierten trotz Verbot etwa 200.000, im Bezirk Halle-Merseburg 30.000, in Nordbayern 18.000, anderswo wurde auf geschlossene Räume oder Ausflugslokale ausgewichen. Hauptlosungen waren die Entwaffnung faschistischer Gruppen, sozialpolitische Forderungen und der Rücktritt der bürgerlichen Reichsregierung.

Als praktische Konsequenz aus dieser Debatte entstand – mit tatkräftiger Unterstützung des Netzwerkes und des Apparates der KI – seit dem Sommer 1923 eine „Weltliga gegen den Faschismus“. Eine wichtige Rolle beim Aufbau der Kontakte und Strukturen spielte ein Informationsblatt, das ab Ende August 1923 in gewisser Regelmäßigkeit erschien, die „Chronik des Faschismus“, die „als Manuskript gedruckt“ einen Umfang von bis zu 16 Seiten hatte.

Der Aufbau der Hefte umfasste mehrere wiederkehrende Rubriken. Man fand analytische Beiträge und Länderberichte. Unter der Überschrift „Rundschau“ folgten Berichte aus der faschistischen Bewegung. Umfangreichere Recherchen fanden sich unter dem Titel „Wie sie arbeiten“ beziehungsweise „Was sie sagen und schreiben“. Hierunter waren umfangreiche Auflistungen der faschistischen Zeitungen in Deutschland. Unter dem Stichwort „Völkische Literatur“ gab es Buchbesprechungen, teilweise auch ausführliche Zitate, um Grundlagen für die Aufklärungsarbeit bereitzustellen. Diese Strukturierung unterstrich die Funktion dieser Zeitschrift, nämlich ein Aufklärungsheft für Antifaschisten und Funktionäre der Arbeiterorganisationen zu sein, die auf dieser Grundlage ideologische Auseinandersetzungen mit der faschistischen Bewegung führen können sollten.

Im Heft 8 der „Chronik des Faschismus“ (vom 7. November 1923) fand sich auf Seite 4 unter der Überschrift „Gegen den Faschismus! Gegen reaktionäre Schreckensherrschaft und weißen Terror!“ der Aufruf zur Gründung einer „Internationalen Antifaschisten-Liga“. Darin wurde betont, dass die faschistische Bedrohung keine Parteifrage mehr sei, sie betreffe alle Schichten der Gesellschaft. Der Faschismus sei „gegen alle politischen Arbeiter-Organisationen, gegen alle Gewerkschaften, gegen die Genossenschaften, sogar gegen die Jugend- und Kindergruppen“. „Alles freiheitliche intellektuelle Leben hört auf, wo die Faschisten zur Macht kommen. Die faschistische Gefahr bedroht heute die ganze Welt, vor allem Deutschland.“ Von daher rief man dazu auf, „in allen Ländern antifaschistische Organisationen ins Leben zu rufen“, um die Kräfte „zu einem energischen einheitlichen Kampf gegen den Faschismus zu vereinigen“.

Beeindruckend ist die Unterstützerliste des „Initiativ-Komitees zur Organisierung einer Internationalen Antifaschisten-Liga“. Darunter fanden sich folgende Namen: Clara Zetkin (Deutschland), Henri Barbusse, Henri Guilbeaux, Romain Rolland, Anatole France, André Marty (Frankreich), Dr. Alfons Paquet, George Grosz, Ernst Toller, G. G. L. Alexander, Max Barthel, Willi Münzenberg, Dr. Leo Klauber, Wilhelm Herzog (Deutschland), Edo Fimmen, Henriette Roland Holst, Brommert (Niederlande) Upton Sinclair (USA), Ture Nerman, Zeth Höglund, Oskar Samuelson (Schweden), Willi Trostel, Fritz Platten (Schweiz), Eugen Olaussen (Norwegen), Franz Koritschoner und Prof. Dr. Karl Grünberg (Österreich). Viele dieser Namen sind noch heute bekannt. Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle, dass der genannte Edo Fimmen nach der Etablierung der faschistischen Herrschaft in Deutschland als Leiter der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF) einer der wichtigsten Organisatoren der grenzüberschreitenden antifaschistischen Arbeit bis zum Überfall auf die Niederlande im Jahr 1940 war.

Als formaler Sitz der „Weltliga“ wurde Amsterdam gewählt. Im Impressum der ersten Veröffentlichung steht dazu: „Initiativ-Komitee zur Organisierung einer Internationalen Antifaschisten-Liga, Herr Brommert, Amsterdam, Prins Henrikkade 140 (Holland)“. Der Sitz der deutschen Sektion war in Berlin. Als verantwortlicher Redakteur und Administrator der „Chronik des Faschismus“ wurde Rudolf Schlichter benannt, obwohl zweifellos Willi Münzenberg die treibende Kraft darstellte.

Die KPD unterstützte den Aufbau in Deutschland und verpflichtete sich, 5.000 Exemplare der Zeitschrift „Chronik des Faschismus“ zu übernehmen und zur Verbreitung weiterer ähnlicher Veröffentlichungen beizutragen. Gleichzeitig besaß Münzenberg in Berlin ein Büro mit drei Kollegen und zwei technischen Assistenten.

Am 10. Dezember 1923 fand in Berlin die erste (und einzige) Tagung der „Weltliga gegen den Faschismus“ statt. Es wurde von 53 Teilnehmern aus 14 Ländern, darunter Deutschland, Frankreich und die Niederlande, gesprochen. Auch Sozialdemokraten, Gewerkschafter und bürgerlich-demokratische Kräfte folgten dem Aufruf. Die Teilnehmenden repräsentierten in gewisser Weise die in verschiedenen Ländern bereits bestehenden antifaschistischen Gruppen und Organisationen der „Antifaschistischen Weltliga“.

Nach heutigen Begrifflichkeiten organisierte die „Weltliga“ ihre Tätigkeit hauptsächlich in drei Bereichen: Recherche, Aufklärung und Bündnisarbeit. Es wurden Schriften über faschistische Organisationen gesammelt und aufbereitet zusammen mit den nationalen Sektionen der „Weltliga“ in Österreich, der Tschechoslowakei, Frankreich, Italien, den USA und den skandinavischen Staaten. Selbst vom Balkan wurden entsprechende Informationen gesammelt. Aus diesen Materialien und der Auswertung wurden Agitationsmaterialien zusammengestellt und veröffentlicht. In der Bündnispolitik versuchte man, Kontakte zu knüpfen zu Organisationen „der linkssozialistischen, radikalen, zivilen und intellektuellen Gruppen“.

All das war ein neuer politischer Ansatz, der jedoch bald schon auf ideologische Vorbehalte linkssektiererischer Kräfte in der KPD und eine Veränderung in der politischen Haltung der politischen Leitung des EKKI stieß. Nach dem Scheitern der revolutionären Erhebung in westeuropäischen Ländern und der Stabilisierung der bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse bis Ende 1923 wurde die ideologische Arbeit in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus deutlich vernachlässigt. Gleichzeitig erklärte Grigori J. Sinowjew im Namen der KI: „Wenn die Sozialdemokratie zu einem Flügel des Faschismus geworden ist, dann muss man sie an der Kehle packen, dann muss man auf jede Verhandlung mit ihren Spitzen verzichten.“

Bezogen auf den antifaschistischen Kampf und die damit verbundene Bündniskonzeption spielte der V. Weltkongress der KI im Juni/Juli 1924 eine richtungsweisende Rolle, die faktisch das Ende der „Antifaschistischen Weltliga“ bedeutete. Auf dem Kongress wurde eine „Resolution über den Faschismus“ beschlossen, in der eine neue Definition gesucht wurde. Faschismus wurde nun als „eine der klassischen Formen der Konterrevolution in der Verfallsepoche der kapitalistischen Gesellschaftsordnung“ bezeichnet; er entstehe vor allem dort, wo das Proletariat den Machtkampf aufgenommen, aber nicht erfolgreich geführt habe. Auch Willi Münzenberg erklärte in einem „Bericht über die faschistische Bewegung, Frühjahr 1924, vorgelegt dem Fünften Kongress der Kommunistischen Internationale im Auftrag der Komintern-Kommission gegen den Faschismus“, dass der Faschismus eine politische Bewegung des Kleinbürgertums sei, die später von der Großindustrie und den monarchistischen, weißen konterrevolutionären Kräften für die Renaissance des Kapitalismus ausgenutzt wurde.

Als Maßnahmen zur Bekämpfung dieser ihrer sozialen Struktur nach überwiegend kleinbürgerlichen Bewegung wurden genannt: „Eine wirklich revolutionäre Strategie und Politik der kommunistischen Parteien“, die „Anstrebung der Einheitsfront aller arbeitenden Schichten“, natürlich im Sinne einer „Einheitsfront von unten“, die „Organisierung des Generalstreiks“, die „Anwendung des Massenterrors (…) durch Repressalien gegen die Faschisten“ und die ‚Vertreibung der Faschisten aus den Betrieben“. Viele dieser Forderungen hatten, was faktisch nicht der Fall war, zur Voraussetzung, dass die Kommunisten bereits die entscheidenden Teile der Arbeiterschaft gewonnen hatten und außerdem Staatsapparat und Wirtschaftsorganisation instabil geworden waren. Günter Judick kritisierte in einem Referat zum V. Kongress der KI zu Recht, dass diese Fehleinschätzung insbesondere die Bemühungen um eine Aktionseinheit behinderte.

Eine Fortsetzung der antifaschistischen Bündnisarbeit innerhalb der KI war daraufhin nicht mehr vorgesehen. Zwar gab es noch Überlegungen, das Komitee als Teil der Agitations- und Propagandaabteilung der KI zu erhalten. Jedoch wurde auf der Sitzung des EKKI am 13. September 1924 schließlich beschlossen, die „Antifaschistische Weltliga“ aufzulösen.
Damit endete nach knapp einem Jahr ein Politikansatz, der tatsächlich über den Rahmen der Parteipolitik hinaus die Grundstrukturen einer antifaschistischen Bündnisarbeit umzusetzen versuchte. Seine politische Zeit war noch nicht gekommen, aber aus heutiger Sicht sollten diese Erfahrungen und auch die damals entwickelten Materialien intensiv ausgewertet werden.

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"100 Jahre Internationale Antifaschisten-Liga", UZ vom 22. September 2023



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